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Musiktheater
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La clemenza di Tito
Dramma per musica in 2 Akten
von Pietro Metastasio in einer
Bearbeitung von Caterino Mazzolà
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: 2 ¾   Stunden (eine Pause)

Premiere am 3. Oktober 2008
Besuchte Vorstellung: 30. Dezember 2008


Tito Manlio 
Dramma per musica in 3 Akten
von Matteo Noris
Musik von Antonio Vivaldi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 3 ½ Stunden (eine Pause)

Premiere am 14. Dezember 2008
Besuchte Vorstellung: 6. Februar 2009

Logo: Theater Freiburg

Theater Heidelberg

 
Winter in Schwetzingen

Das Barock-Fest im
Rokokotheater des Schlosses

Der doppelte Titus

Von Christoph Wurzel / Fotos von Markus Kaesler

So unterschiedlich beide Opern auch sind, lohnt doch der Vergleich. Hat Mozarts Titus in den letzten Jahren endlich den Weg auf die Opernbühnen geschafft und sich im Repertoire verankert, so war Vivaldis Titus mindestens hier zulande bisher noch weitgehend unbekannt, diese Inszenierung ist überhaupt die erste auf einem deutschen Theater überhaupt. Mehr als 70 Jahre liegen zwischen den beiden Uraufführungen, aber beide entstanden aus höfischem Anlass: Vivaldis „Tito Manlio“ zu einer (allerdings geplatzten) Fürstenhochzeit 1719 in Mantua, Mozarts „La clemenza di Tito“ anlässlich der Krönung Leopolds II. zum böhmischen König 1791  in Prag.

Vergrößerung Krönung zum Gott:
Winfrid Mikus (Mozart:
La clemenza di Tito)


Es ist aber nicht derselbe Titus, um den es geht. Beide allerdings haben historische Figuren zum Vorbild. Bei Vivaldi ist der  römische Konsul Titus Manlius gemeint, der in der grauen Vorzeit der römischen Geschichte um 300 vor Christus seinen eigenen Sohn wegen Befehlsverweigerung hat hinrichten lassen. Hinter Mozarts Titus verbirgt sich bekanntlich der gleichnamige Kaiser, der um 80 nach Christus regierte und schon in der Antike als idealer Herrscher verehrt wurde. Gegen ihn als Opernfigur wird aus ganz privaten Motiven ein Mordkomplott geschmiedet. Das Attentat aber misslingt und der Kaiser vergibt all seinen Verschwörern. Titus Manlius in Vivaldis Oper ist Befehlshaber des römischen Heeres im Krieg gegen die aufständischen Latiner. Doch die Fronten zwischen den Lagern verlaufen nicht einheitlich, denn seine Kinder haben heimliche amouröse Beziehungen zur anderen Seite. Nach vielen Verwicklungen meint Titus seinen Sohn Manlius der Staatsraison opfern zu müssen.

Bei Mozart ist Titus also milde, bei Vivaldi grausam. Beide ringen mit ihrem Gewissen, der Mozartsche Titus findet von selbst zur Menschlichkeit gegenüber dem Verschwörer und Freund Sextus. Bei Vivaldi ist es ein Deus ex machina, der schließlich den todgeweihten Befehlsverweigerer und Sohn  rettet. Mozarts Titus wird am Schluss zur Gottgleichheit verklärt, Vivaldis Titus beugt sich der glücklichen Fügung. In dieser Inszenierung richtet er sich (allerdings gegen das Libretto) selbst durch das Schwert. Übrigens soll sich Metastasio von Vivaldis Librettisten Matteo Noris zu der von ihm verfassten Seria „La clemenza di Tito“ hat anregen lassen,  die wiederum Caterino Mazzolà, von Mozart beeinflusst, zu „einer richtigen opera“ umgearbeitet hat und damit einen entscheidender Schritt über diese erstarrte Form hinaus gegangen ist.

Vergrößerung

Gewalt als Staatsraison:
Angela Kerrison (Servilia)
und Sebastian Geyer
(
Vivaldi: Tito Manlio


Neben all diesen Bezügen geschichtlicher und inhaltlicher Art gibt es auch musikalische Aspekte, die eine szenische Gegenüberstellung beider Opern nahe legen, wie es das Heidelberger Theater jetzt getan hat. Natürlich ist Vivaldis Musik noch ganz in der barocken Affektenlehre verhaftet, aber diese sind in den Arien auf ganz besonders eindrucksvolle Weise in Musik gesetzt. Vivaldi muss am Hof von Mantua ein hervorragendes Orchester vor allem mit exzellenten Bläsern zur Verfügung gehabt haben. In seiner Oper gibt es Nummern mit hochvirtuoser Solobegleitung wie der Trompete in der Arie des Lucio, die den Sieg der Tugend über die falsche Strenge preist oder zwei Arien mit Blockflötenbegleitung, die in besonders lyrischer Stimmung Sehnsucht und Treue bekräftigen. Vivaldi soll bei der Premiere selbst mit der Viola d’amore eine  favorisierte Sängerin in der Rolle der Servilia, begleitet haben.

So lohnt also diese außergewöhnlich farbig instrumentierte Musik unbedingt eine Aufführung und trotz einiger Streichungen sind in Schwetzingen noch 27 Nummern zu hören, dreieinhalb Stunden wunderbare Musik, die hier auch in besonderer Pracht im kleinen Rokokotheater von Schwetzingen erklang. Die etwa zwei Dutzend Instrumentalisten des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg brachten unter Michael Form ein authentisches Vivaldi-Klangbild zustande und können sich durchaus mit Barockspezialisten messen. Die mittlerweile schon kleine Tradition in Sachen Vivaldi-Opern (immer beim Festival „Winter in Schwetzingen“)   als auch Workshops in barocker Spielweise  haben bei den Heidelberger Musikern erfolgreich deutliche Spuren hinterlassen. Der trockene, klare und direkte Ton, die animierte Artikulation der Streicher wurde ergänzt durch hervorragende solistische Leistungen in der virtuosen Begleitung der Arien. Als überraschendes Bonbon setzte der Dirigent selbst als Flautino-Solist noch einen besonderen Akzent.

Vergrößerung Staatschaos:
Angela Kerrison (Servilia), Hubert Wild (Publio)
und der Opernchor der Stadt Heidelberg
(Mozart:La clemenza di Tito)



Bei Mozarts „Titus“, der im Stadttheater gespielt wird, profitiert das Orchester hörbar von seiner historisch informierten Schulung. Unter der Leitung von Dietger Holm atmete Mozarts Musik frisch durch und klang zugleich beseelt und voller Emotion. Wie weit vorangeschritten ist doch der reife Mozart schon in der charaktervollen musikalischen Individualisierung der Figuren! Und das engagiert aufspielende Heidelberger Orchester hob diese musikalischen Perlen glänzend ans Licht. Schwierig, aber souverän gemeistert war der Part der Bassethornistin, die in der Sesto-Arie auf der Bühne unter einer Art Pellerine versteckt spielen musste.
VergrößerungTodesurteil:
Mariana Flores (Tito Manlio)
(Vivaldi: Tito Manlio)


Bewundernswert auch, welche sängerischen Kapazitäten das Heidelberger Theater in diesen beiden Produktionen  aufzubieten hat. Es waren vor allem junge Sängerinnen und Sänger, die hier die Probe ihres zumeist schon reifen Könnens gaben, zum größten Teil  Ensemblemitglieder und einige Gäste bzw. Einspringer aus Krankheitsgründen, wie die hervorragende Yvonne Berg, die die virtuose Partie des Lucio in der Vivaldioper nach kurzem Rollenstudium über Nacht glänzend von der Rampe aus sang. In Mozarts Titus hatte sich einer ähnlichen Feuertaufe Esgi Kutlo als Annio unterzogen und fügte sich sogar auch spielerisch nahtlos in das Ensemble ein. Ihr charaktervoller, agiler und klangschöner Sopran machte sehr angenehm auf sich aufmerksam.

Die Figur der Vitellia gibt es in beiden Opern, sogar mit ähnlich ungutem Charakterprofil. Beide nutzen die Männer, die sie lieben, für ihre eigenen Interessen aus. In der Mozart-Oper war Hyun-Ju Park auch eingesprungen und sang die Partie mit Bravour, die andere Vitellia gab Rosa Dominguez stilsicher. Exzellent waren die beiden tragischen Helden besetzt: Sextus (Mozart) mit der eminent bühnenpräsenten und koloraturfesten Jana Kurucova und Manlio (Vivaldi) mit der argentinischen Mezzosopranistin Mariana Flores, die für derartige Partien prädestiniert scheint. In Spiel und Gesang war sie ein besonderer Glanzpunkt der Aufführung.

Zweimal Servilia - und zweimal glänzte in dieser Rolle Angela Kerrison, eine junge Sängerin aus Botswana, die mit darstellerischem Charme und einschmeichelnd singend ihre Partien bestens bewältigte.

Vivaldis bösen Titus  gab fest und kraftvoll Sebastian Geyer, der auch als Darsteller markante Akzente setzte. Den schwankenden Titus aus Mozarts Oper, der in der Inszenierung Christian Sedelmayers als blinder Kaiser über die Bühne stolpern muss, spielte Winfrid Mikus ergreifend echt, sängerisch wurde er den Anforderungen der Rolle mit ihren heiklen Koloraturen durchaus gerecht, hatte aber mit der Höhe etwas zu kämpfen.

In den Nebenrollen gab es in beiden Opern  tadellose Leistungen. Hervorzuheben ist auch der großartige Chor in Mozarts „Titus“.

Vergrößerung Lasziv:
Vitellia (Larissa Krokhina in der Premiere)
(Mozart:La clemenza di Tito)

Die beiden szenischen Lösungen sind grundverschieden. Christian Sedelmayer baut auf einen herrschaftskritischen Ansatz: Titus sind die Zügel seiner Macht längst entglitten, in seinem Reich verfolgt jeder nur seine eigenen Interessen - koste es, was es wolle. Kabale und Liebe beherrschen die Tagesordnung. Im wahrsten Sinne blind für die Realität schwankt er in seiner eingeschränkten Wahrnehmung zwischen Idealismus und Hilflosigkeit. Am Hof herrschen nur lumpige Speichellecker oder Intriganten, mehrmals droht der ganze Staatsapparat einzustürzen. Mit Sarkasmus kommentieren dieses Staatschaos die abstrus geschmacklosen Kostüme (Bettina Schanz-von Koch). In Unterwäsche wird Titus aus dem Bett in die Antichambre geführt, als Kaiser ohne Kleider, tapernd wie ein Greis.

Im Gegensatz dazu ist Tito Manlio in Vivaldis Oper männlich bis in die Haarspitzen, militärisch, gewaltsam, beinhart. Entsprechend zur Musik sind die Charaktere präzise gezeichnet, ansonsten muss Regisseur Hendrik Müller kein so großes Augenmerk auf die Entwicklung der Handlung legen. Vor allem sorgen hier das Bühnenbild (eine blaue Einheitswand, in der sich immer wieder wie beim Adventskalender Fenster für alternative Handlungsorte öffnen) und eine ästhetische Lichtregie für Wechsel und Lebendigkeit. Die Kostüme von Claudia Doderer (auch Bühne) unterstreichen geschmackvoll den Kunstcharakter dieser Opernaufführung und nehmen ihr jeden Anschein von Naturalismus. So wird in diesen unterschiedlichen Konzepten die zeitliche und geistige  Distanz zwischen diesen beiden Titus-Opern sicht- und erfahrbar.

VergrößerungPaar in Nöten:
Mariana Flores (Manlio) und
Angela Kerrison (Servilia)
in Vivaldis Tito Manlio 




FAZIT

Enorme Qualität an einem alles andere als abschätzig „Stadttheater“ zu nennenden Haus! Kein Wunder, dass die Heidelberger Bürgerschaft solche Leistungen ihres Theaters honoriert und sich durch finanzielle Unterstützung bei der bevorstehenden gründlichen Sanierung engagiert beteiligt.



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* Alternativbesetzung

W. A. Mozart
La clemenza di Tito

Musikalische Leitung
Dietger Holm

Inszenierung und Bühne,
Christian Sedelmayer
 
Kostüme
Bettina Schanz- von Koch
 
Dramaturgie
Bernd Feuchtner
 
Chorleitung
Jan Schweiger
 
Solisten
 
Tito
Winfrid Mikus
 
Vitellia
Hyun-Ju Park (a.G.)
/ Larissa Krokhina*

 
Servilia
Angela Kerrison
 
Sesto
Jana Kurucová
 
Annio
Esgi Kutlo (a.G.) / Olga Privalova*
 
Publio
Hubert Wild
 
Sklavinnen
Tam Chantawangso
Teresa Brandt
Miriam Gluth
 
Opernchor  und Philharmonisches
Orchester der Stadt Heidelberg

 
 
 
A. Vivaldi
Tito Manlio
 
Musikalische Leitung
Michael Form
 
Inszenierung
Hendrik Müller
 
Bühne und Kostüme
Claudia Doderer
 
Lichtdesign
Ralf Kabrhel
 
Dramaturgie
Bernd Feuchtner
 
 
Solisten
 
Römische Seite:
Titus Manlius, Konsul
Sebastian Geyer
 
Manlius, sein Sohn
Mariana Flores
 
Vitellia, Tochter des Titus,
Geliebte des Geminius

Rosa Dominguez
 
Decius, Anführer der römischen Truppen,
liebt Vitellia
Yosemeh Adjei
 
Latinische Seite :
Geminius, Anführer der Latiner,
Geliebter Vitellias

Lucas Vanzelli
 
Servilia, Schwester des Germinius,
Braut des Manlius

Angela Kerrison
 
Lucius, latinischer Ritter,
liebt Vitellia

Yvonne Berg a. G.
/ Jana Kurocová*

 
Lindus, Diener der Vitellia
Gabriel Urrutia Benet
 
 
Barocktrompete
Laura Vukobratovic
Fruzsina Hara
 
Continuo
Marc Meisel, Cembalo
Julian Behr, Theorbe
 
Blockflöte
Michael Form
 
 
Philharmonisches Orchester
der Stadt Heidelberg


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Theater Heidelberg

(Homepage)





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E-Mail: oper@omm.de

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