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Der doppelte TitusVon Christoph Wurzel / Fotos von Markus KaeslerSo unterschiedlich beide
Opern auch sind, lohnt doch der Vergleich. Hat Mozarts Titus in den
letzten
Jahren endlich den Weg auf die Opernbühnen geschafft und sich im
Repertoire
verankert, so war Vivaldis Titus mindestens hier zulande bisher noch
weitgehend
unbekannt, diese Inszenierung ist überhaupt die erste auf einem
deutschen
Theater überhaupt. Mehr als 70 Jahre liegen zwischen den beiden
Uraufführungen,
aber beide entstanden aus höfischem Anlass: Vivaldis „Tito Manlio“ zu
einer
(allerdings geplatzten) Fürstenhochzeit 1719 in Mantua, Mozarts „La
clemenza di
Tito“ anlässlich der Krönung Leopolds II. zum böhmischen König 1791 in Prag. Winfrid Mikus (Mozart: La clemenza di Tito) Es ist aber nicht derselbe Titus, um den es geht. Beide allerdings haben historische Figuren zum Vorbild. Bei Vivaldi ist der römische Konsul Titus Manlius gemeint, der in der grauen Vorzeit der römischen Geschichte um 300 vor Christus seinen eigenen Sohn wegen Befehlsverweigerung hat hinrichten lassen. Hinter Mozarts Titus verbirgt sich bekanntlich der gleichnamige Kaiser, der um 80 nach Christus regierte und schon in der Antike als idealer Herrscher verehrt wurde. Gegen ihn als Opernfigur wird aus ganz privaten Motiven ein Mordkomplott geschmiedet. Das Attentat aber misslingt und der Kaiser vergibt all seinen Verschwörern. Titus Manlius in Vivaldis Oper ist Befehlshaber des römischen Heeres im Krieg gegen die aufständischen Latiner. Doch die Fronten zwischen den Lagern verlaufen nicht einheitlich, denn seine Kinder haben heimliche amouröse Beziehungen zur anderen Seite. Nach vielen Verwicklungen meint Titus seinen Sohn Manlius der Staatsraison opfern zu müssen. Bei Mozart ist Titus also
milde, bei Vivaldi grausam. Beide ringen mit ihrem Gewissen, der
Mozartsche
Titus findet von selbst zur Menschlichkeit gegenüber dem Verschwörer
und Freund
Sextus. Bei Vivaldi ist es ein Deus ex machina, der schließlich den
todgeweihten Befehlsverweigerer und Sohn rettet.
Mozarts Titus wird am Schluss zur Gottgleichheit
verklärt,
Vivaldis Titus beugt sich der glücklichen Fügung. In dieser
Inszenierung
richtet er sich (allerdings gegen das Libretto) selbst durch das
Schwert.
Übrigens soll sich Metastasio von Vivaldis Librettisten Matteo Noris zu
der von
ihm verfassten Seria „La clemenza di Tito“ hat anregen lassen, die wiederum Caterino Mazzolà, von Mozart
beeinflusst, zu „einer richtigen opera“ umgearbeitet hat und damit
einen
entscheidender Schritt über diese erstarrte Form hinaus gegangen ist. Gewalt als Staatsraison:
So lohnt also diese
außergewöhnlich farbig instrumentierte Musik unbedingt eine Aufführung
und
trotz einiger Streichungen sind in Schwetzingen noch 27 Nummern zu
hören,
dreieinhalb Stunden wunderbare Musik, die hier auch in besonderer
Pracht im
kleinen Rokokotheater von Schwetzingen erklang. Die etwa zwei Dutzend
Instrumentalisten des Philharmonischen Orchesters der Stadt Heidelberg
brachten unter Michael Form ein authentisches Vivaldi-Klangbild zustande und können sich
durchaus mit
Barockspezialisten messen. Die mittlerweile schon kleine Tradition in
Sachen
Vivaldi-Opern (immer beim Festival „Winter in Schwetzingen“) als auch Workshops in barocker
Spielweise haben bei den Heidelberger
Musikern erfolgreich deutliche Spuren hinterlassen. Der trockene, klare
und
direkte Ton, die animierte Artikulation der Streicher wurde ergänzt
durch
hervorragende solistische Leistungen in der virtuosen Begleitung der
Arien. Als
überraschendes Bonbon setzte der Dirigent selbst als Flautino-Solist
noch einen
besonderen Akzent. Angela Kerrison (Servilia), Hubert Wild (Publio) und der Opernchor der Stadt Heidelberg (Mozart:La clemenza di Tito) Bei Mozarts „Titus“, der im
Stadttheater gespielt wird, profitiert das Orchester hörbar von seiner
historisch informierten Schulung. Unter der Leitung von Dietger Holm
atmete
Mozarts Musik frisch durch und klang zugleich beseelt und voller
Emotion. Wie
weit vorangeschritten ist doch der reife Mozart schon in der
charaktervollen
musikalischen Individualisierung der Figuren! Und das engagiert
aufspielende
Heidelberger Orchester hob diese musikalischen Perlen glänzend ans
Licht.
Schwierig, aber souverän gemeistert war der Part der Bassethornistin,
die in
der Sesto-Arie auf der Bühne unter einer Art Pellerine versteckt
spielen
musste.
Bewundernswert auch, welche
sängerischen Kapazitäten das Heidelberger Theater in diesen beiden
Produktionen aufzubieten hat. Es waren
vor allem junge Sängerinnen und Sänger, die hier die Probe ihres
zumeist schon
reifen Könnens gaben, zum größten Teil Ensemblemitglieder
und einige Gäste bzw. Einspringer aus
Krankheitsgründen, wie die hervorragende Yvonne Berg, die die virtuose
Partie
des Lucio in der Vivaldioper nach kurzem Rollenstudium über Nacht
glänzend von
der Rampe aus sang. In Mozarts Titus hatte sich einer ähnlichen
Feuertaufe Esgi
Kutlo als Annio unterzogen und fügte sich sogar auch spielerisch
nahtlos in das
Ensemble ein. Ihr charaktervoller, agiler und klangschöner Sopran
machte sehr
angenehm auf sich aufmerksam.
Zweimal Servilia - und
zweimal glänzte in dieser Rolle Angela Kerrison, eine junge Sängerin
aus
Botswana, die mit darstellerischem Charme und einschmeichelnd singend
ihre
Partien bestens bewältigte. Vivaldis bösen Titus gab
fest und kraftvoll Sebastian Geyer, der
auch als Darsteller markante Akzente setzte. Den schwankenden Titus aus
Mozarts
Oper, der in der Inszenierung Christian Sedelmayers als blinder Kaiser
über die
Bühne stolpern muss, spielte Winfrid Mikus ergreifend echt, sängerisch
wurde er
den Anforderungen der Rolle mit ihren heiklen Koloraturen durchaus
gerecht,
hatte aber mit der Höhe etwas zu kämpfen. In den Nebenrollen gab es in
beiden Opern tadellose Leistungen.
Hervorzuheben ist auch der großartige Chor in Mozarts „Titus“. Die beiden szenischen
Lösungen sind grundverschieden. Christian Sedelmayer baut auf einen
herrschaftskritischen Ansatz: Titus sind die Zügel seiner Macht längst
entglitten, in seinem Reich verfolgt jeder nur seine eigenen Interessen
- koste
es, was es wolle. Kabale und Liebe beherrschen die Tagesordnung. Im
wahrsten
Sinne blind für die Realität schwankt er in seiner eingeschränkten
Wahrnehmung
zwischen Idealismus und Hilflosigkeit. Am Hof herrschen nur lumpige
Speichellecker oder Intriganten, mehrmals droht der ganze Staatsapparat
einzustürzen. Mit Sarkasmus kommentieren dieses Staatschaos die abstrus
geschmacklosen Kostüme (Bettina Schanz-von Koch). In Unterwäsche wird
Titus aus
dem Bett in die Antichambre geführt, als Kaiser ohne Kleider, tapernd
wie ein
Greis.
Im Gegensatz dazu ist Tito
Manlio in Vivaldis Oper männlich bis in die Haarspitzen, militärisch,
gewaltsam, beinhart. Entsprechend zur Musik sind die Charaktere präzise
gezeichnet, ansonsten muss Regisseur Hendrik Müller kein so großes
Augenmerk
auf die Entwicklung der Handlung legen. Vor allem sorgen hier das
Bühnenbild
(eine blaue Einheitswand, in der sich immer wieder wie beim
Adventskalender
Fenster für alternative Handlungsorte öffnen) und eine ästhetische
Lichtregie
für Wechsel und Lebendigkeit. Die Kostüme von Claudia Doderer (auch
Bühne)
unterstreichen geschmackvoll den Kunstcharakter dieser Opernaufführung
und
nehmen ihr jeden Anschein von Naturalismus. So wird in diesen
unterschiedlichen
Konzepten die zeitliche und geistige Distanz
zwischen diesen beiden Titus-Opern sicht- und
erfahrbar. Paar in Nöten:
Enorme
Qualität an einem alles andere als abschätzig „Stadttheater“ zu
nennenden Haus!
Kein Wunder, dass die Heidelberger Bürgerschaft solche Leistungen ihres
Theaters honoriert und sich durch finanzielle Unterstützung bei der
bevorstehenden gründlichen Sanierung engagiert beteiligt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
* Alternativbesetzung W.
A. Mozart Dietger Holm Christian Sedelmayer Kostüme Bettina Schanz- von Koch Dramaturgie Bernd Feuchtner Chorleitung Jan Schweiger Solisten Tito Winfrid Mikus Vitellia Hyun-Ju Park (a.G.) / Larissa Krokhina* Servilia Angela Kerrison Sesto Jana Kurucová Annio Esgi Kutlo (a.G.) / Olga Privalova* Publio Hubert Wild Sklavinnen Tam Chantawangso Teresa Brandt Miriam Gluth Opernchor und Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg A. Vivaldi Tito Manlio Musikalische Leitung Michael Form Inszenierung Hendrik Müller Bühne und Kostüme Claudia Doderer Lichtdesign Ralf Kabrhel Dramaturgie Bernd Feuchtner Solisten Römische Seite: Titus Manlius, Konsul Sebastian Geyer Manlius, sein Sohn Mariana Flores Vitellia, Tochter des Titus, Geliebte des Geminius Rosa Dominguez Decius, Anführer der römischen Truppen, liebt Vitellia Yosemeh Adjei Latinische Seite : Geminius, Anführer der Latiner, Geliebter Vitellias Lucas Vanzelli Servilia, Schwester des Germinius, Braut des Manlius Angela Kerrison Lucius, latinischer Ritter, liebt Vitellia Yvonne Berg a. G. / Jana Kurocová* Lindus, Diener der Vitellia Gabriel Urrutia Benet Barocktrompete Laura Vukobratovic Fruzsina Hara Continuo Marc Meisel, Cembalo Julian Behr, Theorbe Blockflöte Michael Form Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg
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- Fine -