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Tanztee in Hagen-Haspe
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)
Die Idee, den Romeo-und-Julia-Stoff an die manhattaner West Side in ein Milieu rivalisierender Jugendbanden zu verlegen, hat der West Side Story eine zeitlose Aktualität verliehen. Man muss nicht nach New York schauen, um den Konflikt nachzuvollziehen; da dürfte auch der eine oder andere deutsche Schulhof geeigneten Anschauungsunterricht bieten. Man spricht da gerne von Parallelwelten, in denen Jugendliche mit Migrationshintergrund leben. Die West Side ist sozusagen überall, auch vor der eigenen Haustür. "I like to be in America": Die Sharks
Der Hagener Neuinszenierung könnte man mit viel gutem Willen unterstellen, genau diese Überörtlichkeit vorzuführen, sind doch die gemalten Kulissenversatzstücke ein wenig zu niedlich, die Kostüme der puertoricanischen Sharks zu bunt, die der Jets in ihrer Überzeichnung zu drollig geraten (Ausstattung: Kirsten Dephoff), als dass sie die spezifische Atmosphäre der West Side einfangen könnten. Aber ein bewusstes Moment der Verfremdung und der Distanzierung ist das wohl nicht, sondern eher der nur teilweise gelungene Versuch, das Erfolgsmusical als familientaugliche Unterhaltung zu inszenieren. Wirken die unscharfen Videoeinblendungen, offenbar vom Broadway als glitzernder Gegenwelt, noch durchaus eindrucksvoll, so ist Marias Balkon doch bedenklich klapprig aus Sperrholz zusammengezimmert (und wenn sich die Personen auf dem gerade einmal 3 Quadratmeter großen Balkon erst noch umständlich suchen müssen, wird's unfreiwillig komödiantisch). "When you' re a Jet You're a Jet all the way": Die Jets
Völlig misslungen ist die 4. Szene The Gym (das Aufeinandertreffen der Banden bei einer Tanzveranstaltung), im Original in einer Turnhalle, hier wie ein spießiger Fünf-Uhr-Tanztee in einer miefigen Hagener Vorstadt-Tanzschule arrangiert. Edeltraut Kwiatkowski als überzogen mütterliche Mrs. Gladhand wirkt ebenso deplatziert wie Richard van Gemert als Polizeileutnant Schrank und Horst Fiehl als Sergeant Krupke beide unfreiwillig trottelig und auch Werner Hahn als Drugstore-Inhaber Doc hat die Ausstrahlung eines arbeitsunwilligen Sozialarbeiters. Über diese Figuren ist die Regie von Thilo Borowczak reichlich einfallslos hinweg gegangen. The rumble: Duell am Highway
Die Gewalt ist hübsch wie in Watte verpackt choreographiert: Hier tut sich garantiert niemand weh. Sicher ist es ein Balanceakt, realistische Darstellung und tänzerische Stilisierung gegeneinander abzuwägen; in der Choreographie von Doris Marlis dominiert zu stark der tänzerische und akrobatische Aspekt. Das Bedrohliche, das eben auch zur West Side Story gehört, bleibt fast völlig ausgespart. Zur Vergewaltigung der Puertoricanerin Anita ziehen sich die Jets diskret in die Kulisse zurück eine sicherlich geschmackvolle Lösung, die geradezu symbolisch für die Entschärfung des Stücks steht. "Somewhere": Stefania Dovhan im symbolträchtig blutbefleckten Kleid
So leicht ist die West Side Story aber zum Glück nicht kleinzukriegen, und weil die Szenen der Jets und Sharks ansehnlich choreographiert sind und das Tempo (gerade noch) stimmt, funktioniert" das Stück auch in Hagen, zumal die Sänger ordentlich sind. Tanja Schun ist eine recht opernhafte Maria mit beinahe zu schöner Tongebung ganz ablegen kann sie nicht, dass sie eigentlich im anderen Genre zuhause ist. (Stärker ins Gewicht fällt allerdings, dass sie nicht entfernt wie eine Puertoricanerin aussieht da verzichtet die Maske des Theater Hagen konsequent auf jeglichen Versuch, sie irgendwie fremdländisch aussehen zu lassen.) Als Tony stand in der hier besprochenen Aufführung nicht der hauseigene Tenor Jeffrey Kruger, sondern als Gast Christian Alexander Müller auf der Bühne, der schon als Phantom der Oper" in Essen zu sehen war ein versierter Musical-Darsteller als Strahlemann vom Dienst, der mit blütenweißem Hemd und bestechendem Lächeln den richtigen Musical-Ton findet (manchmal spricht das Vibrato sehr spät an), hier aber offenbar kaum in das Rollenkonzept eingearbeitet wurde und dadurch ziemlich unverbindlich bleibt. Den sängerisch und darstellerisch stärksten Eindruck hinterlässt Marysol Ximénez-Carillo als Anita mit tatsächlich viel puertoricanischer Ausstrahlung und großer Stimme. Durchweg solide sind die Jets und Sharks besetzt. Somewhere" wird von Stefania Dovhan gesungen, die zuletzt in Endstation Sehnsucht starken Eindruck hinterlassen hat (unsere Rezension) und auch hier mit ihrer warmen und leuchtenden Sopranstimme punkten könnte wenn die Nummer nicht im Tempo hoffnungslos verschleppt wäre und musikalisch wie szenisch zum Edelkitsch gerät. "Make of our hands one hand": Tony und Maria
Durchwachsenes ist aus dem Orchestergraben zu hören. Zupackend scharf spielen die Trompeten, überzeugend das Holz; dem umfangreichen Schlagwerk dagegen fehlt zumindest an diesem Abend oft der nötige drive. Problematisch bleibt unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel die Behandlung der Streicher, die zwar sauber spielen, aber eben auch zu sehr im Opern-Gestus bleiben. Der typische Bernstein-Tonfall stellt sich manchmal, aber nicht immer ein. Am Ende der hier besprochenen Repertoirevorstellung gab es freundlichen, nicht enthusiastischen Beifall.
Allzu brave Produktion mit manchen Halbherzigkeiten. Bernsteins geniale Musik hält das aus. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam* Besetzung der rezensierten Aufführung
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Tony
Maria
Die Jets
Riff
Action
Baby John
Professor
Diesel
A-Rab
Velma
Graziella
Anybodys
Die Sharks
Bernardo
Chino
Juan
Pepe
Indio
Luis
Anita
Rosalia
Francisca
Consuela
Athanasia
Rebecca
Die Erweachsenen
Doc
Schrank
Krupke
Gladhand
Ein Mädchen
Pretty Girls
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