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Ohne Leichtigkeit
Von Bernd Stopka
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Fotos von Jörg Landsberg Über viele Jahrzehnte war der "Rosenkavalier" geradezu unantastbar. Man spielte klassisch in wunderschöner Rokoko-Ausstattung und bemühte sich um eine logische und liebenswerte Personenregie. Diese Zeiten sind nun schon länger vorbei und wer noch einmal eine sogenannte "schöne" Inszenierung sehen will, muss sich beeilen. Auch wenn nicht jeder Regisseur die heilige Kuh gleich schlachten und das Publikum schockieren will, bemüht man sich doch immer wieder intensiv um andere Sichtweisen und Schwerpunkte. Auch Hannover hat nun einen neuen "Rosenkavalier". Nachdem die klassische Inszenierung von Eckehard Grübler 2004 durch eine eher unglückliche und ungeliebte Regietheater-Variante abgelöst wurde, stellt jetzt Christof Nel seine Sicht auf das wohl genialste Werk der Zusammenarbeit von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss vor. Octavian (Mathilda Paulsson)mit der Marschallin (Kelly God)
Das Programmheft gibt ein Gespräch wieder, das der Regisseur, die Dramaturgin Dorothea Hartmann und Martina Jochem miteinander geführt haben. Martina Jochems szenische Analyse (so nennt es der Besetzungszettel) ist in die Regiearbeit eingeflossen. Jens Kilian hat zu diesen Überlegungen einen adäquaten Bühnenraum geschaffen. In einem variablen Einheitsbühnenbild werden leuchtendrote Bühnenhänger mit angedeuteter Polsterstruktur über wellenförmige Leitschienen gezogen, ein bisschen wie mäandernde Wände in einer unendlichen Schleife. Nur die notwendigsten Requisiten und Möbel stehen auf der Bühne. Nichts lenkt von den Personen ab, für die Barbara Aigner praktikable Kostüme entworfen hat. Die Personenregie beherrscht ein geradezu kollektives auf sich selbst Besinnen, immer wieder innehalten und nach innen schauen, die Dialoge werden meist zu nebeneinander ins Publikum gesungenen Monologen. Das entspricht den oben genannten Überlegungen. Früher nannte man das Rampensingerei, heute soll das bedeutungsschwangere Personenregie sein.
Die Marschallin (Kelly God) Der Regisseur verweigert geradezu die kleinen, auch auskomponierten Gesten und Handlungen, zu oft geht dabei das Logische des Ablaufs verloren. Und manches wird gegen den Strich gebürstet oder überakzentuiert. Dass die Marschallin während der Rosenüberreichung im Hintergrund mit dem Medaillon erscheint, verwirrt Octavian mehr als Sofies Schönheit (und es ist unnötig, denn die Zusammenhänge sind eh klar). Der flirtende Ochs im Hintergrund soll wohl auf das verweisen, was Octavian (vielleicht) einmal wird und was Sofie (vielleicht) einmal blüht. Dabei ist es oft auch sehr interessant und reizvoll, wenn die Parallelen zwischen Ochs und Octavian, der Marschallin und Sofie beleuchtet werden, beispielweise wenn der junge Liebhaber in der gleichen Haltung auf einem Stuhl sitzt wie der ältere Baron. Aber das ließe sich auch innerhalb eines überzeugenderen Rahmens zeigen. Zu Beginn des ersten Aktes ist die Marschallin in ihrem langen weiten Negligée fast schon eine walkürenhafte Erscheinung. Sie ist als eher handfeste, manchmal genervte, aggressive und wenig liebevolle und liebenswerte Frau gezeichnet - auch in den Momenten, in denen sie in selbstreflektierende Trance fällt. Interessanterweise tut sie dies nicht, wenn es angebracht wäre: Den Monolog über das Altern singt sie zu ihrer alten Kammerfrau gewandt. Sie schaut den anderen selten an, wenn sie mit ihm spricht, redet meist vor sich hin. Dass sie sich am Ende des dritten Aktes nicht beherrscht, sondern heulend hinausläuft, nimmt ihr etwas, wofür sie Generationen von Opernfreunden geliebt haben - Gott sei Dank nur in dieser Inszenierung! Ochs (Albert Pesendorfer) zeigtSofie (Dorothea Maria Marx) wo er "hindenkt"
Furchtbar chaotisch und albern ist das Levée geraten. Im Beisl ist es Octavian/Mariandl, die den sich zunächst wehrenden Baron zuerst ins Bett und danach auszieht. Die Walzer werden zu aggressiven Tänzen und sind Teil einer Gewalt, die von Ochs ausgeht. Der wiederum wird am Ende des zweiten Aktes hart in einen umgedrehten Tisch gebettet. Seine Dienerschaft bedroht und belästigt aggressiv den Arzt. Soll das den "schönen" "Rosenkavalier" als gewalttätiges Stück entlarven? Das Schlussduett singen Octavian und Sofie auf ihren Mänteln liegend in den Bühnenhimmel. Vom Hintergrund aus rückt der schwarzgekleidete Chor wie eine Wand bedrohlich näher. Die Liebenden können nicht fliehen, sondern werden vom um sie kreisenden Chor eingekesselt und fortgedrängt. Natürlich gibt es dann am Ende kein vergessenes Taschentuch und keinen kleinen Mohren. Im ersten Akt bedient ein alter krummer Diener die Marschallin. Gänzlich verloren geht in dieser Produktion die von der Marschallin so eindringlich besungene "Leichtigkeit", das Liebenswerte, das wienerische morbid-selige Lächeln. Das Tiefsinnige, das unter der Oberfläche versteckt ist und spielerisch ans Licht kommt, wurde dem Offensiven und Direkten geopfert. Dabei ist diese Inszenierung keineswegs oberflächlich - sie verschenkt aber ein großes Stück der Vielschichtigkeit des Werkes.
Arzt (Heinz Maraun), Ochs (Albert Pesendorfer) Unter diesen Umständen ist es schwierig über die musikalischen Interpretationen des Ensembles zu schreiben. Wie würde Kelly God die Marschallin in einer anderen Inszenierung singen? Eine tiefe Durchdringung der Partie lässt sich nur stellenweise ahnen. Die Stimme klingt hier im Piano sehr mädchenhaft, im Forte etwas hart, aber sie hat immer wieder wunderschöne Töne.
Dorothea Maria Marx ist im Gegenzug keine naiv mädchenhafte Sofie (obwohl sie im wohl scheußlich-kitschigsten aller Rüschenkleider steckt), sondern eine denkende junge Frau, die das auch gesanglich mit ausdrucksvoller Stimmsubstanz deutlich macht.
Bei Wolfgang Bozic ist vor allem der Regieansatz in besten Händen. Er lässt die Musik kaum schwelgen, da klingt kein wienerischer Charme und keine leichte Heiterkeit aus dem Orchestergraben. Auch er betont das Dramatische, oft sehr direkt und gelegentlich erschreckend hart. Unrühmliches ist über das Orchester zu berichten. Vor allem im ersten Akt hätte man glauben können, es handele sich um ein Wetteifern, wer seinen falschen Ton oder Einsatz am effektvollsten platzieren kann. Im weiteren Verlauf des Abends fingen sich die Musiker und konnten abschnittsweise ihre gewohnte, hohe Qualität erreichen.
Wieder einmal zeigt eine Produktion, dass sich niedergeschriebene Gedanken und Ideen nicht unbedingt überzeugend auf die Bühne übertragen lassen. Und wieder einmal wird dem Werk durch die Betonung einer Idee mehr genommen als gegeben - leider auch musikalisch. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Szenische Analyse
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
SolistenDie FeldmarschallinKelly God
Der Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Polizeikommissar
Der Haushofmeister
Der Haushofmeister bei Faninal
Ein Notar
Ein Wirt
Ein Sänger
Eine Modistin
Ein Tierhändler
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