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The Bassarids
(Die Bassariden)

Opera seria in einem Akt
Text von Wystan Hugh Auden und Chester Kallman
nach der Tragödie Die Bakchen des Euripides
Deutsch von Maria Bosse-Sporleder
Musik von Hans Werner Henze


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 13. September 2008
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Uns trifft keine Schuld….

Von Jochachim Lange / Fotos von Jörg Landsberg

Eine Spielzeiteröffnung mit Hans Werner Henzes Bassariden ist an sich schon ein Verdienst. Es braucht ein großes Orchester, große Chöre und Protagonisten für die anspruchsvollen Hauptpartien. Für ein mittlerweile etabliertes, aber doch nicht überstrapaziertes zentrales Werk der Moderne. Henze behauptete sich mit seinem viersätzigen, ausladenden Einakter vor zweiundvierzig Jahren nicht nur grandios gegen die Übermacht einer Tradition, er hat sie in gewisser Weise sogar abgeschlossen.

Vergrößerung in neuem Fenster Pentheus (Brian Davis) und Chor

Doch nicht nur diese Aura des verspäteten Abschieds eines Genres von seiner großen Zeit scheint hier mit der Souveränität eines Meisters auf, der sich damit obendrein auch gleich noch vom damaligen Diktat der Avantgarde separierte. Auch der große, grundsätzliche Gegenstand war und bleibt Faszinosum und szenische Herausforderung zugleich. Es ist nämlich genau jener Blick in den Abgrund der menschlichen Natur, der schwindeln macht, zu bewältigen. Weder die Musik noch das Libretto, das Wystan Hugh Auden und Chester Kallman aus den Bakchen des Euripides für Henze destilliert haben, erlauben einen Moment des Ausweichens.

Vergrößerung

Pentheus (Brian Davis, l.) und Dionysos (Robert Künzli)

Da wird nämlich im dionysischen Rausch der unbeherrschten Sinne noch jedes Tabu hinweg gefegt, mit der sich der moderne Mensch gleichsam gegen sich selbst, seine zweite ungebändigte Natur, schützt. Sich in Wahrheit aber wohl doch nur in falscher, trügerischer zivilisatorischer Sicherheit wiegt. In Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs etwa vermag das Auftauchen eines verführerischen Trugbildes absoluter Freiheit (oder eben eines fremden, verführerischen Gottes) genügen, um jedes Band zu lösen. Da stürzen nicht nur alte Götter oder geltende Werte und da fällt nicht nur im Kampf um die Macht das Gebot, nicht zu töten. Da zerreißt – gleichsam als Menetekel einer Infragestellung jeder Moralität – auch das Band zwischen Mutter und Sohn. Sicher, es ist zunächst die raffiniert und mit allen Mitteln der Manipulation eingefädelte Rache eines Gottes für vermeintliches „Unrecht“, die dazu führt, dass die Mutter Agaue ihren Sohn, den König Pentheus, zerfleischt, weil sie ihn im Wahn für einen jungen Löwen hält. Das lässt sich aber auch als ein frühes, auf den archaischen Punkt gebrachtes Exempel für den grundsätzlichen Zivilisationsbruch deuten, der sich in der Moderne, und da um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auch in Deutschland ja so grandios ins Perverse eines Völkermordes gesteigert, wiederholte. Als Henzes Oper in Salzburg uraufgeführt wurde, das lag die 68er Revolte, die sich auch damit auseinandersetzte, jedenfalls schon in der Luft.


Vergrößerung in neuem Fenster Pentheus (Brian Davis, r.) und Dionysos (Robert Künzli) und Chor

Die Bassariden sind also schon in ihrem Entstehungskontext vielschichtig. Und sie geben, wohl durchaus bewusst, als Stück auch nicht jedes Geheimnis preis. Sie sind jedenfalls mehr als die Geschichte vom Thebenbesuch eines Gottes, der schnell den Zulauf der Massen bekommt, und mit ihrer Hilfe einen jede (Werte-)Ordnung erschütternden Königsmord inszenieren kann. Vor kurzem hat Christoph Loy in München daraus, nahezu gänzlich neben dem narrativen Pfad der Geschichte, ein vor allem diskursives Theater gemacht. Dort wurden Prinzipien verhandelt. In Hannover hat Regisseur Tilman Knabe jetzt - im Gegensatz dazu - einen dezidiert theatralischen Zugang gesucht. Mit einer deutlich markierten Aktualisierung in eine nahezu unmittelbare Gegenwart. Deutlich vor allem in den banal gegenwärtigen Kampfuniformen und Zivil-Kostümen von Gabriele Rupprecht. Er hat aber auch mit großen Theatereffekten und drastischem, szenischem Illustrieren des rauschhaft Orgiastischen nicht gegeizt. Auf eine totalitäre Gewaltherrschaft deuten dabei schon die bewaffneten Wachposten an den Kontrollschleusen hin, durch die jeder Besucher ins Foyer gelangt. Doch wenn dann vor der holzvertäfelten Rückwand, vor die Bühnenbildner Wilfried Buchholz eine Präsidiumstribüne gebaut hat, mehr eine parlamentarische Öffentlichkeit von heute evoziert wird, dann kollidiert der szenische Willen zur Deutlichkeit mit dieser Bildsprache. Erst recht, wenn die Mörderinnen ihres Königs als Zeichen eines kollektiven „Uns trifft keine Schuld….“ ihre Kleider wieder über die blutbesudelten Unterröcke ziehen und obendrein ein Kranz mit den deutschen Nationalfarben auf die Bühne gebracht wird, dort aber der Kopf und die Leichenreste des Pentheus an der Rampe liegen. Sicher macht es auch schon mal gewaltigen Effekt, wenn die riesige Rückwand nach vorne abkippt und mit einem Windhauch bis in die letzte Reihe zu einer Zäsur im Übergang zum kollektiven Wahnsinn wird. Doch wenn der sich dann auf eine Kopulationsorgie in Unterwäsche beschränkt, dann kommt dieser verspätete Hippierealismus dem Nichtfassbaren, Entfesselten, von dem die Musik ja kündet, mit seiner müden Plattheit in die Quere. Zudem verlangt die Konkretisierung eines kollektiven Ausrastens in einer Welt der Anzugträger und Kostümträgerinnen auch eine irgendwie nachvollziehbare Konkretisierung des Verführers. Doch beim konditions- und ausdrucksstarken Robert Künzli kommt der stets hingeschnodderte Lederjacken- und Jeanstyp mit Zigarette im Mund nur einmal in eine heute nachvollziehbare Verführerrolle: wenn er am Ende wie ein amerikanischer TV-Prediger mit Mikrophon und im weißen Talar auftritt. Der Rest ist Behauptung.

Vergrößerung

Agaue (Arantxa Armentia) und Chor

Brian Davis gibt den Pentheus, wenn auch anfangs etwas steif, als einen psychopatischen Diktator, der nicht davor zurückschreckt, sich sowohl über seine Amme als auch über seine Mutter herzumachen, um dann mit seiner asketischen Staatsdoktrin vor allem gegen sich selbst zu kämpfen. Diese Beore profiliert Okka von der Damerau als stets sorgenvoll seherische Gegenspielerin des Dionysos. Arantrax Armentias hat als Agaue Verve ohne Schärfe, Karen Frankenstein ist solide deren Schwester, Tobias Schabel ein stimmgewaltiger alter Kadmos und Jin-Ho Yoo ein eloquenter Hauptmann. Der Chor wirft sich mit enormem Einsatz in seinen Riesenpart – und Stefan Klingele am Pult des Staatsorchesters fängt die anfänglich zentrifugal wirkenden Kräfte alsbald auch wieder ein. Er setzt im Einklang mit der handfest auf die Nachvollziehbarkeit im Vielschichtigen zielenden Inszenierung auf das Theatralische, das wuchtig Zuspitzende der Musik Henzes, lässt ihre betörend flirrende Subtilität wenigstens hin und wieder anklingen. Das Publikum nahm, von ein paar Buhs für die Regie abgesehen, den Theatervorschlag von Tilman Knabe an.


FAZIT

Es ist schön für den alten Hans Werner Henze und für die Freunde seiner Musik, dass man in Deutschland derzeit zwei extrem unterschiedliche Zugänge zu seinen Bassariden erleben kann. Dass die Synthese, die ins Innere seiner dunklen Poesie vordringt, noch aussteht, ist dabei kein Nachteil. Es ist eher ein Anreiz zu weiteren Versuchen.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Klingele

Inszenierung
Tilman Knabe

Bühne
Wilfried Buchholz

Kostüme
Gabriele Rupprecht

Licht
Susanne Reinhard

Chor
Dan Ratiu

Dramaturgie
Sylvia Roth



Statisterie der Staatsoper Hannover

Chor der Staatsoper Hannover

Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover


Solisten

Dionysos
Robert Künzli

Pentheus, König von Theben
Brian Davis

Kadmos, sein Großvater
Tobias Schabel

Teiresias, ein Seher
Tadeusz Galczuk

Hauptmann der Wache
Jin-Ho Yoo

Agaue, Mutter des Pentheus
Arantxa Armentia

Autonoe, ihre Schwester
Karen Frankenstein

Beroe, Amme des Pentheus
Okka von der Damerau



Weitere Informationen
erhalten Sie von der


Staatsoper Hannover
(Homepage)





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