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Candide zurück in Westfalen!
Von Ursula Decker-Bönniger
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Fotos von Pedro Malinowski
Das MiR eröffnet die diesjährige Saison mit Bernsteins selten zu sehendem Werk Candide, einem Konglomerat aus Oper, Operette und Musical, dessen Vielschichtigkeit nicht nur den Sängern stimmliche Anforderungen und Virtuositäten besonderer Art abverlangt. Ob comic operetta (Bernstein) oder american operetta (MiR) Bernstein hat sich zeit seines Lebens damit beschäftigt, die 1956 uraufgeführte Fassung umzuarbeiten, neu zusammenzustellen und zu kürzen. Auch in der MiR-Inszenierung übernimmt der Conferencier Voltaire (souverän, witzig und unterhaltsam von Joachim G. Maas gespielt) die Rolle des Erzählers und sorgt in Personalunion mit Pangloss, Cacambo und Martin für rasche Übergänge und Klarheit im rasanten Szenenwechsel. Wiedersehensfreude von Candide und Cunigunde
Aber ein bisschen mehr Mut zu aktualisierender, politischer Interpretation, satirischem Biss oder parodistischer Übertreibung hätten der ansonsten recht biederen Inszenierung gut getan. Denn was Voltaire in seiner Novelle unterhaltsam, philosophie- und zeitkritisch anmerkt, hätte auch heutzutage seine Berechtigung - zum Beispiel die Lebensweisheiten des Haus-Philosophen und Leibniz-Verehrers Pangloss: Für ihn könnten die Dinge nicht anders sein als sie sind. Alles, so glaubt er - selbst nach erlittenem Unrecht - sei zum Besten aller Zwecke. Wir haben Nasen, weil sie dazu da sind Brillen zu tragen, Beine wurden sicherlich gemacht, um Prothesen zu halten...- eine anpassungsfähige Weltsicht, in der es vor Doppelzüngigkeiten und Absurditäten nur so wimmelt. Als seine arglosen, gelehrigen und verliebten Schüler - Kunigunde, die jungfräuliche Tochter des Barons und ihr illegitimer Neffe Candide - die als Experimentalphysik ausgegebenen Liebesspiele des Philosophen selbst ausprobieren wollen, muss Candide die beste aller möglichen Welten verlassen, seine Liebste, deren Heirat ihm als gering geschätztem Bastard verwehrt wird und das westfälische Schloss Thunder-ten-Tronck. Candide mit zwei geretteten Hammeln
Regisseur Gil Mehmert inszenierte die nun folgende rasante, märchenhafte Abenteuerreise und Odyssee durch viele Kontinente, auf der Candide in Kriegen, Kolonialismus, Naturkatastrophen, Prostitution, Verbrechen und spanischer Inquisition die wahren Gesellschaftsverhältnisse immer wieder vorgeführt werden, als folkloristische Moritaten-Revue in deutscher Sprache eine Art komödiantisches Stegreiftheater, das allein zum Verständnis des häufigen Orts- und Szenenwechsels auf Klischees zurückgreifen muss. Aber sollten im 21. Jahrhundert nicht Peinlichkeiten wie die alberne Sprache der Inkas, Bewohner des Eldorado oder die abgeschmackte Darstellung der Wilden zurecht gerückt werden? Candide und Cacambo in Eldorado
Dabei scheint der Beginn der Inszenierung so viel versprechend. Die Bühne von Alissa Kohlbusch stellt eine aufgeklappte, von einer Lichterkette umrahmte traumhaft türkiesblaue Weltkugel dar - versehen mit einer Treppe am rechten und linken Kugelrand, einer Drehbühne sowie einer Klappe in der Mitte. Und dann, nach den ersten Takten der farbigen, spritzig gespielten, in die wichtigsten musikalischen Themen einführenden Ouvertüre lümmeln sich zwei gelangweilte Affen auf der Bühne, strecken, rollen und lausen sich ganz wie es ihrer Natur entspricht. Sie sähen nicht, sie ernten nicht und strahlen eine gelangweilte Zufriedenheit aus...ebenso wie Candide schließlich seinem Lehrer widerspricht, sich in intellektueller Bescheidenheit übt und seine Lieben auffordert, den Garten zu bestellen. Zweifel an dieser scheinbaren Idylle lässt Regisseur Gil Mehmert nicht aufkommen. Ob die strahlende Kostümierung von Conferencier und Assistentinnen, die an das 18.Jahrhundert erinnernden Kleider der Schlossbewohner zu Beginn, die später eher zeitlos modern sind - die farbprächtige Kostümierung von Steffi Bruhn hilft, sich im rasanten Wechsel von Realitätsebenen und Spielorten der Handlung zurechtzufinden. In seiner auch bzw. gerade für Opernsänger anspruchsvollen Partie, die u.a.. zwischen Sprech-, Falsett- und Normalstimme wechselt, gewinnt Lars Rühl als Candide zunehmend an Sicherheit und überzeugt vor allem in den lyrisch einfühlsamen Passagen. Diana Petrova als Cunigunde brilliert mit lupenreinen Spitzentönen, aber eine überzeugend parodistische Wirkung will sich nicht einstellen. Wenn auch die Textverständlichkeit an den musikunterlegten Stellen schlecht ist, die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung ihres jungen Dirigenten und gebürtigen Gelsenkircheners Rasmus Baumann überzeugt mit einer spritzigen, den gebotenen Ausdruckswechseln von lyrischen, tänzerischen oder dramatischen Passagen folgenden, in Tempo und Dynamik nuancierten Darbietung.
Mehr Mut zu Interpretation und parodistischer Übertreibung hätten der Inszenierung gut getan. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Comiczeichnungen
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten*Besetzung der Premiere
Voltaire / Pangloss /
Candide
Cunigunde
Paquette
Maximilian
Alte Lady
Großinquisitor / Gouverneur /
Bärenhüter/Inquisitor/Zar Ivan
Händler / Inqusitor /
Pfandleiher / Inquisitor /
Wunderarzt / Inquisitor /
Buchmacher / Inquisitor /
Affe/Baroness/1. Offizier /
Affe / Baron / 2. Offizier /
Assistentin von Voltaire
Assistentin von Voltaire
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