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Musiktheater
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Candide

“American Operetta” in 2 Akten
Libretto von Hugh Wheeler nach dem Roman von Voltaire
Musik von Leonard Bernstein


in deutscher Sprache, Songs mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere am 12. Oktober 2008
im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen


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Musiktheater im Revier
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Candide zurück in Westfalen!

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Pedro Malinowski


Das MiR eröffnet die diesjährige Saison mit Bernsteins selten zu sehendem Werk „Candide“, einem Konglomerat aus Oper, Operette und Musical, dessen Vielschichtigkeit nicht nur den Sängern stimmliche Anforderungen und Virtuositäten besonderer Art abverlangt. Ob „comic operetta“ (Bernstein) oder „american operetta“ (MiR) Bernstein hat sich zeit seines Lebens damit beschäftigt, die 1956 uraufgeführte Fassung umzuarbeiten, neu zusammenzustellen und zu kürzen. Auch in der MiR-Inszenierung übernimmt der Conferencier Voltaire (souverän, witzig und unterhaltsam von Joachim G. Maas gespielt) die Rolle des Erzählers und sorgt in Personalunion mit Pangloss, Cacambo und Martin für rasche Übergänge und Klarheit im rasanten Szenenwechsel.

Vergrößerung in neuem Fenster Wiedersehensfreude von Candide und Cunigunde

Aber ein bisschen mehr Mut zu aktualisierender, politischer Interpretation, satirischem Biss oder parodistischer Übertreibung hätten der ansonsten recht biederen Inszenierung gut getan. Denn was Voltaire in seiner Novelle unterhaltsam, philosophie- und zeitkritisch anmerkt, hätte auch heutzutage seine Berechtigung - zum Beispiel die Lebensweisheiten des Haus-Philosophen und Leibniz-Verehrers Pangloss: Für ihn könnten die Dinge nicht anders sein als sie sind. Alles, so glaubt er - selbst nach erlittenem Unrecht - sei zum Besten aller Zwecke. Wir haben Nasen, weil sie dazu da sind Brillen zu tragen, Beine wurden sicherlich gemacht, um Prothesen zu halten...- eine anpassungsfähige Weltsicht, in der es vor Doppelzüngigkeiten und Absurditäten nur so wimmelt. Als seine arglosen, gelehrigen und verliebten Schüler - Kunigunde, die jungfräuliche Tochter des Barons und ihr illegitimer Neffe Candide - die als Experimentalphysik ausgegebenen Liebesspiele des Philosophen selbst ausprobieren wollen, muss Candide „die beste aller möglichen Welten“ verlassen, seine Liebste, deren Heirat ihm als gering geschätztem Bastard verwehrt wird und das westfälische Schloss Thunder-ten-Tronck.

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Candide mit zwei geretteten Hammeln

Regisseur Gil Mehmert inszenierte die nun folgende rasante, märchenhafte Abenteuerreise und Odyssee durch viele Kontinente, auf der Candide in Kriegen, Kolonialismus, Naturkatastrophen, Prostitution, Verbrechen und spanischer Inquisition die „wahren“ Gesellschaftsverhältnisse immer wieder vorgeführt werden, als folkloristische Moritaten-Revue in deutscher Sprache – eine Art komödiantisches Stegreiftheater, das allein zum Verständnis des häufigen Orts- und Szenenwechsels auf Klischees zurückgreifen muss. Aber sollten im 21. Jahrhundert nicht Peinlichkeiten wie die alberne Sprache der Inkas, Bewohner des Eldorado oder die abgeschmackte Darstellung der „Wilden“ zurecht gerückt werden?

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Candide und Cacambo in Eldorado

Dabei scheint der Beginn der Inszenierung so viel versprechend. Die Bühne von Alissa Kohlbusch stellt eine aufgeklappte, von einer Lichterkette umrahmte traumhaft türkiesblaue Weltkugel dar - versehen mit einer Treppe am rechten und linken Kugelrand, einer Drehbühne sowie einer Klappe in der Mitte. Und dann, nach den ersten Takten der farbigen, spritzig gespielten, in die wichtigsten musikalischen Themen einführenden Ouvertüre lümmeln sich zwei gelangweilte Affen auf der Bühne, strecken, rollen und lausen sich ganz wie es ihrer Natur entspricht. Sie sähen nicht, sie ernten nicht und strahlen eine gelangweilte Zufriedenheit aus...ebenso wie Candide schließlich seinem Lehrer widerspricht, sich in intellektueller Bescheidenheit übt und seine „Lieben“ auffordert, den Garten zu bestellen. Zweifel an dieser scheinbaren Idylle lässt Regisseur Gil Mehmert nicht aufkommen. Ob die strahlende Kostümierung von Conferencier und Assistentinnen, die an das 18.Jahrhundert erinnernden Kleider der Schlossbewohner zu Beginn, die später eher zeitlos modern sind - die farbprächtige Kostümierung von Steffi Bruhn hilft, sich im rasanten Wechsel von Realitätsebenen und Spielorten der Handlung zurechtzufinden.

In seiner auch bzw. gerade für Opernsänger anspruchsvollen Partie, die u.a.. zwischen Sprech-, Falsett- und Normalstimme wechselt, gewinnt Lars Rühl als Candide zunehmend an Sicherheit und überzeugt vor allem in den lyrisch einfühlsamen Passagen. Diana Petrova als Cunigunde brilliert mit lupenreinen Spitzentönen, aber eine überzeugend parodistische Wirkung will sich nicht einstellen. Wenn auch die Textverständlichkeit an den musikunterlegten Stellen schlecht ist, die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung ihres jungen Dirigenten und gebürtigen Gelsenkircheners Rasmus Baumann überzeugt mit einer spritzigen, den gebotenen Ausdruckswechseln von lyrischen, tänzerischen oder dramatischen Passagen folgenden, in Tempo und Dynamik nuancierten Darbietung.


FAZIT

Mehr Mut zu Interpretation und parodistischer Übertreibung hätten der Inszenierung gut getan.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Gil Mehmert

Bühne
Alissa Kolbusch

Comiczeichnungen
Fufu Frauenwahl

Kostüme
Steffi Bruhn

Choreographie
Kati Farkas

Chor
Christian Jeub

Dramaturgie
Juliane Schunke



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Chor des
Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

*Besetzung der Premiere

Voltaire / Pangloss /
Cacambo / Martin
Joachim G. Maaß

Candide
Lars Rühl

Cunigunde
Diana Petrova

Paquette
Anke Sieloff

Maximilian
Piotr Prochera

Alte Lady
Ariane Arcoja

Großinquisitor / Gouverneur /
Vanderdendur / Ragotzki
William Saetre

Bärenhüter/Inquisitor/Zar Ivan
Dong-Won Seo

Händler / Inqusitor /
König Charles Edward
Georg Hansen

Pfandleiher / Inquisitor /
König Hermann August
Charles Moulton

Wunderarzt / Inquisitor /
König Stanislaus
Hyun-Seung Oh

Buchmacher / Inquisitor /
Sultan Achmet
E. Mark Murphy

Affe/Baroness/1. Offizier /
Protestant/Seemann
Thomas Cermak

Affe / Baron / 2. Offizier /
Jacques / 1. Spitzel
Mark Weigel

Assistentin von Voltaire
Irina Castillo

Assistentin von Voltaire
Elisabeth Karner



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



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