Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Ein Nabucco für die zweite Liga
Von Thomas Tillmann
/
Fotos von Matthias Jung Andreas Baesler ist einem als ehemaliger Chefregisseur am Musiktheater im Revier bekannt und war mit Rossinis L'Italiana in Algeri auch in Essen bereits engagiert. Mangelnde Inspiration war mir zuletzt auch bei seiner Inszenierung der ungleich komplexeren L'Africaine in der Nachbarstadt unangenehm aufgefallen - man wurde an beiden Abenden den Eindruck nicht los, dass hier ein sicher zuverlässiger Regieassistent sein Bestes gab, der eigentlich aber nicht wirklich das Zeug zu einem Regisseur hat, der einem Publikum etwas Bedeutendes, Bewegendes oder auch Verstörendes, jedenfalls aber etwas Eigenes mitzuteilen hat. Selbstverständlich hält Baesler sich daran, was offenbar Pflicht ist für Regisseure, die am Aalto-Theater engagiert werden wollen: Männer tragen Frauenkleider, in erster Linie hier der Oberpriester des Baal, der Abigaille assisiert (Michael Haags von unkontrolliertem Vibrato entstellte, unattraktive Stimme war nichts anderes als eine Pein), die in Kampfanzug auf die Bühne kommt und bis zur Machtübernahme natürlich die Hosen anhat, während die babylonischen Herren zum Smoking üppige Straßdiademe tragen - welch subtiles Bild für eine verkehrte Welt, in der Geschlechterrollen durcheinander geraten sind. Alfred Mayerhofer, der selber mit schweren Ketten im Foyer Hof hielt, hatte all dies entworfen, konnte sich aber erst richtig bei Nabuccos traditionellem Königsmantel, Abigailles großer Robe und denen für die babylonischen Damen austoben. Die Produktionsbeteiligten, die Hebräer zu geben hatten, konnten dagegen ihre frühlingshafte Probenkleidung gleich anbehalten oder sich typisch orthodoxe Tracht überwerfen. Da konnte sich wie so viele vor ihm auch Bühnenbildner Harald Thor, der sich bereits 1990/91 mit der Produktion Das schlaue Füchslein in Essen vorgestellt hat, nicht dem Zauber der Drehscheibe entziehen, auf der in schmucklosem Grau zunächst die Wände des Tempels (oder eine stilisierte Klagemauer?) stehen, später dann der mächtige Palastbunker in Babylon in schlichter, klobiger Optik, aber durch die beschriebene Bewegungsmöglichkeiten natürlich immer wieder wandelbar zwischen großzügigen Repräsentationsräumen, Besprechungszimmern und Verliesen. Zaccaria (Michail Ryssov) tröstet und motiviert seine Hebräer(Chor- und Extrachor sowie Statisterie des Aalto-Musiktheaters).
Ansonsten sieht man eine ausgesprochen spannungs- wie ideenarme Inszenierung, die sich von traditionell-muffigen Tournee- oder Festivalproduktionen nur durch das einigermaßen moderne Ambiente in Bühne und Kostüm unterscheidet, brav choreografierte Chöre, fuchtelnde Arme und rollende Augen, hektisches Auf- und Abgehen bei der aufgebrachten Abigaille, die in Nabuccos Safe auch noch Fotoalben und ihre Puppe findet (ein ganz neuer Einfall!), und viel, viel Steherei direkt am Souffleurkasten mit bequemer Sicht auf den jungen Ersten Kapellmeister, dem es an Persönlichkeit und Autorität, vielleicht auch an Erfahrung mit der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts zu fehlen scheint, um der trüben Szene eine funkelnde, mitreißende musikalische Umsetzung mit echten Höhepunkten entgegensetzen zu können. Erwartungsgemäß viel Applaus gab es für den Chor, der so lange überzeugen konnte, wie er nicht zwischen verschiedenen vom Regisseur ausgedachten Positionen wechseln musste. Das vom Publikum sehnlich erwartete "Va, pensiero" hat man viel subtiler und bewegender gesungen gehört, der große Jubel blieb hier zurecht aus. Abigaille (Francesca Patané) erinnert sich früherer Zeiten.
Der römische Bariton Marco Chingari hatte zwar den Vorteil der muttersprachlichen Kompetenz, aber die Stimme an sich ist doch hörbar in die Jahre gekommen, klingt ausgebleicht und weist reichlich heisere Nebengeräusche auf - mancher Moment geriet auf Grund von bröckelnden Tönen zur Zitterpartie. Mehr erwartet hätte ich von Francesca Patané als Abigaille, für die sie grundsätzlich die richtige "Röhre" mitbringt, wenngleich man sich mitunter fragt, ob die angenehme Stimme, die man in leiseren Momenten hört, nicht die eigentliche war und ist. In vielen Momenten zeigt die Sopranistin sich den extremen Anforderungen der Partie durchaus gewachsen, wobei die sicher nicht zufällig an die Callas erinnernden Flaschentönen in der tiefen Lage und die harten, scharfen, durchdringenden hohen Töne an sich den einen oder anderen Zuhörer irritieren könnten. Leider hatte sie akute Probleme gerade am Ende der Cabaletta, da hätte es an größeren Häusern mit unnachsichtigeren Connaisseurs sicher einige Buhs gegeben, vielleicht auch schon wegen der schlappen Kadenz. In Essen dagegen freuten die meisten sich über die enorme, wenn auch ziemlich pauschale Bühnenpräsenz der hochgewachsenen Mailänderin mit ihrer leuchtend roten Perücke. Abigaille (Francesca Patané) trägt Nabuccos Königsmantelund hält die Macht in Babylon für kurze Zeit in ihren ambitionierten Händen.
Weder Almas Svilpa noch Marcel Rosca standen am Premierenabend für den Zaccaria zur Verfügung, so dass Michail Ryssov zum Einsatz kam, der den Zaccaria zuletzt im vergangenen Oktober am La Fenice in Venedig gesungen hat und nun auch hier mit einiger Autorität, schönem Legato, aber etwas monotonem, wenig Farben und wenig Volumen in der Extremtiefe aufweisenden basso cantante und ebensolcher Gestaltung reüssierte. Mit festem Blick auf den Dirigenten und stets besorgt darum, dass seine lyrische, wahrlich nicht zu große Tenorstimme bestens zur Geltung kommt, hatte Felipe Rojas Velozo nicht auch noch Zeit, sich mehr als unbedingt nötig um darstellerische Aufgaben zu kümmern. Bea Robein war anfangs eine vor allem sehr schicke Fenena in elegantem Grün, später dann in Schürze mit demonstrativem Davidsstern eine rührend um die Hebräer bemühte Helferin. In ihrem Solo wusste sich auch vokal wirklich zu berühren, wobei die Stimme in der Höhe etwas träge klingt. Arman Manukyan war ein diskreter Abdallo (mit scheußlicher Perücke), Francisca Devos war als Anna an den ohnehin wenigen Stellen kaum zu hören, auf Grund aufwändiger Kostüme aber immerhin zu erkennen.
Nabucco (Marco Chingari) hat seine Krise überwunden
Ein szenisch wie musikalisch schwacher Abend, der nicht zu einem Haus passt, das sich in der ersten Liga sieht. Vielleicht aber auch ein geschicktes Ablenkungsmanöver, um dann mit der im Mai anstehenden Walküre stärker zu punkten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam* Besetzung der Premiere
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Nabucco
Ismaele
* Felipe Rojas Velozo
Zaccaria
* Michail Ryssov/ Almas Svilpa
Abigaille
Fenena
* Bea Robein
Oberpriester des Baal
Abdallo
Anna
|
© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de