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Das Rheingold

Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend
Text und Musik von Richard Wagner
- Vorabend -

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (keine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 8. November 2008


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Höchste Zeit für einen Weltuntergang

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Vergrößerung in neuem Fenster Weltenpanorama mit kopulierendem Götterchef

Die ersten gingen, da war noch kein einziger Ton gesungen. Wenn sich der Vorhang zu den ersten Takten des Rheingolds öffnet, dann sieht man Wotan heftig kopulierend mit einer, später mit einer zweiten Rheintochter. Am Bühnenrand sind zwei Männer im ebenso ausdauernden wie heftigen Geschlechtsakt (es handelt sich um Donner und Froh, Wotans Bodyguards und ausgesprochen üble Gestalten). Später wird Alberich beim Anblick der Rheintöchter masturbieren. Sex and crime, das bildet den roten Faden in diesem Schmuddel-Rheingold, und bei Regisseur Tilman Knabe hat das immer auch etwas Pubertäres, manchmal allzu plump Provokatives. Nur eine handvoll Premierenbesucher ließ sich dadurch vertreiben, und wenn man durch diese derbe Exposition erst einmal auf Knabes Erzählweise eingestimmt ist, entwickelt sich eine durchaus tiefgründige Perspektive des Werkes.

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Begegnung im Partykeller: Alberich und Rheintöchter

In Essen hat man, dem viel gerühmten Vorbild der Stuttgarter Oper folgend, die vier Teile des Wagnerschen Monumentalopus Der Ring des Nibelungen an vier verschiedene Regisseure vergeben – ein mutiger Versuch, nicht das Kontinuierliche (und vielleicht allzu oft Abgeschrittene), sondern das Divergierende im Ring hervorzukehren. Damit muss der Regisseur des Rheingolds nicht die Fäden auslegen, die in den nachfolgenden drei Abenden des Zyklus fortgesponnen werden, sondern eine eigene, geschlossene Sichtweise finden – und das gelingt Knabe weitgehend überzeugend. Die offene Bühne von Alfred Peter zeigt alle Sphären zugleich, den großbürgerlichen Salon der Wotansippe, an Krupps Essener Villa Hügel angelehnt und akut einsturzgefährdet; die Bauunternehmer Fasolt (im Anzug) und Architekt Fafner (lässig in Jeans) in einer turmähnlichen Behausung wie auf der Leitwarte der Großbaustelle, die Rheintöchter als Prostituierte im Kellerverschlag mit Partyraum, und die Nibelungen als verwahrloste Kinderbande im Untergrund, bereit, die Macht zu übernehmen - die ganze Welt als Collage gegensätzlicher und rivalisierender sozialer Schichten.

Vergrößerung in neuem Fenster Gruppenbild in US-präsidialer Pose (man beachte die Flaggen); links der gefesselte Alberich

Abgrundtief verkommen sind sie alle, die Götter wie die Huren wie die Kinder. Mit brutaler körperlicher Gewalt quälen sie einander; Sympathieträger gibt es da nicht – vielleicht mit Ausnahme von Freia und Fasolt, denen der Regisseur immerhin eine ganz kleine Liebesaffäre gönnt. Bei einer derart pessimistischen Weltsicht braucht es in der Tat keine vier Abende bis zum Untergang; diese Geschichte ist nach zweieinhalb Stunden zu Ende erzählt – der Rest ist nur noch Schlusspunkt der Katastrophe, die längst im Gang ist. Bei aller Schlüssigkeit, die dieses abgrundtief schwarze Konzept besitzt, liegt hier auch ein Schwachpunkt der Inszenierung. Weil im Grunde alles von Beginn an klar ist, gibt es wenig Entwicklung, die Überraschungsmomente sind vordergründig auf den Effekt gebaut – und dadurch hat der Abend trotz mancher starker Bilder auch Längen.

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Schwierige Vertragsverhandlungen: Fafner (links), Loge und Fasolt

Auch kann Knabe seinen entmythologisierten Ansatz nicht immer durchhalten. Am deutlichsten fällt die konventionell inszenierte Erda-Szene heraus; Erda als irgendwie antik-ägyptisch-griechisches Fabelwesen tritt im gleißenden Licht zwar effektvoll, aber wenig plausibel in die Geschichte ein. Auch die Äpfel, die ewige Jugend verheißen, sind noch vorhanden, und sogar der Tarnhelm ist ein Gewirk wie zu Zeiten der Uraufführung. Zunächst sieht es so aus, als sei das Rheingold selbst eine immaterielle Chimäre, aber dann tauchen irgendwo her doch noch Kisten mit Goldketten auf. Das mögen Nebensächlichkeiten sein, aber da an vielen anderen Stellen penibel auf die Umdeutung von Zeichen und Symbolen geachtet wird, fallen diese Dinge umso stärker auf. (Und geradezu abstrus sind manche Um- und Irrwege, die das Personal auf der Bühne zurücklegen muss, um orchestrale Zwischenspiele bei offenem Vorhang zu überbrücken.)

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Weia! Waga! Woge, du Welle" (Schluss des Vorspiels und Beginn der 1. Szene) - Katharina Müller (Woglinde) (
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: "Bin ich nun frei?" (Alberichs Fluch) - Jochen Schmeckenbecher (Alberich)
(MP3-Datei)


Da (mit Ausnahme Erdas) immer alle Darsteller auf der Bühne sind, gibt es neben der eigentlichen Szene häufig Parallelhandlungen – nur selten zum Vorteil, denn sie lenken die Aufmerksamkeit ab und degradieren insbesondere die Musik zur Klangkulisse im Hintergrund. Ganz unschuldig ist Dirigent Stefan Soltesz freilich nicht daran. So sehr der unpathetische, entschlackte Klang und die sehr flüssigen Tempi dem nüchternen und gänzlich unromantischen Regiekonzept entgegenkommen, so fehlt doch mitunter das symphonische Gegengewicht gegen die Flut der Aktionen auf der Bühne. Andererseits geht Soltesz wenig auf die rhetorische Struktur dessen ein, was auf der Bühne gesungen wird; vielmehr bestimmt die orchestrale Linie das Geschehen, auch wenn der Text eine Zäsur fordern würde. Aus der musikalischen Struktur mögen sich Gründe dafür ableiten lassen; in der Wirkung verstärkt es das Übergewicht der Szene zu Ungunsten der Musik. Ein paar Patzer im Blech trüben das Bild der ansonsten sehr guten Essener Philharmoniker.

Vergrößerung in neuem Fenster Was will die hier? So recht passt Erda nicht in dieses Schmuddel-Rheingold.

Gesungen wird durchweg ordentlich und ohne Ausfälle, aber auch ohne wirkliche Glanzlichter. Den stärksten Eindruck hinterlässt der virile Alberich von Jochen Schmeckenbecher, sehr engagiert gespielt und gesungen. Almas Svilpa ist ein Wotan mit profunder Tiefe und sicherer Höhe, aber etwas neutral im Ausdruck. Vom Stimmcharakter allzu leicht besetzt ist der Loge mit dem wendigen, aber im Klang dünnen Rainer Maria Röhr. Ansonsten eine solide Ensembleleistung.


FAZIT

Rheingold einmal ohne den Rest des Rings - trotz einiger Schwachpunkte ein insgesamt spannender und schlüssiger Interpretationsansatz - der allerdings die Musik oft zur Nebensache macht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Tilman Knabe

Bühnenbild
Alfred Peter

Kostüme
Kathi Maurer

Licht
Jürgen Nase

Dramaturgie
Wilfried Buchholz



Kinder-Statisterie
des Aalto-Theaters


Essener Philharmoniker


Solisten

Wotan
Almas Svilpa

Donner
Heiko Trinsinger

Froh
Andreas Herrmann

Loge
Rainer Maria Röhr

Alberich
Jochen Schmeckenbecher

Mime
Albrecht Kludszuweit

Fasolt
Andreas Macco

Fafner
Marcel Rosca

Fricka
Ildiko Szönyi

Freia
Francisca Devos

Erda
Ljubov Sokolova

Woglinde
Katharina Müller

Wellgunde
Bea Robein

Floßhilde
Barbara Kozelj






Weitere Informationen
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Da capo al Fine

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