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Louise

Musikalischer Roman in vier Akten und fünf Bildern
Libretto und Musik von Gustave Charpentier


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (keine Pause)

Premiere im Theater Duisburg am 27. September 2008
Besuchte Aufführung: 21. Oktober 2008


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Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Familienkrach bei Louise

Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub

Bei seiner 16. Regiearbeit für die Deutsche Oper am Rhein erteilt Christof Loy Charpentiers Sozialrealismus eine Absage, bei ihm gibt es keine Arbeiter, Künstler und einfachen Leuten auf der Bühne wie bei der Uraufführung der Louise im Jahre 1900 (was damals ungewöhnlich war, dem Publikum aber sehr gefiel; bis 1956 erlebte der "musikalische Roman" allein an der Pariser Opéra Comique rund 1000 Aufführungen und wurde weltweit zu einer der meistgespielten Opern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts!), denn "die konkrete Schilderung eines mittlerweile nicht mehr existierenden Milieus ist für uns heute im Hinblick auf zeitgemäße Ästhetiken nicht mehr interessant". Näherin aber darf Louise durchaus noch sein, den Beruf gibt es ja heute auch noch, aber ansonsten eliminiert der Regisseur vieles, was dem Komponisten wichtig war, denn für ihn fußt das Werk zwar "auf der Realität, überhöht und verzerrt diese aber in eine aus Emotionen, Träumen und unterschiedlichen Zeitebenen zusammengesetzten Wirklichkeit". Und so wird auch Hauptdarstellerin Paris, die von Charpentier selbst durchaus bereits als verklärtes, traumhaft verzerrtes Bild gezeichnet wird, von Christof Loy, dem Kenner der Mädchenseele, letztlich "weggekürzt" (so etwa das "Paris s'éveille" zu Beginn des zweiten Aktes, von dem nichts als die Musik und der jetzt nicht mehr richtig passende Text bleibt), auch das Fest der Montmartre-Bohème ist nichts weiter als eine piefige Betriebsfeier, zu der man nicht eingeladen werden möchte und dessen Star Louise mit Nerzcape und Strasstiara ist. Verzichtbar waren auch die scheußlichen Bildcollagen von der Firma helbig dialogdesign GmbH (deren Geschäftsführer Kurt Helbig ist, der zugleich die Abteilung Marketing und Kommunikation der Rheinoper leitet - honi soit qui mal y pense), auf denen Louise und Julien stümperhaft auf Bilder vom Klischee-Paris montiert waren - das hätte Klein-Louise mit ihrem Bildbearbeitungsprogramm am heimischen Rechner sicher besser hinbekommen. Zudem hatte ja nun auch der letzte Zuschauer inzwischen verstanden, dass das "Klang-Werden der Großstadt Paris ... den emotionalen Zustand der Hauptfigur" beleuchtet und nichts weiter ist als "Projektionsfläche für ungelebtes Leben". "Louise muss ... damit leben, dass ihr Leben ein ungelebtes sein soll." - so lautet die zentrale Idee dieser Produktion nun einmal.

Foto kommt später Louise, ein unglückliches Mädchen unserer Zeit (Sylvia Hamvasi)

Grund dafür ist, dass die Protagonistin, ein verstörtes, albernes Mädchen mit Kinderrucksack, das mitunter ohne erkennbaren Grund zu kichern beginnt, das von ihrer Mutter ein Bonbon verpasst bekommt (man wartet nur darauf, dass diese der Tochter mit Spucke die Mundecken säubert) und später vom Vater ein Lätzchen, sich nicht aus ihrer als missbräuchlich dargestellten Familie lösen kann, in der der Vater natürlich der Täter ist und die Mutter "als Mittäterin die Rolle der frustrierten Ehefrau" spielt, "die den Mann schützt und die Tochter als Konkurrentin wahrnimmt, weil sie spürt, dass sie weniger das erotische Zentrum in der Familie ist als Louise". Für dieses Grundkonzept ("alles, was auf der Bühne passiert, sind Materialisierungen der Ängste, Träume und Hoffnungen von Louise") braucht man nichts weiter als einen "relativ neutralen Einheitsbühnenraum, der für mich das Wartezimmer auf das große Glück bedeutet", und so steht dem Unterfangen "Wir nehmen quasi durch Louise hindurch das Geschehen war" nichts mehr im Wege. Und so ist auch Julien letztlich nicht mehr als eine fiktive Figur, "die Louise erfindet, um sich zu befreien. Julien ist ihre Hilfskonstruktion, an die sich sich klammert". Im letzten Bild trägt er schließlich einen Arztkittel und erscheint so als Louises medizinischer Betreuer oder Therapeut.

Foto kommt später

Die Missbrauchsfamilie (von links nach rechts): Der Vater (Sami Luttinen), die Mutter (Marta Marquez) und Louise (Sylvia Hamvasi)

Absolut zwingend, rasend geistreich oder wirklich überraschend-innovativ ist Loys Arbeit nicht, durchgehend spannend auch nicht, trotz mancher eindrucksvoller, dichter Bilder und einer wie immer bei diesem Regisseur sehr guten, einfühlsamen und detaillierten Personenregie - man muss sich eben auf das Konzept einlassen, aber angesichts dessen man allerdings wie bei vielen dieser Produktionen genauso gut "Warum?" fragen kann wie Regietheater-Fans gern "Warum nicht?" fragen. Weitaus überzeugender fand ich in jedem Fall die Dortmunder Aufführungen, wo Louise und auch die "Fortsetzung" Julien im Dezember 2000 Premiere hatten, damals übrigens unter der musikalischen Leitung des designierten GMDs der Rheinoper, Axel Kober, so dass man hofft, dass die Charpentier-Oper unter der neuen Intendanz auch noch ihre Übernahme in Düsseldorf und damit mehr Gerechtigkeit erfährt. Denn auch musikalisch hatte das Haus im östlichen Ruhrgebiet die Nase vorn: Das unpoetische, unelegante, mitunter auch einfach unsaubere Spiel der Duisburger Philharmoniker nimmt das kühle Bühnengeschehen auf. Laut Presseinformation war Jonathan Darlington angetreten, die "musikalischen Farben der typisch französischen Oper ... zum Leuchten (zu) bringen" - eine zu vollmundige Ankündigung, denn was aus dem Duisburger Graben klang, war ein polternder, grobschlächtiger, meistens zu lauter Klangbrei, der das Bühnenpersonal zudeckte und den sensiblen Zuhörer verstörte, ohne dass man die wahre Schönheit dieses bemerkenswerten Werkes angemessen hätte erfahren können.

Foto kommt später Louise (Sylvia Hamvasi) versucht der Enge des elterlichen Hauses mit Missbrauchshintergrund zu entkommen, indem sie in ihren Träumen zu Juliens Braut wird.

Guylaine Girard hat die Louise alternierend mit Mireille Delunsch im Sommer an der Bastilleoper gesungen (ich erinnere mich an ihre ganz ordentliche Rozenn in der Lütticher Serie von Lalos Le roi d'Ys im März diesen Jahres) und wiederholte an der rechten Bühnenseite ihre Interpretation der Titelfigur, während die erkältete Sylvia Hamvasi auf der Bühne agierte (und mitunter in ihrer Rastlosigkeit ziemlich laut mitflüsterte). Ganz ordentlich fand ich die Leistung der Französin mit ihrem schlanken lyrischen Sopran von einiger Durchschlagskraft und delikatem Piano auch diesmal, nicht weniger und nicht mehr - ein bisschen mehr Raffinement und vor allem Stimme darf es für diese Partie eigentlich schon sein, die im Klavierauszug als soprano dramatique ausgewiesen wird und die ein Freund einmal als französische Tosca bezeichnet hat (in der Rezeptionsgeschichte finden sich nicht zuletzt Namen wie Mary Garden, Geraldine Farrar, Grace Moore und Felicity Lott; dass in anderen Aufnahmen Ileana Cotrubas und Beverly Sills an den Pulten standen, heißt ja nichts), zumal in einer Produktion, in der aus ungenannten Gründen das Werk ohne Pause gespielt wird, was Darsteller wie Zuschauer an Grenzen führt und völlig überflüssig ist (böse Zungen behaupteten, Loy wolle damit verhindern, dass die Zuschauer das Haus vorzeitig verlassen).

Respekt verdient die Leistung von Sergej Khomov als Julien, auch wenn sein Timbre doch eher ein italienisches ist, manchmal ein bisschen zu viel Druck bei der Tonproduktion im Spiel ist und der französische Text nach wie vor nicht einfach für ihn ist. Trotzdem findet er den richtigen schwelgerischen Ton für diese Partie, die Stimme klingt auch entspannter als erinnert, ein suggestiver Interpret, der viel Herzblut investiert und der ja auch schon häufiger bewiesen hat, dass er skurril sein kann, ist der Russe auch, und so fragt man sich einmal mehr, warum man ihn erst jetzt wieder in diesem Repertoire hört, in dem er zu Beginn der Intendanz Tobias Richters bereits reüssiert hatte, namentlich als Des Grieux in Massenets Manon, die immer noch als eine der erfolgreichsten Produktionen und als einer der wenigen wirklich großen Momente dieser Ära in Erinnerung ist.

Foto kommt später

Der Traum geht weiter: Louise (Sylvia Hamvasi) wird zur Königin des Fests, das im "Wartesaal zum großen Glück" gefeiert wird (Ensemble, Chor und Statisterie der Deutschen Oper am Rhein).

Über weite Strecken indiskutabel war die Besetzung der Eltern. Marta Marquez und Sami Luttinen sind verdiente Ensemblemitglieder, zeigten sich aber mit ihren Partien deutlich überfordert: Während der Bass, dessen reifer Ton zunächst ganz gut zu den spießbürgerlichen Weisheiten passt, die er als Vater abzuliefern hat, mit der für ihn zu hohen Tessitura kämpfte, stellenweise nur noch Mitleid erregend brüllte und sich weder vokal noch darstellerisch mit Rolle und Regiekonzept wohl zu fühlen schien, war die Mezzosopranistin mit ihrer dünnen, mehr und mehr verblassenden Stimme mitunter kaum noch zu hören, da halfen keine strengen Blicke und keine große Darstellungskunst, hier fehlte es schlicht an Klang und Substanz, an Volumen in der Tiefe, an der nötigen Härte, um das Wesen dieser kalten Mutterfigur auch vokal zu transportieren. Gleiches gilt für Nassrin Azarmi, die nicht nur eines des wenigen schönen, aber auch nicht bedeutenden Kostüme von Ursula Renzenbrink vorführen durfte, sondern auch klägliche Stimmreste, während Gwendolyn Killebrew immer noch erstaunliche Töne und Präsenz anzubieten hat, Romana Noacks Sopran an Farbe und Format gewonnen hat und Fabrica Farina sich besonders als Pape mit ironischem Ton und darstellerischem Elan hervortat.


FAZIT

Konzeptlos ist Christof Loys Sicht von Charpentiers Louise nicht, aber durchweg überzeugend kann sie auch nicht, zumal musikalisch zum Teil kein akzeptables Niveau geboten wird. Furios ist anders!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jonathan Darlington

Inszenierung
Christoph Loy

Bühne
Barbara Pral

Kostüme
Ursula Renzenbrink

Dramaturgie
Thmas Jonigk

Lichtdesign
Volker Weinhart

Chor
Gerhard Michalski

Choreografische Mitarbeit
Thomas Wilhelm



Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Mädchen- und
Jungenchor

Die Duisburger
Philharmoniker


Solisten

Louise
Guylaine Girard (Gesang)/
Sylvia Hamvasi (Spiel)

Julien
Sergej Khomov

La Mère
Marta Marquez

Le Père
Sami Luttinen

La petite chiffonière
Léa Pasquel

La glaneuse
Iryna Vakula

La plieuse
Elisabeth Selle

Le bricoleur
Michail Milanov

Le gavroche
Marianne Folkstad Jahren

La balayeuse
Nassrin Azarmi

La laitière
Maria Hermann

Un marchand d'habits
Fabrice Farina

Premier Gardien
Joseph Szalay

Deuxieme Gardien
Cesar Dima

Irma
Romana Noack

Camille
Véronique Parize

Gertrude
Gwendolyn Killebrew

Elise
Léa Pasquel

Suzanne
Iryna Vakula

L'apprentie
Marianne Folkestad Jahren

Blanche
Elisabeth Selle

Marguerite
Sibylle Eichhorn

Madeleine
Izabella Turhan

La première
Marta Marquez

Le pape des fous
Fabrice Farina

Stimmen hinter
der Bühne
Cesar Dima
Marianne Folkestad Jahren
Romana Noack
Véronique Parize
Joseph Szalay
Iryna Vakula







Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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