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Musiktheater
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Moses und Aron

Opernfragment in zwei Akten
Text und Musik von Arnold Schönberg


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf am 20. März 2009


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Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Die Kraft der Musik und der reine Gedanke

Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub

Arnold Schönberg hat immer wieder – und meist nicht ohne ironische Brechung - geäußert, dass zukünftige Anerkennung die Geringschätzung seitens seiner Zeitgenossen (seine Schüler und eine Reihe von Komponistenkollegen sicher ausgenommen) wett machen werde. Im Hinblick auf sein vielleicht bedeutendstes Werk, die unvollendet gebliebene Oper Moses und Aron, hat sich das durchaus bewahrheitet, hat das Werk doch etliche Festspielweihen erfahren und steht längst im Rang eines Klassikers der Moderne. Darüber dürfen auch die relativ geringen Aufführungszahlen nicht hinweg täuschen: Nicht mangelnde Wertschätzung steht einer weiteren Verbreitung entgegen, sondern die exorbitant hohen musikalischen Schwierigkeiten, nicht zuletzt wegen der riesigen und horrend schweren Chorpartie.

Foto kommt später Soll man dem hilfsbedürftigen Volk die Kraft des Geistes oder handfeste Rituale geben? Moses (Micheal Ebbecke, stehend) und Aron (Wolfgang Schmidt)

Am Ende der Intendanz von Tobias Richter wagt sich nun die Deutsche Oper am Rhein an das so bedeutende wie komplizierte Stück. Bereits 1968 wurde das Werk hier inszeniert (durch Georg Reinhardt und mit dem Dirigenten Günther Wich) und ging quer durch Europa auf Tournee – ein Meilenstein der Rezeptionsgeschichte aus großen Tagen des Hauses. Dramaturgin Hella Bartnig schien in ihrem Einführungsvortrag vor der Premiere selbst nicht so recht daran zu glauben, dass seinerzeit 50 (!) Aufführungen der Produktion gelaufen sind. Jetzt ist die Regie Christoph Nel anvertraut, der wie üblich Martina Jochem für eine „szenische Analyse“ mitgebracht hat. Und wie so oft bei Nel stellt sich schnell das Gefühl ein, dass auf der Bühne alles zwar irgendwie furchtbar richtig, aber doch geradezu klinisch sauber und dadurch auch wieder uninteressant ist: Mehr für das Programmheft als für die konkrete Aufführung. Da sind die Leute in Alltagskleidung (oder das, was Regisseure für Alltagskleidung halten, was aber wahrscheinlich niemand außerhalb des Theaters trägt), die uns ins Heutige entführen, weil es natürlich irgendwie um uns geht. Da bläst die Windmaschine schauerlich, weil fliegende Papierfetzen immer bedrohlich wirken und das Volk Schutz vor dem Sturm, der natürlich immer auch ein metaphorischer ist, sucht. Da fließt viel Theaterblut. Da ist ein abgeschlossener Bühnenraum (Roland Aeschlimann), aus dem es kein Entkommen gibt. Kurz: Das ist ein szenisches Vokabular, das man irgendwie schon hundertmal gesehen hat, nicht ganz falsch, deshalb aber auch noch nicht ganz richtig.

Foto kommt später

Auch eine Form von Machtkampf: Moses (links) und Aron

Moses verhängt für die neue Religion ein striktes Bilderverbot; er abstrahiert die Idee vom „einzigen, ewigen, unsichtbaren und unvorstellbaren Gott“ und scheitert an der Unvermittelbarkeit dieses nicht fassbaren Gedankens. Aron sieht seinen Auftrag darin, das Volk aus der Gefangenschaft und Wüste zu retten (auch dies im metaphorischen Sinn), und braucht dafür eben die von Moses verbotenen Symbole und Zeichen als Nachweis oder zumindest als Orientierungspunkt der göttlichen Existenz. Darin lassen sich leicht Parallelen zu Schönbergs künstlerischer Biografie und der von ihm entwickelten Methode der „Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“ ziehen: Ein Disput über Schönbergs mathematisch-abstrakte Zwölftonmusik und, kontrovers dazu, eine das Gefühl ansprechende und darin „bildhafte“ (aber aus Schönbergs Sicht zu überwindende) Tonsprache. Das birgt gleichzeitig den Grundkonflikt des Werkes, das als Oper an sich eine traditionell bildhafte Ästhetik repräsentiert, diese aber gleichzeitig musikalisch negieren müsste. Hier liegt wohl auch der eigentliche Grund, dass Schönberg den (im fertigen Libretto sehr kurzen) dritten Akt nicht mehr vertonte: Das Bilderverbot in musikalischen Bildern zu fassen barg einen unlösbaren Widerspruch.

Foto kommt später Das Volk fordert von Aron die Wiederaufnahme des alten Götzendiestes

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Einziger, ewiger, allgegenwärtiger, unsichtbarer und unvorstellbarer Gott" (1. Szene) - Michael Ebbecke (Moses), Chorsolisten
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: "Du, Sohn meiner Väter" (1. Akt, 2. Szene) - Wolfgang Schmidt (Aron), Michael Ebbecke (Moses)
(MP3-Datei)


Auf der Bühne wird diese Künstlerproblematik nicht sichtbar, aber sie durchzieht die musikalische Interpretation. Das Kernstück der Oper ist der Tanz um das goldene Kalb, bei dem archaische Blutopfer zeremoniell gefeiert werden. Das ist die Vorlage für eine an Strawinskys Sacre du printemps orientierte Ballettszene konventionellen Zuschnitts, und auch Salomes „Tanz der sieben Schleier“ bietet auf den ersten Blick ein vergleichbares Formmodell für eine in die Handlung eingeschobene Szene mit illusionierender Musik. Bei Schönberg ist das auch immer wieder angedeutet (schließlich gehört der Götzendienst zur Sphäre der alten, zu überwindenden Kunst); und das hebt Dirigent Wen-Pin Chien auch hervor. Er trifft den feinen Grad zwischen einem expressiven, sinnlichen Klang und einer analytischen, letztendlich mathematisch konstruierten Melodik mit der notwendigen Sachlichkeit. Das orgiastische Moment ist angedeutet, aber immer wieder zurück genommen. Szenisch bleibt dagegen vieles unklar. Die Opferrituale sind letztendlich konventionell inszeniert, mit Jungfrauen im weißen Hochzeitskleid und Henkern in Schlachterschürzen und mit langen Messern. Da lässt sich so ziemlich alles hineininterpretieren.

Nel interessiert sich eher für die soziologisch-politische Dimension: Eine Gesellschaft befindet sich im Zustand der (moralischen) Orientierungslosigkeit und kanalisiert die eigene Aggressivität durch das ritualisierte und damit zum Gesetz erhobene Töten in Form der Opferung. Der bereits erwähnte abgeschlossene Bühnenraum mit einer Wendeltreppe ins Leere symbolisiert Allgegenwart und Aussichtslosigkeit, hat aber auch eine gewisse Beliebigkeit - so etwas passt auf jede zweite Operninszenierung, und letztendlich scheint die Hauptfunktion zu sein, den großen Chor längs der Diagonale auf einer Treppe platzieren zu können, was immerhin überzeugend gelingt. So richtig greifbar wird da kein Thema. Es sieht irgendwie alles nach Nel aus, und das ist zwar besser als vieles andere, was man an Theatern zu sehen bekommt, aber ein kleines bisschen enttäuscht es bei einer ambitionierten Produktion wie dieser schon.

Foto kommt später

Ziemlich konventionell: Opferung von vier Jungfrauen

Schlüssig ist der Ansatz, Moses und Aron nicht als Antipoden im Sinne eines „entweder-oder“, sondern eher als zwei Aspekte der gleichen Idee darzustellen. Aron ist (was durch das Libretto gedeckt ist) das Sprachrohr, durch das sich Moses' Ideen mitteilen. Moses ist von Michael Ebbecke mit der Würde eines biblisch alten Propheten verkörpert, Aron auf jung getrimmt (so ganz jugendlich ist Darsteller Wolfgang Schmidt ja auch nicht mehr). Wenn der Regisseur den Aron am Ende des zweiten (und damit am Ende des auskomponierten Teils) Aktes sterben lässt, dann überlebt hier die reine Idee ihre gescheiterten Umsetzungsversuche. Nel lässt, wie inzwischen üblich, die Oper mit dem zweiten Akt enden, das Libretto zum dritten Akt kann man im Programmheft nachlesen. Es ist oft festgestellt worden, dass die Oper auch in der vorliegenden Gestalt eigentlich „fertig“ sei, Zweifel daran sind aber angebracht: Den ausladenden Opferszenen des zweiten Aktes müsste ein nachfolgendes Gegengewicht entsprechen, dass sie szenisch wie musikalisch relativiert. Der relativ verhaltene Schlussapplaus dürfte auch Ausdruck einer Unsicherheit bezüglich dieser unklaren Proportionen des Werkes sein: Am Ende fehlt dann eben doch etwas.

Musikalisch allerdings ist die Produktion grandios, und für diese außerordentlich sorgfältige Einstudierung ist der Rheinoper allerhöchstes Lob zu zollen. Chor und Extrachor (Einstudierung: Christoph Kurig und Gerd Michalski), die seit anderthalb Jahren an dem Stück arbeiten, singen mit beeindruckender Sicherheit. Die komplexe Aufsplitterung in verschiedene Untergruppen ist hervorragend durchhörbar, der Klang nuanciert und flexibel, dabei immer homogen und unangestrengt. Der Wechsel zwischen gesprochenen und gesungenen Passagen verläuft bruchlos und dürfte Schönbergs Klangideal sehr nahe kommen. Und dem Dirigenten Wen-Pin Chien gelingt es fast durchgehend, einen kammermusikalischen Klang zu erzeugen und auch in den Massenszenen differenziert und gut durchhörbar zu musizieren. Es mag hier und da (aber doch sehr selten) noch einen zu massigen Klang geben, und manche Blechbläser-Einsätze könnten weicher sein – das sind Kleinigkeiten angesichts einer durch und durch imponierenden Gesamtleistung, an dem natürlich auch die ausgezeichneten Düsseldorfer Symphoniker ihren Anteil haben.

Foto kommt später Resignation: Moses und der (hier bereits im zweiten, bei Schönberg erst im - nicht komponierten - dritten Akt sterbende) Aron

Glänzend besetzt ist der Moses mit Michael Ebbecke, der den (auf Tonhöhe notierten) Sprechgesang in allen Facetten mit sonorer Stimme auslotet. Nicht minder beeindruckend der Aron von Wolfgang Schmidt, der seine Karriere als Bayreuther Siegfried vom Dienst ja an der Rheinoper begann und, auch wenn die Zwischentöne unter der Wagner-Karriere gelitten haben, immer noch mit heldentenoraler Kraft glänzen kann. Im Piano mag der eine oder andere Ton mit der Souveränität einer großen Karriere „gemogelt“ sein; im Forte gelingen Schmidt feine Abstufungen, und er hat jederzeit die Reserven, um sich gegen den Chor zu behaupten. Durchweg überzeugend besetzt sind die vielen kleineren (deshalb noch lange nicht leichten) Partien, hervorgehoben sei der souverän gesungene Priester des, mag die Stimme auch brüchig geworden sein, unverändert mit hoher Präsenz singenden Michail Milanov.


FAZIT

Musikalisch meistert die Deutsche Oper am Rhein den Kraftakt in jeder Hinsicht bravourös, szenisch nicht ganz schlecht, aber entscheidend neue Akzente setzt die etwas unbestimmte Regie von Christoph Nel sicher auch nicht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wen-Pin Chien

Inszenierung
Christoph Nel

Bühne
Roland Aeschlimann

Kostüme
Silke Willrett

Licht
Volker Weinhart

Chor
Christoph Kurig

Gerd Michalski

Szenische Analyse
Martina Jochem

Dramaturgie
Hella Bartnig



Chor und Extrachor der
Deutschen Oper am Rhein

Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Die Düsseldorfer
Symphoniker


Solisten

Moses
Michael Ebbecke

Aron
Wolfgang Schmidt

ein junges Mädchen
Elena Brilova

eine Kranke
Cornelia Berger

ein junger Mann
Michael Pflumm

ein Jüngling
Martin Shalita

ein anderer Mann
Dmitri Vargin

ein Priester
Michail Milanov

1. Jungfrau
Elena Brilova

2. Jungfrau /
Sopran-Solo
Elisabeth Selle

3. Jungfrau /
Mezzosopran-Solo
Katarzyna Kuncio

4. Jungfrau /
Alt-Solo
Laura Nykänen

Ephraimit /
Bariton-Solo
Stefan Heidemann

Ältester /
Bass-Solo
Lukasz Konieczny

Älteste
John In Eichen
Andrzej Saciuk
Bodo Brinkmann
Bruno Balmelli
Günes Gürle
Henryk Jureczko
Peter-Christoph Runge
Daniel Djambazian
Benno Remling






Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



Da capo al Fine

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