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Un ballo in maschera
(Ein Maskenball)

Melodramma in drei Akten
Text von Antonio Somma nach dem Libretto
von Augustin Eugène Scribe zu der Opéra-historique
Gustave III ou le bal masqué
von Daniel Francois Esprit Auber

Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 7. September 2008

Besuchte Aufführung: 21. September 2008


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Theater Bonn
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Lahme Psychologie-Nachhilfestunde zu spannenden Verdiklängen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu


Im Oktober 2005 inszenierte Immo Karaman mit demselben Team am Theater Dortmund Verdis La Traviata, und damals lautete mein persönliches Fazit, "dass ich diese Produktion nicht ein weiteres Mal anschauen möchte". Gleiches gilt im Prinzip auch für die Neuproduktion von Un ballo in maschera, die allerdings deutlich schwächer ist als der oben erwähnte Abend, wäre da nicht das bemerkenswerte Dirigat von Will Humburg, an dessen hervorragende Gesamtaufnahmen bei der Firma Naxos man sich ebenso erinnert wie an großartige Abende in Hagen, Essen oder auch in Münster, wo er einige Jahre GMD war. Humburg hat nicht nur eine kompetente Werkanalyse fürs Programmheft verfasst, sondern es gelingt ihm auch, vieles daraus im Laufe der Vorstellung umzusetzen, ohne dabei trocken-akademisch oder "pädagogisch" zu dirigieren. Man freute sich über die geradezu kammermusikalische Transparenz, die ihm am Pult des Beethoven Orchesters gelang, die Ausgewogenheit der einzelnen Gruppen und des Gesamtklangs, die nie nachlassende Spannung und pulsierende Glut des Musizierens, das große Gespür für Rubati, die Flexibilität hinsichtlich der Tempi, nicht zuletzt in den großen dramatischen Momenten, in denen er Tenor und Sopran durch geschicktes Anziehen sehr entgegenkam, die inspirierenden, abwechslungsreich gestalteten Begleitfiguren, die stets kontrollierte, aber nie "kastriert" wirkende Lautstärke - ein großes Kompliment an den unermüdlichen, uneitlen Motivator und Arbeiter im Graben.


Vergrößerung in neuem Fenster Schon ganz zu Beginn des Bonner Maskenball wird Riccardo (George Oniani) tödlich getroffen.

Immo Karaman hat Shirley Sugermans Narzissmus als Selbstzerstörung gelesen und als Schlüssel zu Verdis Un ballo in maschera entdeckt, seine Dramaturgin Ulrike Schumann hat ein paar prägnante Zitate daraus fürs Programmheft ausgewählt, ohne dass sich nach deren Lektüre der Regiesansatz für Menschen, die nicht zum Produktionsteam gehören (und das ist die Mehrheit, pardon), wirklich mitgeteilt hätte - gelangweilt und genervt verlässt man das Bonner Opernhaus, das man ja nicht aufgesucht hat, um eine Nachhilfestunde in Psychologie zu bekommen, sondern um einen spannenden Opernabend zu erleben. Den freilich bleibt das Regieteam über weite Strecken schuldig.

Riccardo wird bereits zu Beginn der Aufführung das erste Mal erschossen - zum Schein, wie man kurz darauf realisiert, bis in die Details der "Auferstehung" sorgfältig inszeniert (seine Position am Boden ist mit Klebestreifen vorgegeben, sie erinnern den ganzen Abend an den Beginn) und keineswegs ohne tieferen Sinn: "Eine Beziehung von Person zu Person ist offenkundig unmöglich, wo die Furcht herrscht, das eigene Selbst zu verlieren oder bis in den Kern des eigenen Seins aufgelöst zu werden. Laing ... hat festgestellt, dass die gefürchtete Gefahr selbst dialektisch als Mittel wirkt, um der Gefahr zu entgehen. Den Tod vorzuspiegeln, wird zum Mittel, am Leben zu bleiben; um die eigene Selbständigkeit zu bewahren, schließt man sie ein." (Shirley Sugerman)


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Es war doch alles nur Spiel: Riccardo (George Oniani) hat seinen Tod nur inszeniert, denn "den Tod vorzuspiegeln, wird zum Mittel, am Leben zu bleiben" - weiß Shirley Sugerman und übernimmt Immo Karaman.

Riccardo, seine psychischen Befindlichkeiten und all seine verschiedenen "Rollen", die die Inhaltsangabe auflistet (der Herrscher, der Vergnügungssüchtige, der Gefangene, der Gönner, der Geliebte, der Herausforderer des eigenen Schicksals, der Gepriesene, der Liebeserzwinger, der Betrüger des Freundes, der Fliehende, der Feind, der Entsagende, schließlich der Vollstrecker des eigenen Schicksals), stehen im Zentrum der Aufführung, die heute spielt, alle sind in schwarze Anzüge gehüllt, mit denen man in den Büroetagen unserer Zeit mit all ihrem kühlen, glänzenden Schwarz, Glas, Sicherheitsgittern, Neonröhren und permanent hin- und hergeschobenen Türen und Wandstücken gute, unauffällige Figur macht (Johann Jörg und Nicola Reichert besorgten die Ausstattung, die man unbedingt aufbewahren sollte, denn in ihr lassen sich noch zwanzig andere Werke problemlos spielen).

Nicht weniger wichtig ist für das Regieteam Louisa Ulrika, Mutter Gustav III., der sich ja eigentlich hinter dem aus Zensurgründen umbenannten und nach Boston "verbannten" Riccardo verbirgt - warum hat man sich eigentlich nicht für die Originalnamen, vielleicht auch für die Originalfassung entschieden, die ja vor einigen Jahren rekonstruiert wurde? Jene Louise Ulrika jedenfalls war nicht nur Tochter des "Soldatenkönigs" Friedrich Wilhelm I. und Schwester Friedrich des Großen, sondern auch Mutter jenes Gustav, von ihrem Bruder als "jähzornig, hochmütig und intrigant" beschrieben, von Ronald D. Gerste in seiner Monographie über den schwedischer Monarchen als "machtbesessene und ehrgeizige Frau", die ihre eigenen Ambitionen freilich auf ihren Erstgeborenen projizieren musste. Die wechselvolle Beziehung zur Mutter sollte Gustav prägen: "Wahrscheinlich lag in dem von übertriebenen Liebkosungen zu übertriebenen Anforderungen wechselnden Verhalten der Mutter der Keim für Gustavs ambivalente Einstellung Frauen gegenüber. Als Gesprächspartnerinnen, auch in politischen Fragen, sollte er sie schätzen, selten jedoch übten sie einen sexuellen Reiz auf ihn aus." Als sich freilich Riccardos Assistentin Oscar bei ihrer ersten Arie aus ihrem schwarzen Hosenanzug befreit, darunter ein Showkostüm aus eben dem Stoff sichtbar wird, aus dem wenig später auch Mamas Robe gefertigt sein wird, und sich lasziv auf seinem Schreibtisch räkelt, ist der Monarch plötzlich doch recht angetan. Unterstützung erfährt Oscar seitens einer Gruppe von Showgirls, die von nun an in vielen Szenen in wechselnden Kostümen das Geschehen kommentieren und "aufwerten", nicht selten im Rhythmus der Musik, was man sich ebenso leid gesehen hat wie die stilisierten Gesten und durchchoreografierten Auf- und Abgänge der Choristen und Statisten, für die wohl auch Fabian Posca verantwortlich ist, oder das ständige Herumschlängeln von Doubles der Protagonisten.


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Referentin Oscar (hier: Anna Virovlansky) betört Riccardo (George Oliani), der sich mit dem Holzschiffchen seine (natürlich nicht verarbeitete) Kindheit ins ansonsten nüchterne Büroambiente holt.

Und dann geht's ans Aufarbeiten, nicht ins Völkerkundemuseum: Zu den Klängen der Ulrica-Szene tritt "der Junge" auf, er hält ein ähnliches Holzschiff in der Hand wie Riccardo es auf seinem Schreibtisch als einziges Requisit hat, er darf sogar die eigentlich den Popolane zugeteilte Phrase "Oh, come tutto riluce di tetro!" singen und so sein Unbehagen ausdrücken, die harte Mama mit Krone, aber kaum sichtbaren Gesicht (die nebenbei als Sekretärin in Riccardos Vorzimmer schafft, wie man sich erinnert) macht ihm das Schiff kaputt, er darf Silvano Geld und Beförderungsurkunde aushändigen, während der "große Riccardo" von weitem die Szenen seiner Kindheit betrachtet, die sich eilig in Ulricas Küche verlagern, wo sie selbst, nunmehr als blondmähnige Schlampe im Morgenmantel und mit Hochprozentigem und Kippe in der Hand residiert und ihren Jungen am Lederhalsband vorführt - alles klar?


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Mutter Ulrica (Daniela Denschlag, links) liest Riccardo (George Oniani) vor aller Augen die Leviten.

Auch bei der Auseinandersetzung im Hause Renatos - eine Sofalandschaft auf der einen, ein in passenden Grüntönen gefließtes Bad auf der anderen Seite - vermutet man, dass es nicht wirklich um die Aufarbeitung der Ereignisse der Nacht geht, sondern um Ehekrisen, die sich am schwedischen Hof abgespielt haben und bei denen der kleine Riccardo ein bisschen zu viel mitbekommen hat. Amelia flüchtet ins Bad, hilft dem Jungen beim Anziehen, hat aber offenbar keinen Empfang, um sich per Handy Verbündete zu holen (auch dies ein typischer Fehler dieser wie mancher Inszenierung ähnlicher Machart, denn auf die nicht ganz unwichtige Arie des Renato achtet da natürlich kaum noch jemand). Das ändert sich bald, denn die Einladung zum Maskenball trifft mittels Mobilfunk ein, wird jedoch von Oscar dann aber der Partitur folgend auch noch persönlich ausgesprochen, übrigens in einem Commedia dell'arte-Kostüm, dem einzigen Hinweis auf traditionelle Verkleidungen an diesem Abend. Dass der erwachsene Riccardo Teile der Verschwörung mithören darf, hat sich der aufmerksame Leser vermutlich schon denken können, dass Renatos Wohnung von der Bühnentechnik abgebaut wird, ist ähnlich vorhersehbar und originell wie der Umstand, dass die weiblichen Gäste beim finalen "Ball" erneut große Ähnlichkeiten mit Louisa Ulrica haben. Und wieder wird Riccardo erschossen, wieder steht er auf, man merkt, dass es nur ein Statist war, denn auf einmal taucht der "echte" Riccardo noch einmal auf, das Ensemble zieht ihn auf seine Sterbeposition, er singt seinen Abschied körperlich unversehrt im Stehen, und irgendwann hat man einfach keine Lust mehr weiter aufzupassen, wie er denn nun wirklich zu Tode kommt - wenn überhaupt.


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Renato (Mark Morouse) ist außer sich und bedroht Sohn (Andreas Theobald) und Gattin (Irina Oknina).

Musikalisch war der Abend insgesamt besser: Einen hervorragenden Interpreten für den Riccardo hatte man mit George Oniani aufgeboten, der eine bis in die Höhe leicht ansprechende, farbige, nicht zu kleine, aber auch nicht zu dramatische Tenorstimme von angenehmer Farbe sein eigen nennt, viel von bewegtem Legatogesang versteht und sich auch als sehr flexibel in Phrasierung und Dynamik erwies.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "La rivedra nell'estasi" (Arie des Riccardo aus dem 1. Akt, Auszug) - George Oniani (Riccardo)
(MP3-Datei)


Bereits angesichts ihrer wirklich guten Desdemona im Juni 2007 hatte ich die "schönen Töne einer schlanken, apart timbrierten Stimme, die für mein Empfinden vorerst freilich noch mehr zur Violetta des ersten Aufzugs der Traviata passt als zu den großen Rollen des lirico spinto-Fachs", gelobt. Die Ballo-Amelia ist eine der dramatischsten Partien dieses Fachs, an der die Russin zwar nicht scheitert, der sie aber den spezifischen Klang schuldig bleibt, der wirklich dramatischen Stimmen eigen ist. Nichtsdestotrotz singt sie besonders ihre beiden Arien mit großer Intensität, herzzerreißend im besten Sinne gelingt ihr das mit perfekter mezza voce angegangene "Morrò", in dem man sich freilich auch an den wunderbaren Celli ergötzen konnte!

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Morrò, ma prima in grazia" (Arie der Amelia aus dem 3. Akt, Auszug) - Irina Oknina (Amelia)
(MP3-Datei)


Mark Morouse hatte alle Töne für den Renato und ist ein versierter Sänger, aber die Stimme hat leider wenig Farbe, viel Vibrato und einen eher unattraktiven, ältlich-blaßen Klang, und ein faszinierender Darsteller ist er leider auch nicht. Daniela Denschlag, die in diesem Jahr immerhin an der Wiener Staatsoper als Brangäne und Herodias engagiert war, ist wohl eher im deutschen Fach zuhause und wird sicherlich eine gute Klytämnestra im Januar sein. Ihrer Ulrica fehlte für mein Empfinden bei allen charaktervollen, expressiven Tönen die italienische Farbe. Julia Novikova war ein gut gelaunter, charmanter Oscar mit großem virtuosem Potential, das sie nicht zuletzt in einer aberwitzigen Kadenz während des "Balls" demonstrieren durfte, die meines Wissens allerdings nicht von Verdi vorgesehen ist. Mit der überschaubaren Rolle des Samuel war Martin Tzonev weniger überfordert als mit der großen des Méphisto im Faust, an Ramaz Chikviladzes Tom dagegen konnte man sich schon auf der Rückfahrt nicht mehr recht erinnern. Beim Erscheinen von Lee Poulis als sehr attraktiver Silvano ging ein Raunen durch die Reihe, und viel Sympathie erspielte sich Andreas Theobald angesichts der hier sehr aufgewerteten Rolle des Jungen, der eben nicht nur der Sohn Amelias und Renatos ist, sondern auch Riccardo als Kind. Eine solide Leistung ist den Damen und Herren des Chores zu bescheinigen.


FAZIT

Psychologie ist eine faszinierende Wissenschaft und zweifellos häufig ein Schlüssel für wunderbare, bewegende Inszenierungen. Karamans Ballo zählt nicht zu ihnen, das konnten seine Lehrer Hilsdorf und Konwitschny einfach besser. Und ich habe nicht zuletzt den Eindruck, dass sich diese Art von Regietheater inzwischen doch überlebt hat, zumal zwischen den spannenden Szenen auch mancher szenische Leerlauf zu beklagen war. Trotzdem lohnt der Besuch der Aufführung, denn man hört einige gute Sänger und kann sich an Will Humburgs spannendem Dirigat delektieren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Immo Karaman

Choreografie
Fabian Posca

Bühne
Johann Jörg

Kostüme
Nicola Reichert

Licht
Thomas Roscher

Chorleitung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Ulrike Schumann

Leitung der Bühnenmusik
Christopher Sprenger


Statisterie des Theater Bonn

Chor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten




Riccardo
George Oniani

Amelia
Irina Oknina

Renato
Mark Morouse

Oscar
Julia Novikova

Ulrica
Daniela Denschlag

Samuel
Martin Tzonev

Tom
Ramaz Chikviladze

Silvano
Lee Poulis

Ein Richter
Josef Michael Linnek

Ein Diener Amelias
Vahan Markarian

Der Junge
Andreas Theobald

Showgirls
Anke Ernst
Verena Hahn
Birke Göddertz
Angelina Rießer
Aleksandra Schiwek
Iris Schnitzler
Anne Stone




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