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Die Entführung
aus dem Serail

Deutsches Singspiel in drei Aufzügen
Dichtung von Christoph Friedrich Bretzner,
bearbeitet von Gottlieb Stephanie d. J.
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 29. März 2009


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Theater Bonn
(Homepage)

Von Frauen und Islamisten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Einmal zwischendurch schallt ein einsames „Buh“ durch den Zuschauerraum: Da wird der Bassa Selim gerade ziemlich gewalttätig gegen seine Haremsdamen, deutet eine Vergewaltigung an (zu der es dann nicht kommt) und drückt sie mit dem Gesicht ins Wasser: Brutalität als Ausgleich der Frustration über sein vergebliches Bemühen um Konstanze. Ein Bild, das nicht allen Zuschauern gefällt, das aber auch betroffen macht und zu den besseren Momenten dieser Inszenierung gehört. Dass die Entführung aus dem Serail nicht unbedingt ein Familienstück sein muss, haben ja schon andere Regisseure gezeigt, etwa Dietrich Hilsdorf oder Calixo Beito. In Bonn gibt jetzt Markus Dietz in Zusammenarbeit mit Kostümbildnerin Henrike Bromber den Provokateur – oder versucht dies zumindest.


Vergrößerung in neuem Fenster Eigentlich das "richtige" Paar: Konstanze (Sigrún Pálmadóttir) und Bassa Selim (Hanno Friedrich)

Die Entführung wandelt musikalisch ja ohnehin auf einem schmalen Grat zwischen Singspiel-Heiterkeit und großer Oper. Wenn Konstanze sich den „Martern aller Arten“ widersetzen will, dann bietet Mozart alle instrumentalen und vokalen Mittel auf und lässt die Gattung „Singspiel“ geradezu explodieren – das sollte sich auch auf der Bühne erkennen lassen. Markus Dietz lässt wenig Zweifel, dass der Bassa Selim für die Konstanze die bessere Partie wäre als der kreuzbrave Belmonte (und sie selbst sieht das wohl auch so), allein fühlt sie sich durch das Heiratsversprechen dem Verlobten verbunden. Diese Ambivalenz der Gefühle ist in der Inszenierung klar und plausibel herausgearbeitet. Zudem ist der Bassa eine gebrochene Persönlichkeit zwischen Brutalität und Fürsorge gegenüber seinen Frauen, was Schauspieler Hanno Friedrich allerdings manchmal überzieht. Schwierig wird es mit den Nebenfiguren, denen man in diesem Kontext die komödiantische Ausrichtung nicht abnimmt – und Dietz ist dazu nicht allzu viel eingefallen, sodass es manche Leerstelle in der Inszenierung gibt.

Noch problematischer ist eine weitere Ebene der Regie. Dietz bietet eine Riege von Haremsdamen auf, die so aussehen, als seien sie direkt aus Fellinis Stadt der Frauen herüber gekommen und den Herren auf der Bühne gehörig einheizen. Knappes Höschen, hautfarbener BH (ob der nahe liegende völlige Verzicht darauf dem Theater anstößig erschienen ist?), schwarzes Kreuz auf jedem Busen. Soll es hier um Frauenbilder gehen? In einer Szene stehen die Damen aufgereiht nebeneinander, wobei eine völlig in eine Burka eingekleidet ist und eine nach der anderen immer etwas knapper bekleidet. Geht es gar um Frauenbilder im Islam und im säkularisierten Westeuropa? Und dann mutieren die Damen mehr und mehr zu Terroristinnen, wie auch der Chor im Finale wie eine illustre Gruppe von militanten Islamisten aussieht. Zwingende Gründe dafür liefert die Inszenierung nicht (Partitur und Musik schon gar nicht). Da bleibt der reichlich fade Beigeschmack, dass hier viel inszenatorischer Lärm um letztendlich nichts gemacht wird.


Vergrößerung in neuem Fenster Es wird viel Papier zerissen in dieser Inszenierung - hier Belmonte (Mirko Roschkowski)

Klangbeispiel Klangbeispiel: "O, wie ängstlich, oh, wie feurig" Mirko Roschkowski (Belmonte)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: "Martern aller Arten" (Auszug) - Sigrún Pálmadóttir (Konstanze)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: "Mit Zärtlichkeit und Schmeicheln" - Julia Novikova (Blonde)
(MP3-Datei)


Eindrucksvoller ist da schon das Bühnenbild (Mayke Hegger), ein Kubus auf der Drehbühne, der mit Papier umspannt ist, das immer wieder eingerissen wird. Auch wenn sich der Effekt im Verlauf des Stückes abnutzt, entstehen hier eindrucksvolle Bilder. In den ausgerissenen Flächen kann man mit etwas Phantasie maurische Torbögen sehen, was immerhin eine reizvolle ästhetische Ausdeutung des türkischen Sujets ist. Der Boden dieses Kubus steht unter Wasser, Schatten- und Videoprojektionen sorgen für eine dichte Atmosphäre. Und das Ambiente konzentriert, nicht das schlechteste, auf die Personenführung und die Musik.


Vergrößerung in neuem Fenster Konfliktlösungsstrategien unter Männern: Osmin (Ramaz Chikviladze, Mitte) dragsaliert Pedrillo (Tansel Akzeybek, links) und Belmonte (Mirko Roschkowski)

Im Zentrum der Inszenierung steht natürlich die Person der Konstanze. Sigrún Pálmadóttir verkörpert sie mit außerordentlichem Engagement und es gelingt ihr sehr gut, die Zerrissenheit der Figur darzustellen. Sängerisch beeindruckt sie mit einem glasklaren, intensiv leuchtenden Ton. Die Koloraturen sind ordentlich, manchmal etwas unscharf gesungen. Was den Gesamteindruck trübt, ist die mitunter sehr ungenaue Intonation. Mirko Roschkowski singt den Belmonte mit sehr leichtem, aber lyrisch geschmeidigem Tenor, in den schnellen Passagen nicht immer sattelfest, aber insgesamt sehr schön und stilsicher – wobei er durch den Stimmcharakter gegenüber der sehr viel dominanteren Konstanze an den Rand gedrückt wird: Ein Schöngeist, aber eben (auch stimmlich) keine erotische Alternative zum Bassa Selim.

Vergrößerung in neuem Fenster

Weibliche Dominanz: Blonde (Julia Novikova) und Osmin (Ramaz Chikviladze)

Mit großer und dröhnender Buffo-Stimme gestaltet Ramaz Chikviladze den Osmin, dürfte mit mancher sehr eigenen Tempovorstellung den Dirigenten ins Schwitzen gebracht haben. Diese Figur schwankt sehr unbestimmt zwischen Komödianten-Konvention und einem „modernen“ Konzept, das die gewalttätige Seite Osmins betont. Das bleibt doch sehr schwammig und unbestimmt. Immerhin darf Osmin in fremdem Idiom (dabei dürfte es sich wohl um Türkisch handeln) mit Pedrillo debattieren – Tansel Akzeybek spielt und singt mit erheblichem Furor, verausgabt sich aber zu früh. Was sängerisch am Premierenabend furios begann, endete in heiserem Krächzen. Musikalisch rundum überzeugend ist die Blonde von Julia Novikova, charmant gespielt und mit blitzsauberem Soubrettentonfall auf den Punkt gebracht. Wolfgang Lischke am Pult des guten Beethoven-Orchesters dirigiert unprätentiös, der Chor singt ordentlich.

Zum Schlussapplaus gab es dann ein paar vereinzelte Buhs sowie ein paar Bravos. Schauspieler Hanno Friedrich versuchte, - die Geste hat er wohl vom Fußball übernommen - das Publikum zu heftigeren Reaktionen zu animieren – mit sehr, sehr bescheidenem Erfolg. Glaubt er wirklich, mit dieser nicht ganz schlechten, bestimmt auch nicht überragenden Produktion Skandalgeschichte schreiben zu können? Dazu bedürfte es dann schon mehr als ein paar Islamistenklischees und hautfarbener Büstenhalter.


FAZIT

Konstanze liebt Selim, heiratet aber Belmonte: So ganz neu ist diese Idee nun auch wieder nicht. So wechseln sich starke Bilder und allerlei Albernheiten ab, ohne dass die Inszenierung zu einer klaren Linie fände. Musikalisch viel Licht und einige Schatten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Lischke

Inszenierung
Markus Dietz

Bühne
Mayke Hegger

Kostüme
Henrike Bromber

Licht
Max Karbe

Chorleitung
Ulrich Zippelius

Dramaturgie
Ulrike Schumann


Statisterie des Theater Bonn

Chor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten


* Besetzung der Premiere

Bassa Selim
Hanno Friedrich

Konstanze
Julia Kamenik /
* Sigrún Pálmadóttir

Blonde
Julia Novikova

Belmonte
Mirko Roschkowski

Pedrillo
* Tansel Akzeybek /
Mark Rosenthal

Osmin
Ramaz Chikviladze



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