Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
In Berlin rollen Köpfe
Von Annika Senger Mit fernöstlichem Märchenkitsch hat Lorenzo Fiorinis Inszenierung von Giacomo Puccinis letzter Oper Turandot wenig zu tun: Er verzichtet auf jegliche chinesisch wirkende Bühnen-Ornamente, ebenso auf südostasiatische Gesangssolisten. Bis auf den südkoreanischen Tenor Yosep Kang in der Rolle des Pong sind die Figuren in ihrem Aussehen vorwiegend mitteleuropäisch gehalten. Turandot selbst tritt als hochgewachsene kühle Blonde in Erscheinung, was ihre Gefühlskälte gut unterstreicht. Inmitten einer kargen Kulisse verfolgen Zuschauer in blasser Alltagskleidung die Hinrichtungszeremonien der heiratsunwilligen Prinzessin. Wie in einem Theater sitzen sie auf durchnummerierten Stühlen, während der Kaiser das Geschehen in seiner Loge verfolgt. Die kaiserlichen Minister Ping, Pang und Pong nehmen in diesem Schauspiel die Rollen der Spaßmacher ein, was allerdings nicht ohne Galgenhumor funktioniert. Mehrmals kostümieren sie sich und ahmen mit übertriebenen Gesten Turandots „Köpfspielchen“ nach. Diese kleinen komödiantischen Einlagen erzielen den Effekt, dass das Publikum zwischendurch ein paar Momente zum Lachen hat. Der durchgehend solide Gesang von Simon Pauly, Jörg Schörner und Yosep Kang ist das I-Tüpfelchen der schauspielerisch gelungenen Auftritte dieser drei Buffo-Gestalten. Im Allgemeinen setzt Fiorini weniger auf dekorativen Pomp als auf ein musikalisches Hörerlebnis mit bombastischen Chorpassagen und hervorragenden Solisten. Das Orchester unter Leitung von Pinchas Steinberg spielt mit großer Dynamik, Dramatik und klanglicher Tiefe. Man spürt, dass Steinberg die Partitur akribisch bis ins letzte Detail mit den Musikern erarbeitet und seine Begeisterung für die Oper auf sie übertragen hat Lise Lindstrom verkörpert die Rolle der Turandot mit einer gesanglichen Darbietung, die vollkommen dem Charakter der Figur entspricht: Ihr stählern kühles Timbre, das besonders in der Höhe böse und anklagend klingt, macht Turandots Seelenqualen lebendig. Dass sie Mitteltöne verschluckt, verzeiht man ihr. Schließlich ist Turandot innerlich gebrochen. Die Sopranistin meistert es außerdem, die Ängste der Prinzessin vor dem Heiraten nach außen zu transportieren und erweckt damit zumindest Ansätze von Sympathie für diese durch und durch unsympathische Gestalt. Marco Berti bildet als Calaf einen stimmigen Gegenpol: Die Partie lebt von seiner warmen, vollen Stimme, was er nicht nur in italienischer Heldentenor-Manier mit dem „Schlager“ der Oper „Nessun Dorma“ unter Beweis stellt. Während er diese Arie vorträgt, stören allerdings flimmernde Video-Projektionen von schlaflosen Chinesen die ergreifende Atmosphäre. Weniger visuelle Effekte wären an dieser Stelle sicherlich mehr! Die Partie der Sklavin Liù ist bestens aufgehoben bei Inna Los. Voller emotionaler Hingabe, einschmeichelnder, stimmlicher Schönheit und einer gekonnten Modulation singt sie sich zum Star des Abends. Bei der Folter- und Sterbeszene im dritten Akt löst sie mit ihrem Ausdruck von Scherz und verzweifelter Liebe ein Gefühl von Beklommenheit aus. Warum Calaf sich ausgerechnet in die boshafte Turandot verliebt hat, fragt man sich wohl automatisch in jeder Inszenierung dieser Oper, doch Los' berührende Interpretation lässt diese Frage noch lauter werden. Während Lindstrom und Berti den fulminanten Abschluss des dritten Aktes besiegeln, baumelt Liù reglos an einem Seil über der Bühne. Von der jungen Sopranistin wird man aber mit Sicherheit noch viel Positives zu hören bekommen.
Nicht unbedingt ein Fest für die Augen, doch auf jeden Fall für die Ohren! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Video
Chor
Solisten
Turandot
Altoum
Timur
Kalaf
Liù
Ping
Pang
Pong
Mandarin
|
© 2008 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de