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Musiktheater
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Un re in ascolto (Ein König horcht)

Azione musicale (Musikalische Handlung) in zwei Teilen
Text von Italo Calvino und Luciano Berio
Übersetzung von Burkhart Kroeber
Musik von Luciano Berio


in deutscher Sprache, teilweise mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1 Std. 30' (keine Pause)

Premiere im Großen Haus der Städtischen Bühnen
am 2. Februar 2008


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)
Große Oper über die Unmöglichkeit von Oper

Von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Hörnschemeyer


“Ich habe ein anderes Theater geträumt.“ Luciano Berio (1925 – 2003) lässt mit den ersten Worten seinen Theaterdirektor Prospero aussprechen, was ihm bei der Komposition von Un re in ascolto vorschwebte – und was letztendlich uneinlösbar war. „Mein Reich ist nicht zu sehen noch zu berühren, es ist nicht dieser Bühne Brettergerüst“ sinniert Prospero in seiner vierten von fünf Arien. Sein Reich existiert nur in der Musik, ein Reich des Horchens. Er stirbt, und spiegelbildlich siegt das reale Theater über die Imagination in Gestalt einer Operndiva, der „Protagonistin“: „Alles an dir ist unvollständig, Prospero. Die Schönheit ist erloschen, Prospero. Mein Theater ist mein, mein Gesang ist Klage um dich, Prospero.

Vergrößerung in neuem Fenster Als würde man durch den sechsfachen Fernseher schauen: Ensemble

Berio treibt ein assoziationsreiches intellektuelles Spiel nicht nur mit Shakespeare, und er verwendet die konventionelle Form der Nummernoper als Schema. Das Scheitern von Oper ausgerechnet in Form einer Oper zu gestalten ist eine heikle Angelegenheit, wenn nicht eine Unmöglichkeit – das ist wohl der Hauptvorwurf, den man gegen das Werk erheben kann. Dennoch bezieht die Oper ihren Reiz gerade durch diese paradoxe Situation. Berios teilweise entrückte, oft berückend schöne Musik grenzt sich von der Szene ab. Eine Seelenverwandtschaft besteht zu Richard Wagners Tristan und Isolde, deren Vereinigung sich in der Musik – und nicht auf der Bühne – abspielt. Nicht ohne Grund hat Berio sein Werk als „Handlung“ (so bezeichnet auch Wagner sein Musikdrama) tituliert.

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Bei solchen Kostümen träumt man schnell von anderem Theater: Der Regisseur (Andrea Shin, links) probt mit dem Schauspieler Freitag (Georg Blüml)

Besonders undankbar ist es für den Regisseur, der ausgerechnet die Bühnensituation zu schaffen hat, die vom imaginären Hör-Theater überwunden werden soll (schon von Uraufführungs-Regisseur Götz Friedrich sind ordentliche Flüche überliefert). In Münster setzen Regisseur Ernö Weil und Ausstatterin Karin Fritz einen riesigen an zwei Seiten offenen Kubus wie eine Insel – Prosperos „Theater-Insel“ - auf eine Bühne, die durch eine sechsfach gestaffelten Rahmen mit abgerundeten Ecken so banal wirkt, als blicke man durch sechs Fernseher hindurch ins Leere. Um diese Insel herum wird viel Show geboten. Man beobachtet eine Theaterprobe mit Chor, und irgendwann eilen durch den Zuschauerraum Rettungssanitäter auf die Bühne. Das wird wohl nicht Alltag am Theater sein, zeigt aber glaubwürdig die Rückseite der Theaterzauberwelt. Darin folgt Weil ziemlich eng den Vorgaben des Librettos. Eine lineare Handlung ist bei Berio nur angedeutet, und Weil spiegelt das mit einer recht unübersichtlichen Szenerie, die zwar die Grundsituation erfassbar macht, aber das Chaos nicht im Detail aufschlüsselt. Das setzt sich im Einsatz der Übertitel fort, die nur dann eingeblendet werden, wenn sich im Text das „Ideentheater“ widerspiegelt – warum dann aber die deutsche Übersetzung und nicht das (mehrsprachige, vorherrschend italienische) Original gesungen wird, ist nicht plausibel.

Vergrößerung in neuem Fenster Das Ende naht: Prospero (Andrew Mayor) erleidet einen Schwächeanfall; um ihn herum u.a. Krankenschwester (Heike Splittgerber), Arzt (Mario Brell) und Gattin (Suzanne McLeod)

Es gibt viel Tohuwabohu, und mittendrin sitzt der sterbende Prospero, den Königsmantel mehr schlecht als recht tragend und trotzdem von großer Würde. Das ist das Bild des Abends, das in Erinnerung bleibt und auch einige Suggestionskraft besitzt. Von diesem Standpunkt aus ist die Regie durchaus gelungen. Man kann aber auch anders argumentieren: Weil zeigt als Kontrast zu Prospero viele überkommene Theaterformen, karikiert gezielt von der opera seria bis zur Fernsehshow mit Disco-Beleuchtung, vom Regietheater (da hängt die Sängerin, die zum Vorsingen erscheint, in Kreuzigungspose an der Kubuswand) bis zum Ausstattungs- und Kostümspektakel diverse Genres, und alles ist irgendwie schlecht – aber auf die Abgrenzung von gutem zu schlechtem Theater, gar auf postmoderne Medienkritik, die man darin erkennen könnte, kommt es Berio sicher nicht an. Auch ist die Frage, ob heute, fast ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung (Salzburger Festspiele 1984), der intellektuell geprägte Diskurs um die Gattung „Oper“ wirklich für ein Stadttheaterpublikum von Interesse ist, oder ob die poetischen Qualitäten der Musik in einer weniger werktreuen, vielleicht abstrakteren Inszenierung besser zum Zuge kämen. Andererseits kann man der Regie nicht vorwerfen, die (konzeptionellen und konstituierenden) Probleme des Werkes zu ignorieren.

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" ... die Erinnerung im Zwielicht, eine Erinnerung an die Zukunft ..." Prospero stirbt

Musikalisch besticht die großartige Orchesterleistung. Der neue Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura hält nicht nur umsichtig alle Fäden in der Hand, auch ist das Klangbild sehr ausgewogen, schneidende Bläser sind in samtenen Streicherteppich eingebettet – ohne dass die Musik neoromantisch geglättet würde. Mitunter klingt das esspressivo eines Alban Berg an. Wenn Prosperos erträumtes Theater an diesem Abend greifbar wird, dann im instrumentalen Bereich. Klangschön und nuanciert singt der Chor. Nicht unproblematisch ist die Besetzung des Prospero mit dem englischen Bariton Andrew Mayor. Zweifellos gebührt der Energieleistung, die er in der vertrackten Partie vollbringt, großer Respekt. Allerdings mangelt es der etwas engen Stimme an Glanz und stellenweise auch an Kraftreserven, wodurch Mayor letztendlich die stimmliche Präsenz, über die er für diese absolut zentrale Partie verfügen müsste, nicht aufbringen kann. Die anderen Sänger haben es schwer, sich zu profilieren, trotz der teilweise sehr anspruchsvollen Partien. Sie verschwinden hinter ihren Rollen, die sie glaubwürdig und ohne Ausfall darstellen. Es liegt wohl auch am hektischen Bühnengeschehen, dass Stimmcharakteristika weitgehend verloren gehen. Auch das gehört zu den Widersprüchen von Un re in ascolto: Bravourarien gehören selbst da, wo sie komponiert sind (wie die Aria V der „Protagonistin“, von Claudia Grundmann sehr akzeptabel gesungen) in die Sphäre des zu überwindenden herkömmlichen Theaters.


FAZIT

Schwieriges Stück mit schöner Musik. Regie wie musikalische Umsetzung hinterlassen ambivalente Eindrücke.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabrizio Ventura

Inszenierung
Ernö Weil

Bühne und Kostüme
Karin Fritz

Chor
Peter Heinrich
Donka Miteva

Dramaturgie
Jens Ponath


Opernchor der Städtischen
Bühnen Münster

Statisterie der Städtischen
Bühnen Münster

Sinfonieorchester
der Stadt Münster


Solisten

Prospero
Andrew Mayor

Regisseur
Andrea Shin

Freitag, ein Schauspieler
Georg Blüml

Protagonistin
Claudia Grundmann

Erster Sopran
Annette Johansson

Zweiter Sopran
Julia Neumann

Mezzosopran
Judith Gennrich

Tenor
Thomas Stückmann Bariton
Jaroslaw Sielicki

Bass
Igor Durlowski

Krankenschwester
Heike Splittgerber

Gattin Prosperos
Suzanne McLeod

Arzt
Mario Brell

Advokat
Hee-Sung Yoon

Mime
Benjamin Kradolfer Roth /
Peter Mim

Clown
Jan Sturmius Becker

Pianist
Thorsten Schmidt-Kapfenburg

Pianist der ersten Sopranistin
Bastian Heymel

Akkordeonspieler
Piotr Ragno

Bote
Thomas Holznienkemper

Akrobat, Jongleur
Janosch Puhe

Drei Tänzerinnen
Nicola Clarissa Gehring
Cathrin Spaniol
Angela Hiltmann



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtische Bühnen Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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