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Große Oper über die Unmöglichkeit von Oper
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Michael Hörnschemeyer Ich habe ein anderes Theater geträumt. Luciano Berio (1925 2003) lässt mit den ersten Worten seinen Theaterdirektor Prospero aussprechen, was ihm bei der Komposition von Un re in ascolto vorschwebte und was letztendlich uneinlösbar war. Mein Reich ist nicht zu sehen noch zu berühren, es ist nicht dieser Bühne Brettergerüst sinniert Prospero in seiner vierten von fünf Arien. Sein Reich existiert nur in der Musik, ein Reich des Horchens. Er stirbt, und spiegelbildlich siegt das reale Theater über die Imagination in Gestalt einer Operndiva, der Protagonistin: Alles an dir ist unvollständig, Prospero. Die Schönheit ist erloschen, Prospero. Mein Theater ist mein, mein Gesang ist Klage um dich, Prospero. Als würde man durch den sechsfachen Fernseher schauen: Ensemble
Berio treibt ein assoziationsreiches intellektuelles Spiel nicht nur mit Shakespeare, und er verwendet die konventionelle Form der Nummernoper als Schema. Das Scheitern von Oper ausgerechnet in Form einer Oper zu gestalten ist eine heikle Angelegenheit, wenn nicht eine Unmöglichkeit das ist wohl der Hauptvorwurf, den man gegen das Werk erheben kann. Dennoch bezieht die Oper ihren Reiz gerade durch diese paradoxe Situation. Berios teilweise entrückte, oft berückend schöne Musik grenzt sich von der Szene ab. Eine Seelenverwandtschaft besteht zu Richard Wagners Tristan und Isolde, deren Vereinigung sich in der Musik und nicht auf der Bühne abspielt. Nicht ohne Grund hat Berio sein Werk als Handlung (so bezeichnet auch Wagner sein Musikdrama) tituliert. Bei solchen Kostümen träumt man schnell von anderem Theater: Der Regisseur (Andrea Shin, links) probt mit dem Schauspieler Freitag (Georg Blüml)
Besonders undankbar ist es für den Regisseur, der ausgerechnet die Bühnensituation zu schaffen hat, die vom imaginären Hör-Theater überwunden werden soll (schon von Uraufführungs-Regisseur Götz Friedrich sind ordentliche Flüche überliefert). In Münster setzen Regisseur Ernö Weil und Ausstatterin Karin Fritz einen riesigen an zwei Seiten offenen Kubus wie eine Insel Prosperos Theater-Insel - auf eine Bühne, die durch eine sechsfach gestaffelten Rahmen mit abgerundeten Ecken so banal wirkt, als blicke man durch sechs Fernseher hindurch ins Leere. Um diese Insel herum wird viel Show geboten. Man beobachtet eine Theaterprobe mit Chor, und irgendwann eilen durch den Zuschauerraum Rettungssanitäter auf die Bühne. Das wird wohl nicht Alltag am Theater sein, zeigt aber glaubwürdig die Rückseite der Theaterzauberwelt. Darin folgt Weil ziemlich eng den Vorgaben des Librettos. Eine lineare Handlung ist bei Berio nur angedeutet, und Weil spiegelt das mit einer recht unübersichtlichen Szenerie, die zwar die Grundsituation erfassbar macht, aber das Chaos nicht im Detail aufschlüsselt. Das setzt sich im Einsatz der Übertitel fort, die nur dann eingeblendet werden, wenn sich im Text das Ideentheater widerspiegelt warum dann aber die deutsche Übersetzung und nicht das (mehrsprachige, vorherrschend italienische) Original gesungen wird, ist nicht plausibel. Das Ende naht: Prospero (Andrew Mayor) erleidet einen Schwächeanfall; um ihn herum u.a. Krankenschwester (Heike Splittgerber), Arzt (Mario Brell) und Gattin (Suzanne McLeod)
Es gibt viel Tohuwabohu, und mittendrin sitzt der sterbende Prospero, den Königsmantel mehr schlecht als recht tragend und trotzdem von großer Würde. Das ist das Bild des Abends, das in Erinnerung bleibt und auch einige Suggestionskraft besitzt. Von diesem Standpunkt aus ist die Regie durchaus gelungen. Man kann aber auch anders argumentieren: Weil zeigt als Kontrast zu Prospero viele überkommene Theaterformen, karikiert gezielt von der opera seria bis zur Fernsehshow mit Disco-Beleuchtung, vom Regietheater (da hängt die Sängerin, die zum Vorsingen erscheint, in Kreuzigungspose an der Kubuswand) bis zum Ausstattungs- und Kostümspektakel diverse Genres, und alles ist irgendwie schlecht aber auf die Abgrenzung von gutem zu schlechtem Theater, gar auf postmoderne Medienkritik, die man darin erkennen könnte, kommt es Berio sicher nicht an. Auch ist die Frage, ob heute, fast ein Vierteljahrhundert nach der Uraufführung (Salzburger Festspiele 1984), der intellektuell geprägte Diskurs um die Gattung Oper wirklich für ein Stadttheaterpublikum von Interesse ist, oder ob die poetischen Qualitäten der Musik in einer weniger werktreuen, vielleicht abstrakteren Inszenierung besser zum Zuge kämen. Andererseits kann man der Regie nicht vorwerfen, die (konzeptionellen und konstituierenden) Probleme des Werkes zu ignorieren. " ... die Erinnerung im Zwielicht, eine Erinnerung an die Zukunft ..." Prospero stirbt
Musikalisch besticht die großartige Orchesterleistung. Der neue Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura hält nicht nur umsichtig alle Fäden in der Hand, auch ist das Klangbild sehr ausgewogen, schneidende Bläser sind in samtenen Streicherteppich eingebettet ohne dass die Musik neoromantisch geglättet würde. Mitunter klingt das esspressivo eines Alban Berg an. Wenn Prosperos erträumtes Theater an diesem Abend greifbar wird, dann im instrumentalen Bereich. Klangschön und nuanciert singt der Chor. Nicht unproblematisch ist die Besetzung des Prospero mit dem englischen Bariton Andrew Mayor. Zweifellos gebührt der Energieleistung, die er in der vertrackten Partie vollbringt, großer Respekt. Allerdings mangelt es der etwas engen Stimme an Glanz und stellenweise auch an Kraftreserven, wodurch Mayor letztendlich die stimmliche Präsenz, über die er für diese absolut zentrale Partie verfügen müsste, nicht aufbringen kann. Die anderen Sänger haben es schwer, sich zu profilieren, trotz der teilweise sehr anspruchsvollen Partien. Sie verschwinden hinter ihren Rollen, die sie glaubwürdig und ohne Ausfall darstellen. Es liegt wohl auch am hektischen Bühnengeschehen, dass Stimmcharakteristika weitgehend verloren gehen. Auch das gehört zu den Widersprüchen von Un re in ascolto: Bravourarien gehören selbst da, wo sie komponiert sind (wie die Aria V der Protagonistin, von Claudia Grundmann sehr akzeptabel gesungen) in die Sphäre des zu überwindenden herkömmlichen Theaters.
Schwieriges Stück mit schöner Musik. Regie wie musikalische Umsetzung hinterlassen ambivalente Eindrücke. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Chor
Dramaturgie
SolistenProsperoAndrew Mayor
Regisseur
Freitag, ein Schauspieler
Protagonistin
Erster Sopran
Zweiter Sopran
Mezzosopran
Tenor
Bass
Krankenschwester
Gattin Prosperos
Arzt
Advokat
Mime
Clown
Pianist
Pianist der ersten Sopranistin
Akkordeonspieler
Bote
Akrobat, Jongleur
Drei Tänzerinnen
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