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Anna Bolena

Tragedia lirica in zwei Akten
Text von Felice Romani
nach dem Drama Henri VIII von Marie-Joseph de Chénier
und der Tragödie Anna Bolena von Alessandro Ercole Graf Pepli
Musik von Gaetano Donizetti

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere der Konzertanten Aufführung am 12. Januar 2008
im Nationaltheater Mannheim



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Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Triumph der Königin

Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel


Als Anu Tali, der neue Pultstar, den man für die konzertanten Aufführungen von Donizettis Anna Bolena ans Nationaltheater Mannheim verpflichtet hatte, beim Betreten der Bühne nach der heftig akklamierten Premiere jemanden zu suchen schien, mag mancher Zuschauer sich gefragt haben wen. Spätestens nach der Ansprache von Generalintendantin Regula Gerber bei der anschließenden Feier wusste man Bescheid: Sie wollte Studienleiter Dr. Stephen Marinaro in den Schlussapplaus einbezogen wissen, der die Einstudierung des wundervollen, aber heute nicht mehr zum Standardrepertoire gehörenden Werkes besorgt, mit geschickten Strichen eine überzeugende Version gestaltet und eine überraschende, aber durchweg überzeugende Besetzung vorgeschlagen (und das Lesen der "Zweitbesetzung" mit Ludmila Slepneva und Marie-Belle Sandis macht selbst dem aus Nordrhein-Westfalen Angereisten Appetit auf einen weiteren Vorstellungsbesuch) und wohl auch überhaupt die Anregung zu der Großtat gegeben hatte, in den kommenden Spielzeiten zusammen mit Maria Stuarda und Roberto Devereux eine Trilogie der Tudor-Königinnen-Opern Donizettis zu präsentieren, die es so vermutlich zuletzt in den siebziger Jahren an der New York City Opera mit Beverly Sills in den Hauptrollen gegeben haben dürfte (wenn auch dort in szenischer Form).

Vergrößerung Anu Tali

Der estischen Dirigentin, die 2003 den ECHO Klassik 2003 als "Young Artist of the Year" erhielt und sich im symphonischen Bereich bereits vielerorts einen Namen gemacht hat, meines Wissens aber noch wenig Opernerfahrung im Allgemeinen und speziell mit Werken des Belcanto hat, gelang es, dem an sich ja schon hervorragenden Mannheimer Orchester einen besonders schönen, warmen, runden Ton zu entlocken, zu sehr sorgfältigem, auch manches Detail hervorhebendem Spiel zu bewegen und bereits in der Sinfonia wunderbar elegisch-tragische Momente zu kreieren. Zudem zeichnete sich ihre musikalische Leitung durch die immens wichtige Fähigkeit aus, Spannungsbögen langfristig aufzubauen, was gerade angesichts der knappen Probenzeit mit einem unbekannten Kollektiv kein geringes Verdienst ist. Allerdings fehlte ihr noch ein wenig das Gespür für wirkungsvolle Tempoveränderungen - besonders den Cabalette und den Finali mangelte es mitunter am nötigen mitreißenden Schwung und "Peng" -, die auch den Interpreten geholfen hätten (etwa am Ende des Duetts der beiden Rivalinnen).

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Xavier Moreno

Es ist kein Jahr her, als Mannheims inzwischen auch anderswo im schweren Fach sehr gefragte Hochdramatische Caroline Whisnant an ihrem Stammhaus als Färberin in Die Frau ohne Schatten keinen geringen Eindruck gemacht hat. Dass sie nun neben der Senta im Fliegenden Holländer im April eine zentrale Partie des Belcantorepertoires von der Theaterleitung angeboten bekommt, zeugt von Umsicht und Kreativität. Der Rezensent indes erinnert sich gut an ein mit der Wagnersopranistin Jane Eaglen geführtes Interview, die, nach Wunschrollen befragt, auch diese Königinnenpartie angeführt hat, und tatsächlich kommt man nicht umhin festzustellen, wie viel beeindruckender diese Musik klingt, wenn man eine dramatische Stimme zur Verfügung hat, gern auch um den Preis, dass man dann natürlich etwas weniger Koloraturpyrotechnik zu hören bekommt wie beispielsweise von Edita Gruberova, die etwa in München vor einigen Jahren in wechselnden opulenten Roben stupende Virtuosität vorführte, zur Rolle aber letztlich wenig zu sagen hatte, oder auch die erwähnte Beverly Sills in der berühmten Aufnahme, die so viel Verzierungen anbrachte, dass man mitunter Donizettis ursprünglichen Willen kaum noch erkennen konnte (die Fans diskutierten nach der Vorstellung über die gelungenste Aufnahme und waren sich doch einig, dass trotz der massiven Striche und trotz zum Teil schlechter vokaler Gesellschaft der Scala-Mitschnitt mit der Callas das beste verfügbare Dokument ist). Trotzdem war ich mehr als beeindruckt, wie souverän Caroline Whisnant all die verzierten Passagen mit ihrem vollen dramatischen Sopran bewältigte, der auch im Piano bei aller Zartheit keineswegs an Substanz verlor - eine Künstlerin, die mit großem Erfolg Brünnhilde, Isolde und Elektra und nun eben auch Belcanto singt, wird man lange suchen müssen. Nicht unerwähnt bleiben sollen ihre effektvollen, brillianten Spitzentöne, ihre angenehme Dominanz in den Ensembleszenen, die Kraft auch in der tiefen Lage, die Koloratursopranen eben nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, die Steigerung im Laufe des Abends, als sich verständliche Premierennervosität und allzu großer Respekt vor der fordernden Aufgabe mehr und mehr legten, die Expressivität, mit der sie vor allem die berühmte Schlussszene zum Höhepunkt eines an sich schon hochkarätigen Abends machte.

Vergrößerung Caroline Whisnant

Auch Susan Macleans Amme hat man noch gut im Ohr, ihre dramatischen Qualitäten auch von der Krefelder Aida-Premiere, bei der sie allerdings nur spielen, wegen einer Erkrankung aber nicht singen konnte, und vielen Aufführungen mehr, und so versteht man die Trauer ihrer Mannheimer Fans über den Umstand, dass sie im Sommer nach Leipzig wechseln wird - eine solch vielseitige Künstlerin, die eigentlich jede Mezzopartie des Repertoires singen kann (in diesem Jahr wird sie u. a. noch in der Premiere der Jenufa als Kostelnicka, in Repertoirevorstellungen auch als Ortrud, Kundry, Klytämnestra und wiederum als Amme auftreten), hätte wohl jede Theaterleitung gern im Ensemble. Der mitunter etwas blassen Figur der Giovanna Seymour vermochte sie mit gleichermaßen flexibler wie ausdrucksstarker Stimme ein vielschichtiges Profil zu verleihen und ihre Seelenqualen wie ihren Ehrgeiz nachvollziehbar zu machen, nicht zuletzt durch große Sorgfalt bei der Textpräsentation und einige durchaus riskante Spitzentöne, die harte Arbeit erkennen ließen. Eine Überraschung war für mich Yanyu Guo, die über einen satten, ausgeglichenen, auch bei wirklich tiefen Tönen noch voluminösen Alt verfügt, wie man ihn heutzutage selten hört, und die als Smeton den beiden Kolleginnen hinsichtlich der Ausdruckskraft kaum nachstand.

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Susan McLean

Einen großen Erfolg hatte auch Xavier Moreno als stürmischer, sinnlicher Percy, von dem man angesichts der nicht zu leichten, virilen, geschmeidig-legatostarken Tenorstimme und der Inbrunst seines auch mit Koloraturpassagen nicht überforderten Singens doch gern die zweite Arie gehört hätte. Frank van Hove ist grundsätzlich ein erster Vertreter des deutschen Bassrepertoires (Ende des Monats wird er wieder als König Heinrich im Lohengrin auf der Bühne stehen), und mancher mag in dieser Partie sicher ein "italienischeres", idiomatischeres Timbre bevorzugen, aber er sang den zweifelhaften Monarchen mit großer Autorität, Charisma und vielen feineren Nuancen, die auch prominenteren Interpreten der Vergangenheit so nicht gelangen (auch nicht solch prachtvolle hohe Töne). Mit Taras Konoshchenko hatte man als Rocheford einen zweiten kompetenten Bassisten zur Verfügung, und auch Giorgi Bekaia hinterließ als Hervey einen guten Eindruck. Ein Kompliment verdient auch der Chor, der bewies, wie viel beeindruckender als überrumpelnde Lautstärke und verzerrte Mienen dynamische Differenzierung und Feilen an Kleinigkeiten ist.


FAZIT

Keine Frage: Der Einstieg in die Donizetti-Königinnen-Trilogie war ein fulminanter und macht Vorfreude auf die folgenden Abende, für die man der berühmten Weisheit "Never change a winning team" die begabte Dirigentin, die auf dem Sprung zu einer ganz großen Karriere sein dürfte, sofort engagieren sollte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Anu Tali

Musikalische Einstudierung
Stephen Marinaro

Chor
Tilman Michael



Chor und Orchester
des Nationaltheaters
Mannheim


Solisten

* Premierenbesetzung

Enrico (Heinrich VIII),
König von England
* Frank van Hove/
Mihail Mihaylov

Anna Bolena (Anne Boleyn),
seine Gemahlin
Ludmila Slepneva/
* Caroline Whisnant

Giovanna (Jane Seymour),
Hofdame Anna Bolenas
* Susan Maclean/
Marie-Belle Sandis

Lord Rochefort (Rocheford),
Annas Bruder
Thomas Jesatko/
* Taras Konoshchenko

Lord Ricccardo Percy
* Xavier Moreno/
Francesco Petrozzi

Smeton, Page und
Vorsänger der Königin

* Yanyu Guo/
Andrea Szántó

Sir Hervey,
Offizier des Königs
* Giorgi Bekaia/
Don-Seok Im



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