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Musiktheater
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Un ballo in maschera
(Ein Maskenball)


Oper in drei Akten
Libretto von Antonio Somma
nach Gustave III, ou Le Bal masqué von Eugène Scribe
Musik von Giuseppe Verdi


Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 17. Mai 2008

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Gescheiterte Ambitionen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Klaus Lefebvre

José Cura ist ein Mann mit vielen Talenten: Er ist ein (nicht unumstrittener) Tenor mit Verträgen, die ihn immer noch an erste Häuser führen, er ist ein Dirigent, über dessen Qualitäten sich der Rezensent kein Urteil erlauben kann, er ist ausgebildeter Komponist und hat ein Fotobuch veröffentlicht, und seit dem 17. Mai 2008 ist er auch noch Regisseur und Bühnenbildner.


Vergrößerung in neuem Fenster Riccardo (Ray M. Wade jr.) hat einen Alptraum.

Mancher hatte vermutet, man würde eine kreuzkonservative Produktion in wuchtigen Bühnenräumen und prächtigen Kostümen der Originalhandlungszeit zu sehen bekommen, aber ganz so einfach hat sich Cura die Sache zumindest auf den ersten Blick nicht gemacht, denn er verlegt die Handlung in eine fiktive Militärdiktatur, einige Kostüme von Petra Reinhardt (die schönsten sind natürlich die diversen bizarren Kopfbedeckungen und die edlen Ethnooutfits für den Ball) lassen an die Mitte des vorigen Jahrhunderts denken, das Mobiliar in Riccardos Büro und die Anzüge und Uniformen der Herren sehen heute auch nicht wesentlich anders aus. Und auch sonst hatte der Argentinier sich Gedanken gemacht, die in eine Inhaltsangabe eingeflossen sind, die man auf den ersten Seiten des Programmhefts findet: "Riccardo träumt, dass ihm eine schwarze Obdachlose Merkwürdiges prophezeit. Ergriffen von Reue erwacht Riccardo aus einem beängstigenden Alptraum, in dem die Geister der Menschen, die er aus Machthunger hinrichten ließ, ihn verfolgen." Cura macht den Herrscher Riccardo zu einer Art Othello-Figur, die sich mit dem Rassismus ihrer Gesellschaft auseinandersetzen muss, was insofern diskutabel ist, weil dieser Einfall doch wohl im Wesentlichen durch den Hauptdarsteller begründet ist: "Riccardo erhält ein rassistisches Urteil gegen Ulrica, eine schwarze Seherin" (und tatsächlich heißt es im Libretto über Ulrica "dell'immondo sangue dei negri"), keineswegs aber über den Grafen, was der Regisseur aber verfügt: "Diese Beleidigung Riccardos eigener Hautfarbe verärgert den Grafen so sehr, dass er den obersten Richter töten lässt." Der Besuch bei der Seherin im Hafen wird mit der Idee motiviert, Riccardo wolle überprüfen, ob sie identisch sei mit der Obdachlosen seines Traumes vom Anfang.


Vergrößerung in neuem Fenster Auch der Matrose Silvano (Leandro Fischetti) sucht Rat bei der geheimnisvollen Seherin Ulrica (Dalia Schaechter).

Eigene Ideen zu einer Vorlage zu entwickeln ist nichts Verbotenes, aber man wird den Eindruck nicht los, dass Curas Einfälle ziemlich willkürlich sind, nicht begründet werden und zum Teil auch das ignorieren, was Chefdramaturg Christoph Schwandt in seinem Programmheftbeitrag zurecht festhält. Letztgenannter spricht etwa nicht von einem Herrscher, der gegen (latenten) Rassismus zu kämpfen hat, sondern verweist auf "eine ganz unzweideutig ehrliche Ehrung Riccardos durch das Volk am Ende des erstes Aktes", er betont auch, dass Riccardo "als gütig Vergebender" stirbt, "so dass er beim besten Willen nicht als böser Kolonialherr gesehen werden kann", der, wie Cura es formuliert, Renato nur deshalb öffentlich vergibt, weil er von seinem Volk in guter Erinnerung behalten werden will. Schwandt sieht in Amelia und Riccardo "ein romantisches Liebespaar, das in nächtlicher Dunkelheit, alle Normen der Gesellschaft hinter sich lassend, in Ekstase zu einander findet", Cura lässt Amelia den Versetzungsbescheid für Renato vernichten und den Grafen in den Armen Oscars verbluten, tritt entschlossen an die Seite ihres zum Mörder gewordenen Gatten, den sie zu kontrollieren scheint, so dass der Regisseur am Ende seiner Zusammenfassung fragt: "Stellte die Affäre den Versuch dar, sich des schwarzen Oberhauptes zu entledigen und Amelias Ehemann auf den Thron zu bringen?" Die Liebe zwischen Amelia und Riccardo ist also nur gespielt, Amelias Besuch bei Ulrica auch, die Drohung des Gatten, sie zu töten, die Warnung vor dem Ball? Als Zuschauer möchte man zurückfragen: Stellt dieser Ansatz nicht doch den Versuch dar, ein (ja auch von den Autoren des Programmheftes zurecht als Meisterwerk bewertetes) Werk unnötigerweise "besser" machen zu wollen und zu verfremden, um nicht als dilettierender Traditionalist dazustehen und um von dem Umstand abzulenken, dass es einem über weite Strecken nicht gelungen ist, einen spannenden Theaterabend auf die Bühne zu bringen, und dass man in der tatsächlichen Ausführung über Rampensteherei übelster Art und hilflose Personenzeichnung und -führung nicht hinausgekommen ist? Ein paar interessante, keineswegs immer schlüssige Gedanken auf dem Papier, ein paar müde pyrotechnische Tricks, Bühnennebel und düsteres Licht vom Beleuchtungsinspektor des Hauses und eine gnadenlose zugestellte Bühne, auf der die Akteure kaum Gelegenheit haben sich zu bewegen, verhindern nämlich grundsätzliche Langeweile keineswegs.


Vergrößerung in neuem Fenster Amelia (Chiara Taigi, links) erhält von Ulrica (Dalia Schaechter, rechts) den Rat, an einem ungastlichen Ort nach einem Kraut gegen ihre Liebe zu Riccardo zu suchen.

Überzeugend fand ich es, Oscar als Riccardos loyale Sekretärin zu präsentieren, zumal die Interpretin das Konzept engagiert umzusetzen wusste. Im "Saper vorreste", das sonst gern als retardierendes Bravourstück daherkommt, wird deutlich, dass sie ihren Chef liebt, sie ist die einzige, die seinen Tod wirklich und aufrichtig betrauert, was man auch verstanden hätte, wenn sie sich nicht die braune Perücke hätte vom Kopf ziehen müssen und nicht blonde Wellen wie bei Amelia zum Vorschein gekommen wären. Und so war es nicht erstaunlich, dass es Claudia Rohrbach war, die sich als Oscar nach der Vorstellung über den meisten Applaus freuen konnte (schon während der Vorstellung hatte sich das Publikum vom schnellen Weitergehen des Dirigenten nicht beeindrucken lassen und ihr letztes Solo beklatscht) - die souveränste Leistung kam von ihr, der größte Gestaltungswille, warme, schöne Töne ohne den Anflug von Schrillheit (wobei die allerhöchsten nicht ganz den Charme der übrigen hatten), sondern mit Schwung und Eleganz.

Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte Ray M. Wade jr. sich an Verdis Alvaro in La forza del destino ziemlich verhoben. Damals hatte ich "einige schöne lyrische Momente" gelobt, aber unter anderem bemerkt, dass die helle Stimme "unter Fortedruck ... erheblich an Farbe" verliert, dass "hohe Töne ... nur mit erheblichem Aufwand erreicht und gehalten" wurden und dass angesichts der vokalen Überforderung "keine Zeit war für feinere Nuancen und eine Beschäftigung mit dem italienischen Text". All dies lässt sich auch über diesen Premierenabend sagen: Natürlich schafft der Tenor den ersten Akt ohne größere Schwierigkeiten, natürlich freut man sich hier auch über schöne Piani, gelungene Legatobögen und die Geschmeidigkeit der Stimme, aber die Höhe verliert bereits zu diesem Zeitpunkt an Qualität gegenüber der Mittellage. Absoluter Tiefpunkt des Abends war das große Duett mit Amelia, hier vermisste man am stärksten die Farbe und Durchschlagskraft, die dramatische Stimmen auszeichnen, hier waren die Solisten und das Orchester auch so sehr auseinander und erlaubten sich Freiheiten, dass es dem Rezensenten (der seine veraltete Meinung nicht aufgibt, dass Verdi besser wusste, wie lange bestimmte Noten gehalten werden sollen, als seine Interpreten) beinahe körperliche Schmerzen bereitete, hier war der Grad der Überforderung so evident, dass an Darstellung und Interaktion kaum noch zu denken war, sieht man von dem abwechselnden Herumhantieren mit einem Revolver und dem platten Abwerfen von Kleidungsstücken danach ab. Der Künstler selber und seine Berater mögen ihn im richtigen Fach sehen, ich habe an diesem Abend einmal mehr einen anderen Eindruck gewonnen, und das hat nichts mit Vorurteilen und Ressentiments zu tun.


Vergrößerung in neuem Fenster Renato (Bruno Caproni) will Amelia (Chiara Taigi) wegen vermeintlicher Untreue töten.

Auch Wades Partner Bruno Caproni von vor zwei Jahren hatte nicht seinen allerbesten Abend: Sicher ist er nach wie vor eine gute Wahl in diesem Fach, aber die Stimme hatte früher mehr Glanz, Farbe und weniger Gebrauchsspuren, die Töne wurden mit weniger Druck erreicht, die Interpretation nicht durch Schluchzer unnötig larmoyant veräußerlicht.

Chiara Taigi hat Erfahrung mit der Rolle der Amelia, ohne dass man sagen würde, dass sie ihr wirklich hundertprozentig gewachsen wäre, denn dazu ist die Höhe ihres grundsätzlich meines Erachtens nicht zu kleinen, nicht uninteressant timbrierten Soprans zu steif, wird mit zu viel roher Kraft produziert und gerät auch nicht selten zu tief, während sie in der durchaus auch geforderten tiefen Lage weniger in Verlegenheit kommt, ohne dabei vulgär werden zu müssen. Die Römerin ist auch von der ersten Sekunde um intensiven Ausdruck bemüht, singt effektvolle Piani und setzt starke, mir mitunter zu grobe Akzente, aber irgendwie wirkt die Interpretation zu sehr auf den äußeren Effekt angelegt, die Ausdrucksmittel nicht stimmig der jeweiligen Aussage angepasst, wofür das schematisch eingesetzte messa di voce in der zweiten Arie als Beispiel dienen mag.


Vergrößerung in neuem Fenster Riccardo (Ray M. Wade jr.) stirbt in den Armen seiner Sekretärin Oscar (Claudia Rohrbach, links) und Renatos Gattin Amelia (Chiara Taigi, rechts), die, folgt man dem Regisseur, alles geschickt eingefädelt haben könnte, um ihren Mann auf den Thron zu bringen.

Dalia Schaechter, zuletzt eine mehr als problematische Venus im Tannhäuser am selben Ort und in der erwähnten Forza-Produktion eine skandalöse Preziosilla, erhielt zurecht nicht mehr als höflichen Beifall für eine reichlich eindimensionale Ulrica mit viel Armerudern und Augenrollen und der unangenehmen Neigung zu Sprechgesang, der bei Verdi nichts zu suchen hat. Ulrich Hielscher brachte für den Samuel eine ziemlich in die Jahre gekommene, inzwischen doch reichlich unbewegliche, aber immerhin sehr charaktervolle Stimme mit, Timm de Jong war als Tom meistens gar nicht zu hören und wirkte auch sonst arg überfordert, Leandro Fischettis Silvano behält man nicht lange im Gedächtnis (na ja, es sind ja auch nur ein paar Takte), Alexander Fedin, zuletzt immerhin noch als Hoffmann in der Offenbach-Oper zu hören, wird mehr und mehr in Comprimario-Partien wie hier als Richter eingesetzt, Werner Sindemann komplettierte die Besetzungsliste als Diener Amelias. Der von Andrew Ollivant betreute Chor hinterließ keinen schlechten Eindruck, was an der Kölner Oper in diesen Tagen ja durchaus ein Kompliment sein kann.

Leider gibt es auch zum Dirigenten und zum Orchester nicht viel mehr zu sagen als das, was ich 2006 bemerkte: "Enrico Dovico mangelte es ... an der gebotenen Autorität gegenüber dem Bühnenpersonal, das sich durchaus eigene Tempi erlaubte, und wie der Regie an einem schlüssigen Gesamtkonzept und Persönlichkeit, um am Pult des Gürzenich-Orchesters über eine sehr allgemeine, pauschale Interpretation hinauszukommen." Noch häufiger allerdings als damals waren Bühne und Graben auseinander, so dass man sich doch fragt, was diese Profimusiker in der Probenzeit eigentlich miteinander getan haben, noch lähmender und spannungsärmer waren häufig die Tempi, und so war man nur kurzfristig erstaunt, mit wie heftigen Buhs das Premierenpublikum den musikalischen Leiter des Abends abstrafte.


FAZIT

Auch die letzte Premiere der Spielzeit 2007/2008 ließ nicht die erhoffte Trendwende erkennen, sondern zeigte einmal mehr, wie dringend notwendig ein Wechsel ist, nicht zuletzt auch im Sängerensemble und der musikalischen Leitung. José Cura hatte seine Inszenierungshausaufgaben zwar angefangen, aber nicht zuende bringen können, aus welchen Gründen auch immer. Der Geburtsstunde eines neuen Regiestars wohnte man an diesem Abend jedenfalls nicht bei.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrico Dovico

Inszenierung
und Bühne
José Cura

Kostüme
Petra Reinhardt

Licht
Wolfgang Schünemann

Chor
Andrew Ollivant


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Alternativbesetzung

Riccardo
Ray M. Wade jr.

Renato
Bruno Caproni

Amelia
Chiara Taigi

Ulrica
Ks. Dalia Schaechter

Oscar
Claudia Rohrbach/
* Insun Min

Silvano
Leandro Fischetti

Samuel
Ulrich Hielscher

Tom
Timm de Jong

Richter
Alexander Fedin

Diener Amelias
Werner Sindemann


Weitere Informationen
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Bühnen der Stadt Köln
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Da capo al Fine

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