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Bilderbuch der jüngeren deutschen Geschichte (Ausgabe Ost)Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus LefebvreDieses Stück ist wie ein Adventskalender: Man darf ein Türchen nach dem anderen öffnen, und dahinter verbergen sich niedliche Bildchen. Es sind Bilder aus der deutschen Geschichte. Damit es dem Betrachter nicht zu schwer gemacht wird, sind sie gleich in der richtigen Reihenfolge angeordnet. Und weil die deutsche Geschichte eine garstige ist, erzählen die Bilder ziemlich böse Dinge (sind dabei aber politisch ganz fürchterlich korrekt). Niedlich sind sie trotzdem, als wären es Dioramen, Schaukästen aus irgendwelchen liebevoll gestalteten Provinzmuseen, in denen der Holocaust, das Kriegsende, der Mauerbau im Modelleisenbahnformat nachgebaut ist. Als dürfe man herumgehen und staunen: Guck' mal, das Männlein da hat ein Hakenkreuz auf dem Arm, das ist bestimmt ein Nazi. Rotter basiert auf einem Schauspiel von Thomas Brasch (1945 2001), der in der DDR aufwuchs und später nach West-Berlin übersiedelte gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Katharina Thalbach. Die hat zusammen mit Christoph Schwandt, Dramaturg der Kölner Oper, daraus für Komponisten Torsten Rasch das Libretto geschrieben - und ist auch gleich für die Regie der Uraufführung zuständig. Man darf da wohl von einer durch und durch werktreuen Inszenierung ausgehen, bei der Handlung und szenische Umsetzung nicht zu trennen sind. Die Story begleitet einen Underdog namens Karl Rotter an wesentlichen Stationen des 20. Jahrhunderts vorbei. Rotter wird in der Weimarer Republik arbeitslos, bleibt als Nazi-Scherge und Wehrmachtssoldat auf unterster Führungsebene ein kleines Mitläuferlicht und schwingt sich im DDR-Kommunismus immerhin zum Helden der Arbeit empor. Was das Thema halbwegs interessant macht, ist der ostdeutsche Blickwinkel: Nazis, die Funktionärskarriere machen, waren im Geschichtsbild der DDR ja eigentlich nicht vorgesehen. Weimarer Republik: Rotter schlachtet ein Schwein - wenig fachgerecht, und so wird er bald arbeitslos sein Antiheld Rotter ist eine blutleere, hölzerne Gestalt, die im Text hinter den historischen Ereignissen meistens zurückzustehen hat. Thalbach und Schwandt haben ein Lehrstück über die Rolle des Individuums in der Geschichte geschrieben, die von der Tradition Brechtscher Lehrstücke das Fehlen einer glaubwürdigen und interessanten Psychologisierung übernimmt. Als Gegenstück zu Rotter (und gleichsam dessen alter ego) gibt es einen gewissen Lackner, extremer Individualist ohne jedes Geschichtsbewusstsein und deshalb ebenfalls kein anstrebenswerter Lebensentwurf. Die Regisseurin siedelt das Stationendrama in einem Bahnhof an, wobei die munter herein- und herausrollenden Eisenbahnwaggons so etwas wie die eingangs erwähnten Kalendertürchen darstellen. Leicht abgeschmackt ist diese Metaphorik schon, zumal die allerbewährteste und deshalb sicher unoriginellste aller Metaphern der deutschen Geschichte nicht fehlen darf: Der Güterwaggon als Sinnbild für den Holocaust. In diesen Waggon werden Juden, deren Kaufhaus (ein weiterer Waggon, Typ Salonwagen) gerade geplündert wurde (Reichskristallnacht!), gedrängt, wozu blondgezopfte deutsche Mädel johlen Holocaust kompakt in 15 Minuten, kindgerecht dargeboten. Katharina Thalbach scheint nicht allzu viel Vertrauen in die Wahrnehmungsfähigkeit des Publikums zu besitzen, denn sie inszeniert alles ganz ausführlich und meistens gleich mehrfach. Wenn im Krieg die Bahnhogfshalle einkracht, verfängt sich darin ein alliierter Fallschirmspringer, der nach sorgfältigem Anvisieren natürlich erschossen wird und tot von der Decke baumelt. Vorsichtshalber wird 5 Minuten später nochmal auf ihn geschossen, man könnte ihn schließlich vergessen haben. Den Nahkampf in den Schützengräben spielt eine Ballettgruppe nach, die mit Rolle vorwärts und rückswärts mehrfach stirbt andere Regisseure nutzen solche Elemente als Provokation, hier ist es vermutlich nicht einmal zynisch gemeint. 17. Juni 1953: Rotter macht Funktionärskarriere und wird zum Opfer der Arbeiterproteste Mit drei Stunden Spieldauer und großem, oft in massiven Klangballungen eingesetzten Orchester unterstreicht Komponist Torsten Rasch, dass er große und durchaus pathetische Oper schreiben möchte. Die Musik klingt oft so, als habe er bei Alban Berg abgeschrieben der Wozzeck ist im scharf dissonanten, dennoch im Gestus spätromantisch expressiven Klangbild atmosphärisch nah. Kontrastiert wird dies regelmäßig durch elegische Szenen in versöhnlicher Tonalität, die teilweise Volks- und Kinderliederton anschlagen. Dann gibt es noch einen Chor der alten Kinder, der hinter antikisierenden Masken und teilweise vom Schnürboden aus kommentiert dafür hat Rasch eine sich auflösende Tonalität gefunden, wie sie beim frühen Schönberg vorkommt. Alles in allem edler Eklektizismus, durchaus nicht ohne Eindruck zu hinterlassen. Eine Oper fürs breite Publikum und deshalb in der Konzeption wohl bewusst konventionell: Rotter ist weitgehend naives Erzähltheater in leidlich vertrautem musikalischem Kontext. Allerdings spürt man eine große Ernsthaftigkeit, mit der hier um ein schwieriges Thema gerungen wird. Das macht die Produktion interessant; interessanter jedenfalls als die aktuellen Uraufführungen rheinaufwärts mit Moritz Eggerts belanglosen Freax (in Bonn) oder rheinabwärts mit Giorgio Battistellis austauschbarer Fashion-Mode-Oper (in Düsseldorf). 1961: Die innerdeutsche Grenze wird unüberwindlich. Am Bahnhof überreicht Elisabeth (Regina Richter) Rotter eine Urne mit der Asche von Rotters Mutter. Beim Premierenpublikum kam das Werk recht gut an ordentlicher Applaus und lediglich ein paar zaghafte Buhs gegen das Regieteam, freundlicher Beifall für den Komponisten. Dazu beigetragen haben dürften vor allem drei exzellente Sänger. Hans-Georg Priese leistet in der Titelpartie nicht nur mit imponierender Vitalität einen Kraftakt allererster Güte, er singt hochexpressiv und immer kultiviert nicht unbedingt schön, aber Belcanto ist bei dieser Figur auch nicht angebracht. Er bezeichnet sich selbst als jugendlichen Heldentenor, ist aber erst vor ein paar Jahren vom Baritonfach aufgestiegen und den klangvollen Kavaliersbariton hört man immer noch; der Klangfarbe nach ist dieser Rotter eher ein sehr hoher Bariton, darin absolut glaubwürdig. Strahlender und tenoraler ist Albert Bonnema als Lackner, auch dies keine Partie für Schöngesang. Bonnema kann schneidend scharf attackieren, wenn es darauf ankommt, aber auch Linien sauber aussingen. Beide Herren müssen leider ziemlich laut gegen die Orchestergewalten ansingen, die Dirigent Hermann Bäumer klangprächtig, aber nicht immer mit erkennbarer Rücksicht auf die Sänger entfesselt. Gegenwart: Rotter als Engel. "Los! Wir fangen neu an! Reißt alles ein! Es muss ein neuer Anfang her!" Für die schönen Töne ist neben dem klangschönen Chor - Regina Richter als Elisabeth zuständig, die mit beiden Männern ein Verhältnis hat und Rotter zu sanfter Begleitung verführen darf aber auch zu dramatischen Aufschwüngen fähig ist. (Auch in dieser Dreieckskonstellation schimmert, vor allem musikalsich, Bergs Wozzeck durch Wozzeck/Rotter und Marie/Elisabeth scheinen unmittelbar verwandt, und im Lackner sind Hauptmann und Tambourmajor zusammengezogen). Aus dem ansonsten ordentlichen Ensemble ragt Julia Giebel mit junger Stimme als alte Lehrerin Fräulein Berthold heraus.
Gut gemeinte Aufarbeitung deutscher Geschichte im Bilderbuchformat, mit großer Geste besungen das ist sozusagen die volkstümliche Variante zeitgenössischen Musiktheaters. Die Eindrücke bleiben sehr ambivalent. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistenRotterHans-Georg Priese
Lackner
Elisabeth
Frau Rotter
Fleischer
Hauptmann
Vorsitzender
Rotmaler
Grabow / 1. Arbeiter
Tetzner / 2. Arbeiter
Kutz / 3. Arbeiter
Fräulein Berthold
Das Radio
Tänzer
Luisa Sancho-Escanero Kordula Kohlschmitt Martin Hirner Slava Gepner Olaf Reinecke
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- Fine -