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Musiktheater
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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Friedrich Kind
Musik von Carl Maria von Weber


Aufführungsdauer: ca 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 20. Oktober 2007

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

G'schichten aus dem deutschen Wald

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre

Aaah! Oooh! Ein Baum, ein echter Baum! Das Kölner Premierenpublikum ist begeistert: Wenn sich nach der Ouvertüre nebst höflichem Beifall der samtrote Vorhang hebt, beherrscht eine mächtige knorrige deutsche Eiche in herbstlich-buntem Kleid die Bühne, eine Meisterleistung der Werkstätten, mit gefühlten Ausmaßen, wie man sie bei Kölner Eichen so schnell nicht wieder finden dürfte: Vielleicht auch das ein Grund für das helle Entzücken quer durch den Raum. So ganz originell ist die Idee ja eigentlich nicht, hat sie doch in Jean-Pierre Ponnelles Bayreuther Tristan-Inszenierung von 1981 ein ausgesprochen prominentes Vorbild. Wem dieser Vergleich zu weit hergeholt scheint: Eben jener Jean-Pierre Ponnelle, 1988 verstorben, wird für die Inszenierung der nächsten Kölner Opernpremiere verantwortlich sein – da wird nämlich eine über Wien und München an den Rhein konservierte Italienerin in Algier des Altmeisters vorgestellt. So schließt sich der opernmuseale Kreis.

Man darf allerdings vermuten, dass besagte betagte Italienerin in Algier frischer und lebendiger daherkommt als dieser brandneue, aber hoffnungslos verstaubte Freischütz, den Regisseur Michael Heinicke als erzkonservatives Ausstattungstheater präsentiert. Sicher hat es Charme, nach allerlei Taten und Untaten des Regietheaters zur Abwechslung 'mal wieder die Qualitäten des originalen Kunstwerks zu befragen; allein ist das mit diesem gern als „deutsche Nationaloper“ apostrophierten Werk so eine Sache: Die langen, holzschnittartigen Dialoge sind ebenso schwer verdaulich wie das frömmelnde Finale mit singendem Eremiten. Seit je hat die Oper, nicht ohne Grund, mit der ihr innewohnenden ungewollten Komik zu Parodien herausgefordert. Auf der anderen Seite steht die großartige, das heimelige Textbuch um Welten überragende Musik. Diese Problematik müsste ein heutiger Regisseur doch irgendwie aufgreifen. Heinicke aber zitiert mit seiner Eiche den viel beschrienen deutschen Wald: So wird der Freischütz auf den kleinsten klischeehaften Nenner herunter gebrochen.


Vergrößerung in neuem Fenster Schützenfest vor deutscher Eiche: Kilian (Johannes Preißnger) freut sich über seinen Schuss

Natürlich ist dieser Baum allgegenwärtig und liefert für die Szenen, die in freier Natur spielen, eine ansehnliche Kulisse. Die Kölner Lichttechnik schafft schöne Effekte, die der Regisseur allerdings häufig allzu plakativ einsetzt. Die Wolfsschlucht mit hektischem Rechts-Links-Lichtwechsel und ein bisschen echtem Feuer vermittelt einen Hauch von Disco-Feeling (zugegeben: andere Regisseure sind an dieser vermutlich grundsätzlich uninszenierbaren Szene schon kläglicher gescheitert). Eher eine Notlösung ist der Innenraum der Försterei, der als offene Fachwerk-Konstruktion von zwei Seiten auf die Bühne geschoben wird. Offenbar wollte Ausstatter Jens Kilian vor allem die volle Sicht auf die Eiche bewahren. Aber dadurch verlieren diese Szenen (also die Auftritte der Frauen, während die Männer ja durchweg draußen an der frischen Luft singen) ihren Rahmen und hängen irgendwie undefiniert in der Luft.

Die Kölner Sänger mühen sich tapfer und je nach schauspielerischem Talent mit mehr oder weniger Erfolg, die überlangen, meist immerhin sorgfältig ausinszenierten Sprechszenen zu gestalten. Heinicke nimmt den Text sehr ernst; seine Erzählweise ist an vielen Stellen fast filmisch genau. Das führt aber auch dazu, dass die Musik in eine begleitende Rolle rutscht, auch da, wo sie anführen sollte. Zwar ist mancher musikalische Akzent wie ein plötzliches Forte oder Piano in der Partitur punktgenauer Auslöser einer szenischen Aktion, aber wenn es wirklich darauf ankommt, hört der Regisseur schon einmal nicht so genau hin. Etwa am Ende der Brautjungfern-Szene, wo Weber das zunächst harmlos dahin geträllerte „Wir winden dir den Jungfernkranz“ im instrumentalen Nachspiel dämonisch zerfleddert – das ist mehr als nur ein wenig Stimmungsmalerei, aber Heinicke geht nicht darauf ein. Sehr blass bleibt auch das Finale: Warum eigentlich schauen nach dem Schuss alle, zum Standbild eingefroren, irgendwo in die Luft, aber niemand auf die vermeintlich tote Agathe? Warum interessiert sich deren Vater Kuno überhaupt nicht dafür, ob sie lebt? Wer an anderer Stelle auf szenische Genauigkeit setzt, darf doch an einer so wichtigen Stelle nicht in Alle-Mann-an-die-Rampe-Manier verfallen.


Vergrößerung in neuem Fenster Jägerburschen unter sich: Max (Thomas Mohr, links) und Kaspar (Samuel Youn)

Ein ganz kleines bisschen Regietheater wollte der Regisseur sich aber wohl doch nicht nehmen lassen. Also lässt er, ausnahmsweise von den Regieanweisungen im Libretto abweichend, den Samiel ständig über die Bühne schleichen. Der schwarze Jäger sieht dabei aus, als sei Udo Lindenberg persönlich gerade dem Sonderzug nach Pankow entstiegen. Durch seine geradezu penetrante Allgegenwärtigkeit verliert er allerdings das Dämonische. Zudem schickt Heinicke als Pendant auch den Eremiten ziemlich oft ins Gemenge - natürlich sind beide für das gemeine Bühnenvolk unsichtbar. Ein steter Kampf zwischen Gut und Böse also, was dem Publikum wohl auch ohne diese Regiezutat kaum entgangen wäre. Doch damit nicht genug: Der Komponist hat Agathe musikalisch das Solocello zugeordnet, dem neckischen Ännchen die Solobratsche. In dieser Inszenierung sind die Instrumente ganz real auf der Bühne zu sehen, und der Eremit setzt sich leibhaftig ans Cello, Samiel markiert an der Bratsche. Ist das harmlose Ännchen etwa einen Pakt mit dem Teufel eingegangen? Diese etwas wichtigtuerische, inhaltlich haltlose Idee wird allerdings nicht recht zu Ende erzählt, wie auch das Duell zwischen Samiel und Eremiten keinen greifbaren Abschluss findet. Da scheinen diese neu erfundenen Erzählstränge doch ziemlich überflüssig.


Vergrößerung in neuem Fenster Noch mehr Jäger: Max (Thomas Mohr) und der Herrenchor.

Das weitgehend belanglose Bühnengeschehen gewinnt auch musikalisch nur wenig an Spannung. Im Orchestergraben bemüht sich Kapellmeister Enrico Delamboye um eine differenzierte Interpretation, aber vieles klingt so, als sei zwar ein Piano oder Pianissimo brav in den Noten eingetragen (und wird auch gespielt), aber eine schlüssige Interpretation will daraus nicht entstehen, weil es an Binnenspannung fehlt. An vielen Stellen hebt Delamboye Nebenstimmen hervor, aber oft überdeutlich und damit wie Fremdkörper. Er bevorzugt flüssige Tempi, denen die Sänger häufig hinterherhecheln – die Abstimmung zwischen Bühne und Orchestergraben lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig, von Kilians Fermaten in der allerersten Arie der Oper (die Delamboye im Orchester fast unterschlägt und den Sänger ins Leere trudeln lässt) bis zum rhythmisch auseinander laufenden Jägerchor. Wenn es da von (kleineren) Teilen den Publikums trotzdem Szenenapplaus gibt, ist das schon bezeichnend für ein eher niedriges musikalisches Anspruchsniveau, mit dem sich in Köln mancher zufrieden gibt.

Auch müsste sich an der Oper in Deutschlands viertgrößter Stadt (die doch kulturell und auch musikalisch einiges auf sich hält) eigentlich eine gestandene Sängerin für die Agathe finden und verpflichten lassen. Tatsächlich aber steht mit Ausrine Stundyte eine junge Sängerin auf der Bühne, die trotz hohen Einsatzes und dem Willen zur nuancierten Gestaltung eine Fehlbesetzung ist, weil die Stimme viel zu klein und zu hell für die Partie ist – selbst Katharina Leyhe als soubrettenhaftes und etwas pauschales Ännchen (die Regie zeichnet sie als ziemlich dämliche Karikatur einer ständig besserwisserischen ältlichen Verwandten) hat den wärmeren und (geringfügig) volleren Ton. Ausrine Stundyte verfügt über ein schönes, quecksilbrig helles Pianissimo, mit dem sie eindrucksvoll die „leise, leise, fromme Weise“ singt, aber schon wenn es darum geht, sich „zum Sternenkreise“ in die Höhe aufzuschwingen, wird die Stimme eng – und dem abschließenden Jubel fehlt es eindeutig an Gewicht. Da muss die Sängerin um jeden Ton kämpfen, schleift die Töne mitunter unschön von unten an oder hält die Spannung nicht, wodurch die langen Noten abrutschen. Dass sie sich trotzdem leidlich passabel schlägt, spricht für ihre Musikalität und Durchhaltewillen.


Vergrößerung in neuem Fenster Im Innreren der Försterei möchte Agathe (Ausrine Stundyte, Mitte) Cello üben, Samiel (Joachim Berger) und Ännchen (Katharina Leyhe) scheinen sie aber davon abzuhalten.

Die heikle Partie des Max ist mit dem souveränen Thomas Mohr dagegen ordentlich besetzt. Mohr hat einen jederzeit höhensicheren, strahlenden und gleichzeitig lyrisch grundierten Tenor. In der hohen Lage ist die Intonation allerdings nicht immer ungefährdet, und Mohr singt, trotz insgesamt sorgfältiger Phrasierung, über das eine oder andere musikalische Detail forsch hinweg – vielleicht macht sein Max auch deshalb bei allem stimmlichen Glanz einen etwas tumben Eindruck, was schauspielerisch noch verstärkt wird. Warum nur hat Agathe ausgerechnet an diesem Kerl Gefallen gefunden, wo doch der agile und dämonische Kaspar von Samuel Youn entschieden attraktiver und männlicher auftritt? Youn präsentiert sich mit schlank gefasstem Ton stimmgewaltig und zupackend in der musikalischen Gestaltung, allenfalls fehlt ihm ein wenig „Schwärze“.

Ulrich Hielscher, im Anschluss an die Premiere zum Kammersänger geadelt, ist ein gutmütig-väterlicher Kuno mit Zügen von Altersweisheit, Wilfried Staber ein solider, sauber artikulierender Eremit. Miljenko Turk gibt den Fürsten Ottokar als jugendlich blasierten Schnösel mit auch stimmlich forschem Auftreten, was zunächst ganz lustig ist, von der Regie aber schnell überreizt wird. Der von Andrew Ollivant einstudierte Chor erreicht nicht die gewohnte stimmliche Präsenz – liegt das an der angesprochenen fehlenden Abstimmung mit dem Orchester? Überhaupt wirken die Ensembles recht unausgeglichen, vom unausgewogenen Terzett des zweiten Akts bis in die Volksszenen des Beginns und Finales.


FAZIT

Je nach persönlicher Geschmackslage darf man die Regie als zutiefst konservativ oder zutiefst provinziell bezeichnen. Musiziert wird, von den überzeugenden Samuel Youn und (mit kleinen Abstrichen) Thomas Mohr abgesehen, auf mittelprächtigem Stadttheaterniveau.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrico Delamboye

Inszenierung
Michael Heinicke

Bühne und Kostüme
Jens Kilian

Licht
Hans Toelstede

Chor
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Christoph Schwandt


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Ottokar
Miljenko Turk

Kuno
Ulrich Hielscher

Agathe
Ausrine Stundyte

Ännchen
Katharina Leyhe

Kaspar
Samuel Youn

Max
Thomas Mohr

Ein Eremit
Wilfried Staber

Kilian
Johannes Preißinger

Brautjungfern
Julia Giebel
Susanne Niebling
Adriana Bastidas Gamboa
Raika Simone Maier

Samiel
Joachim Berger


Weitere Informationen
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