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Eine Kunst-Geschichte
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)
Hier dreht sich alles um Kunst. Nicht nur, weil Toscas zentrale Arie beschwört: Vissi d'arte (Für die Kunst habe ich gelebt), sondern weil neben der Musik die bildende Kunst die Hauptfiguren aneinander bindet: Im ersten Akt bedeckt das Gemälde, an dem Maler Cavaradossi arbeitet, den gesamten schräg gestellten Bühnenboden (offenbar malt er eine Pietá, was aus dem Parkett aber nur zu erahnen ist), und noch leere goldene Bilderrahmen hängen von der Decke; im zweiten Akt erweist sich Oberbösewicht Scarpia als Sammler erlesener alter Meister die hängen in allererster Güte von der Decke und bilden die Wände seines Wirkungsbereichs. (Die Assoziation des bösen, dennoch kunstsinnigen Nazis hängt natürlich gleich mit in der Luft, und auch Scarpias finstere Geheimpolizei lässt an SS-Schergen denken, ohne dass dies weiter aufgegriffen würde.) Der Bruch erfolgt zwischen dem zweiten und dritten Akt, der auf leerer Bühne spielt (nur der Hirt erscheint hier als singendes Jugendbildnis Toscas, eine Reminiszenz an vergangene Zeiten, die schnell wieder ausgeblendet wird). Da bricht eine prunkvolle Welt zusammen, die nur Leere hinterlässt. Liebesbeziehung auf dem Boden der Kunst: Tosca (Dagmar Hesse) und Cavaradossi (hier: Ricardo Tamura)
Als Grundgedanke für eine Tosca-Inszenierung ist das nicht falsch, im Detail allerdings auch nicht ganz plausibel. Cavaradossi ist in Text und Musik weniger als Künstler denn als Liebhaber schöner Frauen charakterisiert, wobei sein plötzlich erwachendes politisches Bewusstsein etwas unvermittelt erscheint das ist ein Grundproblem dieser Oper, das nicht dem Regisseur anzulasten ist. Dennoch führt die Fokussierung auf die bildende Kunst in der Inszenierung von Thilo Borowczak zu einem mehr dekorativen als werkimmanent schlüssigen Ansatz. Immerhin sind die Bühnenbilder von Harald Stieger und die Kostüme von Imme Kachel schön anzusehen und erlauben eine in weiten Teilen konventionelle, aber gut gespielte und dadurch glaubwürdige Regie, die eine spannende Geschichte nacherzählt (aber auch nicht mehr). An manchen Stellen wäre mehr Präzision in der Personenführung sinnvoll, etwa um das Verhältnis von Scarpia und Tosca zu klären, zwischen denen sich eine Art Hassliebe andeutet, die stärker ausinszeniert sein könnte. Auch verschenkt der Regisseur manche Auftritte wie den allerersten der Tosca, der eigentlich ein Ereignis sein müsste, aber mehr zufällig nach dem Schema tritt von der Seite auf erfolgt. Te Deum laudamus: Scarpia (Karsten Mewes) und Chor
Natürlich lebt Tosca in erster Linie von den Sängern, und da ist das Theater Hagen erfreulich gut aufgestellt. Mit Dagmar Hesse hat man eine famose hauseigene Diva für die Titelpartie, attraktiv und präsent in der Erscheinung und mit einer nicht übermäßig großen, aber intensiven und auch in den Spitzentönen kontrollierten Stimme. Sie zeigt die lyrischen und sinnlichen, weniger die hysterischen Seiten der Tosca (müsste aber mitunter mehr aufpassen, den italienischen Text nicht zu sehr zu verschlucken). Sicher kann man sich mehr Klang in der tiefen, noch mehr dramatische Attacke in der hohen Lage vorstellen, aber die Partie sauber und stilsicher phrasiert zu singen ist nicht eben wenig. Für ihren Widersachen Scarpia wurde mit Karsten Mewes ein erfahrener Heldenbariton (u.a. im Bayreuther Parsifal als Klingsor zu hören) engagiert. Mewes singt die Partie elegant und mehr lyrisch als dramatisch, die gefährlichen, schwarzen Töne fehlen fast völlig. Sein Scarpia ist auch musikalisch ein Kunstliebhaber und Ästhet, dem man die perfekten Manieren eher abnimmt als die etwas aufgesetzte Brutalität gegenüber seinem Polizeiapparat. Stimmlich harmoniert er dadurch gut mit der Tosca Dagmar Hesses. Da agiert kein überlebensgroßer Bösewicht, was der Figur aber größere Vielschichtigkeit verleiht. Kunstsammler: Scarpia (Karsten Mewes)
Während das Theater für Tosca und Scarpia jeweils einen einzigen Darsteller für die komplette Aufführungsserie eingeplant hat, ist der Cavaradossi gleich vierfach (!) besetzt da wundert es nicht, dass die Duette (wie das kurze unbegleitete Trionfa im dritten Akt) in den Details noch genauere Abstimmung in Intonation und Artikulation vertragen könnten. In der hier besprochenen Aufführung sang der Mexikaner Pédro Velázquez Díaz, der fest am Staatstheater Hannover engagiert ist und die Partie bereits in Linz gesungen hat. Er besitzt einen jugendlichen, in der Höhe strahlenden und leicht metallischen Tenor, muss aber noch in die Partie hineinwachsen. Nicht alles, was er gestalterisch will, gelingt auch. Die messa di voce, das An- und Abschwellen eines Tones vom Pianissimo zum Fortissimo und umgekehrt, ist noch häufig mit einem Verlust an Klang und einer brüchigen Färbung verbunden, und insgesamt müsste die Linienführung runder und unangestrengter klingen. Frank Dolphin Wong singt einen jugendlich überschwänglichen Angelotti, Jan Friedrich Eggers einen pointierten Messner. Tödliches Ende einer komplizierten Beziehung: Tosca (Dagmar Hesse) und Scarpia (Karsten Mewes)
Das kleine Hagener Theater mit seiner direkten, knalligen Akustik macht es den Sängern nicht immer leicht, sich gegen das durch die räumlichen Gegebenheiten dominante Orchester durchzusetzen. Unter Leitung des amtierenden GMD Antony Hermus (der das Haus, an dem er sich vom Voluntär zum Chefdirigenten hochgearbeitet hat, am Ende der Spielzeit verlassen wird) hat das Hagener Orchester sich gut auf diese nicht unproblematischen Verhältnisse eingestellt und einen weichen Tonfall entwickelt, der die Instrumentengruppen zu einem tragfähigen, aber nicht dröhnenden Klangbild verschmelzen lässt. Hermus und die sehr konzentrierten Philharmoniker können einerseits schneidend scharfe Akzente spielen (exemplarisch die ersten drei Takte der Oper mit ihren überfallartig aufgetürmten Akkorden), aber auch die Sänger einbetten in einen getragenen Puccini-Klang. Die großen, elegischen Bögen liegen Hermus mehr als der kurzgliedrige Parlando-Tonfall zu Beginn des ersten Aktes. Vor allem im zweiten Akt in der großen Szene zwischen Tosca und Scarpia gibt es große Oper zu hören, die nicht allzu viele Vergleiche scheuen muss. Am Ende gab es stehenden Ovationen.
Tosca in einer nicht übermäßig aufregenden, aber durchaus gefälligen Inszenierung und bravourösen musikalischen Umsetzung. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Einstudierung Kinderchor
Dramaturgie
Opern- und Extrachor Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungFloria Tosca, Sängerin Dagmar Hesse
Mario Cavaradossi, Maler
Baron Scarpia, Polizeichef von Rom
Cesare Angelotti
Der Mesner
Spoletta, Polizeiagent
Sciarrone, ein Polizist
Ein Schließer
Ein Hirt
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