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Emotionale Debatte um Schuld und Vergebung
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Adolf Kühle (© Theater Hagen)
Im Jahr 1981 begann die amerikanische Ordensschwester Helen Prejean einen Briefkontakt zu dem wegen Mordes zum Tode verurteilten Elmo Patrick Sonnier, aus dem bis zur Hinrichtung 1984 ein enger Kontakt erwuchs. Helen Prejean hat ihre Erfahrungen unter dem Titel Dead Man Walking in Buchform veröffentlicht. In Europa hat die Verfilmung des Stoffes durch Tim Robbins (1995) für Aufsehen gesorgt; Hauptdarstellerin Susan Sarandon wurde mit einem Oscar, Sean Penn mit einem Silbernen Bären der Berlinale ausgezeichnet. Der amerikanische Komponist Jake Heggie, geboren 1961, erkannte schnell den theatralischen Gehalt des Sujets, als er nach einem geeigneten Buch für ein Auftragswerk der San Francisco Opera suchte; das Libretto schrieb Terence McNally, der sich in Opernkreisen durch sein Maria-Callas-Stück Meisterklasse einen Namen gemacht hat. Im Jahr 200 wurde Dead Man Walking als Oper uraufgeführt und löste einen regelrechten Boom aus weltweit 17 Produktionen weist die Homepage des Komponisten aus, darunter die europäische Erstaufführung 2006 an der Dresdener Semperoper in der Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff (in Koproduktion mit dem Theater an der Wien) sowie weitere Aufführungen in Malmö und Dublin. Zum Saisonauftakt hat mit dem Theater Hagen ein (nicht allzu großes) deutsches Stadttheater das Werk auf den Spielplan gesetzt. Vor der Videoprojektion, die das ermordete Teenagerpaar zeigt: Schwester Helen Prejean (Marilyn Bennett)
In der Opernfassung (die, wie schon der Film von Tim Robbins, keine dokumentarisch genaue Nacherzählung, sondern eine im positiven Sinn theatralische Verdichtung ist) ist Joseph de Rocher wegen Vergewaltigung und Mord an einem Teenager-Pärchen zum Tod durch die Giftspritze verurteilt. Die Tat selbst bildet den Prolog der Oper; die eigentliche Handlung setzt ein, als Schwester Helen (die als Sozialarbeiterin mit Kindern aus den Großstadtslums arbeitet) einen Brief von Joseph erhält, in dem er um ein persönliches Gespräch bittet. Helen wird im Todestrakt gleichzeitig mit einem Mörder ohne Schuldbewusstsein, den verzweifelten Eltern der getöteten Teenager und einem emotionslos-bürokratischen Justizsystem konfrontiert. Die Verfilmung von Dead Man Walking ist von vielen als Plädoyer gegen die Todesstrafe aufgenommen worden, auch weil Helen Prejean (die auch am Drehbuch mitgearbeitet oder dieses zumindest autorisiert hat) als engagierte Aktivistin gegen die Todesstrafe auftritt. Ganz so einfach ist das allerdings nicht; Robbins gibt in seinem Film auch den Argumenten der Befürworter Raum (vor allem in den emotional geführten Plädoyers der Eltern), und die entscheidende Einsicht in seine Schuld, die den Verurteilten als verantwortungsbewussten Menschen erscheinen lässt, erfolgt erst unmittelbar im Angesicht der Todesmaschinerie. Die Opernfasssung folgt dieser Logik, und auch wenn der Komponist im Beiheft zur CD-Einspielung die Nähe zu Robbins' Film abstreitet, sind die engen Parallelen unübersehbar. Eigenes Gewicht erhält die Oper durch die Verschiebung weg von der argumentativen Form des Films hin zur emotionalen Deutung, die durch die (tonale) Musik gegeben ist zur musikalischen Analyse sei im Weiteren auf die Besprechung der CD-Einspielung der Uraufführungs-Produktion hingewiesen. Warten auf den Tag der Exekution: Joseph De Rocher (hier: Radoslaw Wielgus)
Klangbeispiel:
" 'Be careful' people always told me" (1. Akt) - Schwester Helen (Marilyn Bennett)
Klangbeispiel:
"A worm night. A cold bottle of beer." (1. Akt) - Joseph De Rocher (hier: Radoslaw Wielgus)
Klangbeispiel:
"You don't know what's it like to bear a child" (Sextett, Ausschnit - 1. Akt) - Helen (Marilyn Bennett), Kitty Hart (Anneli Pfeffer), Owen Hart (Werner Hahn), Jade Boucher (Kristine Larissa Funkhauser), Howard Boucher (Richard van Gemert), Mrs. De Rocher (Christine Hansman)
Im Mittelpunkt der Oper steht nicht der Verurteilte, sondern Schwester Hellen, die bildlich gesprochen, in einer Szene auf der Landstraße aber ganz konkret ausgedrückt eine Reise zu den Abgründen des (Un-)Menschlichen macht. Daher scheinen grundsätzlich zwei gegensätzliche Erzählweisen für eine szenische Darstellung möglich: Einerseits eine objektiv nacherzählende, eher filmische Sichtweise, andererseits eine stärker subjektive, das psychologische Erleben stärker als die tatsächliche Handlung wichtende Ausdrucksform, die konsequent den Realismus eines amerikanischen Hochsicherheitsgefängnisses meiden müsste. Für die Hagener Produktion hat sich Roman Hovenbitzer für die erste Variante entschieden; eingeblendete Videosequenzen (Thorsten Alich) verstärken die filmische Wirkung. Die sterile Atmosphäre des Gefängnisses ist von einer Nüchternheit, die der emotional aufgeladenen, dabei aber auch filmmusikartigen Musik entgegenwirkt. Misslungen ist ausgerechnet der Gegenpol hierzu: Das House of Hope, von dem aus Schwester Helen aufbricht, ist hier eine ordentliche Schule mit typisch Hagener Schulkindern, die von ihren adretten Muttis abgeholt werden. Bei den vielen sozial benachteiligten Kindern wirst du mehr gebraucht als bei einem Schwerstverbrecher ohne Rettungschance lautet der ja nicht abwegige Vorwurf, dem Helen sich ausgesetzt sieht. Dieser (für die Handlung ganz wesentliche) Zwiespalt wird in der ansonsten überzeugenden Inszenierung nicht deutlich. Wirkungsvoll dargestellt ist die winzige Zelle des Verurteilten, die als Kubus in den Raum hinein gestellt wird da wird, wenn Helen im Gespräch mit Joseph de Rocher ganz bildlich gegen die Wand läuft, auch von der emotionalen Bedrohung viel deutlich. Vor dem Begnadigungsausschuss: Mrs. De Rocher, die Mutter des Mörders (Christine Hansmann)
Der Erfolg der Uraufführung ist auch der Starbesetzung mit Susan Graham als Helen und Frederica von Stade als Mutter de Rocher zu verdanken. Da liegt ein Problem der Hagener Produktion: Die Musik überhöht die Vorgänge auf übermenschliche Größe, und dazu bedarf es einer Sängerin mindestens für die Hauptrolle, die musikalisch und das heißt auch: stimmlich - alle Last der Menschheit schultern muss. Marilyn Bennett müht sich in Hagen nach Kräften, spielt mit großem Einsatz, ist mit ihrer zierlichen Figur eine zerbrechliche Helen; aber ihre Stimme hat kaum eine Chance, gegen die große Orchesterbesetzung anzukommen. Und auch wenn Dirigent Antony Hermus und die klangschönen und aufmerksamen Hagener Philharmoniker durchaus Rücksicht nehmen Heggie hat nun einmal vollen spätromantischen Sound komponiert, den man auch nur begrenzt abdämpfen kann. So muss Marilyn Bennett immer wieder gegen Orchestertutti anschreien und die (kontrolliert geführte) Stimme forcieren, ohne der Partie dadurch die Größe verleihen zu können, die es eigentlich bedürfte. Warten auf die Exekution: Schweseter Helen Prejean (Marilyn Bennett) und Owen Hart, Vater des ermordeten Mädchens (Werner Hahn)
Die notwendige stimmliche Präsenz und Größe für die Partie des Todeskandidaten Joseph de Rocher bringt dagegen Frank Dolphin Wong mit. Szenisch wie musikalisch nimmt man ihm den ungeheuer virilen, starken Mann ab, dessen Ausstrahlung auch erotisch sich Schwester Helen kaum entziehen kann. Der Sänger trifft zudem gut den Tonfall zwischen großer, schön" gesungener Oper und den hässlichen" Ausbrüchen des brutalen Mörders. Ebenfalls eindrucksvoll gelingt das große Sextetts zwischen den Eltern der Ermordeten (Tanja Schun und Werner Hahn sowie Kristine Larissa Funkenhauser und Richard van Gemert) auf der einen und Helen und der Mutter des Mörders, Mrs. De Rocher (Christine Hansmann gestaltet diese moderne und ambivalente mater dolorosa ausdrucksstark, aber mit oft forcierter, bei starkem Vibrato nicht immer kontrolliert geführter Stimme) auf der anderen Seite. Exekution: Joseph De Rocher (hier: Radoslaw Wielgus), Schwester Helen Prejean (Marilyn Bennett) und Chor
Bleibt wie bei jeder (nicht nur zeitgenössischen) Oper die Frage, ob Dead Man Walking sich auf der Bühne bewährt. Natürlich hat die musikalisch dicht gearbeitete Partitur einen Hang zur Sentimentalisierung, sie aber pauschal als amerikanischen Kitsch abzuschreiben ist allzu leicht: Vieles aus dem europäischen Opernrepertoire kann sich letztendlich nur Dank der ausreichenden historischen Distanz vor diesem Vorwurf frei sprechen. Der Hagener Aufführung gelingt es durch ihre Sachlichkeit, das Werk vor vordergründig christlichem Erlösungskitsch (der im Text immer wieder anklingt) zu bewahren. Mit der intellektuelle Schärfe der Buchvorlage oder auch des kühl argumentierenden Films von Tim Robbins kann und will die Opernfassung nicht konkurrieren, daher gehen solche Vergleiche ins Leere. Und den Vorwurf, ein reißerisches Sujet des kalkulierten Erfolges wegen aufzuarbeiten, hieße in Konsequenz auch, dem Musiktheater alle zeitgemäßen Themen verbieten zu wollen (und es gibt wahrlich genug Werke, die aus Belanglosigkeit postwendend vergessen werden). Entscheidender ist, dass McNally und Heggie hier ein Werk gelungen ist, das in seiner Art anfechtbar ist, dem man die Ernsthaftigkeit seines Anliegens aber nicht absprechen kann. Dem Theater Hagen ist da ganz sicher eine Produktion gelungen, über die das Diskutieren lohnt.
Zeitgenössische Oper für ein breites Publikum über ein heikles Thema - die Auseinandersetzung damit lohnt. Schnörkellos inszeniert und musikalisch achtbar umgesetzt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Ausstattung
Choreinstudierung
Einstudierung Kinderchor
Dramaturgie
Opern- und Kinderchor Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Sister Helen Prejean
Kristine Larissa Funkhauser
Joseph De Rocher
* Frank Dolphin Wong
Mrs. Patrick De Rocher
Sister Rose
George Benton
Father Grenville
Kitty Hart
* Tanja Schun
Owen Hart
Jade Boucher
* Kristine Larissa Funkhauser
Howard Boucher
Älterer Bruder
Boris Leisenheimer
Jüngerer Bruder
1. Wächter
2. Wächter
Sister Catherine
* Margarete Nüßlein
Sister Lillianne
* Nicole Nothbaar
1. Mutter
* Arletta Walczewski
Mrs. Charlton
Ein Gefangener
Wolfgang Niggel
Gerichtsdiener
Das Mädchen
Der Junge
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