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Seelenbeleuchtend
Von Bernd Stopka / Fotos von Thomas M. Jauck Man sieht es nicht und hört es doch. Das Meer spielt eine Hauptrolle in "Peter Grimes", doch dabei tobt es nicht durch die Partitur wie in Wagners "fliegendem Holländer", hier zeigt es seine Macht und Gefährlichkeit, seine Unberechenbarkeit, aber auch seine Schönheit mit sehr viel subtileren musikalischen Mitteln - nicht weniger bedrohlich und nicht weniger schön. Benjamin Brittens erste große Oper steht nach fünf Jahrzehnten erstmals wieder auf dem Spielplan der Niedersächsischen Staatsoper Hannover. Im Vorfeld dieser Produktion verbreitete die Ankündigung, dass kein Meer zu sehen sein werde, hier und da Skepsis. Eine Skepsis, die sich als unbegründet erweist. Denn gerade dadurch, dass Regisseur Barrie Kosky und sein Bühnenbildner Florian Parbs das Meer nicht bebildern, sondern es der Kraft der Musik überlassen, es vor dem geistigen Auge des Publikums sichtbar zu machen, verschaffen sie dem Urelement die Hauptrolle, die ihm gebührt. Weniger ist hier mehr. Aussichtslose Liebessehnsucht:Peter Grimes (Robert Künzli) und Ellen Orford (Kelly God)
Aus 523 Holzkisten (nein, ich habe sie nicht gezählt, die Anzahl wurde offiziell mitgeteilt) baut Florian Parbs einfache, aber eindrucksvolle Bühnenbilder vor einem schwarzen Bühnenhintergrund. Er verbindet sie mal als Podest, mal als (lautstark nach hinten kippende) Wand, besonders eindruckvoll als bedrohlich näherrückendes Kirchengemäuer mit beleuchteten Fensterklappen oder einfach als vielfach variable Sitzgelegenheit. Auch Peters Hütte ist eine riesige, schlichte Kiste, die in ihrem Innern mit kindlichen Zeichnungen maritimer Motive tapeziert ist. Sind es Peters eigene, naive Bilder? Oder sind es die gemalten Sehnsüchte seiner unglücklichen Lehrjungen?
Brutaler Lehrherr: Was sind das für Kisten? So unberechenbar wie das Meer, so undurchsichtig wie die Menschen, so geheimnisvoll bleibt ihr Inhalt. Man erkennt sie als Transportkisten, mit denen man Seefracht und Hafenarbeit assoziiert und die dadurch das Bühnenbild wieder in die Nähe des Meeres rücken. Somit ergänzen sich Bühne und Musik zu einem kongenialen Ganzen. Schlussendlich versinkt Peter Grimes geradezu ertrinkend in einer dieser Kisten, möglicherweise in genau der "box", auf die er im Prolog steigen muss, um sich die Anklage anzuhören und um sich zu verteidigen. Am Ende ist der Anfang schon das Ende. "Will you step into the box!"Peter Grimes (Robert Künzli) als Angeklagter
Regisseur Barrie Kosky baut auf die Darstellungskraft seiner Protagonisten, die sich als Sängerdarsteller allererster Güte erweisen. Jeder Charakter ist durch individuelle Personenregie gezeichnet und wird überzeugend dargestellt. Alfred Mayerhofer hat die Personen in wildbunte Kostüme der Jetztzeit gekleidet. Peter Grimes erweitert mit seinen Kisten das Podest, auf dem sich die anderen Dorfbewohner ausbreiten. Die Arbeit darf er machen, aber sie verachten ihn dennoch - oder gerade deswegen. Alle haben sie "Dreck am Stecken", vom bigotten Laienprediger bis zum kotzenden Junkie. Aber es ist so schön einfach, wenn einer der Böse ist, der sich nicht wehren kann, weil er eben nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist. Grimes ist ein unbeherrschter Mensch, roh und brutal, aber mit einem weichen Kern und einer verletzbaren Seele, mitleiderregend und abstoßend zugleich. Diese Ambivalenz gestaltet Robert Künzli ganz exzellent, auch stimmlich - mit wunderschönen, auch mal rauen aber immer ausdrucksvollen Tönen. Ein Heldentenor, der auch lyrische Qualitäten besitzt.
Kisten über Kisten: Die ersten drei Seebilder lässt Kosky vor geschlossenem Vorhang spielen und vertraut damit ganz und gar der Kraft der Musik. Ein Vertrauen, das reich belohnt wird. Leider behält er diese - durchaus mutige - Entscheidung nach der Pause (hier nach dem ersten Bild des zweiten Aktes) nicht bei. Bilder und Aktionen werden gröber, drastischer, einige erklären sich nicht und so entsteht eine Distanz, in der die Dichte und Betroffenheit des ersten Teiles vorübergehend verloren geht. Am Schluss wird sie dann aber glücklicherweise wiedergewonnen. Gedemütigt:Peter Grimes (Robert Künzli)
Etwas eigenwillig erscheint eine Änderung der Handlung: Um der "Lynchlust" der Dorfbewohner zu entkommen und dem Rat des Captain Balstrode folgend, versenkt Peter sein Boot auf dem Meer und begeht einen - in gewisser Weise unfreiwilligen - Selbstmord. Soweit das Libretto. Barrie Kosky erspart Peter die Brutalität der Dorfbewohner nicht. Wurde vorher schon eine Peter Grimes-Puppe misshandelt und auf einen überdimensionalen Haken gespießt, wird hier auch Peter selbst gedemütigt und gefoltert. Er wird gewaltsam lächerlich als Frau verkleidet und gelyncht. Das ist ein deutlicher Bezug zu unserer brutalen Gegenwart und rein theatralisch gesehen eine Steigerung. Doch die Brutalität und Kraft der Angst, die Peter im Original zum Wahnsinn treibt, verliert dadurch an Bedeutung. Das plakativ Grausame wurde dem grausam Subtilen vorgezogen. Die gänzlich nackte Leiche des Lehrjungen im Prolog, der öffentlich masturbierende Laienprediger, der ärgerlicherweise vertrampelte und verkicherte Chor zu Beginn des ersten Aktes sind unnötige Überzeichnungen - doch dagegen stehen die ungeheuer starken Bilder.
Aufopferungsvoll: Mit enormer Bühnenpräsenz und archetypischer Fraulichkeit verleiht Kelly God der aufopferungsvollen Ellen Orford Leben. Ihr warmes Timbre, die unangestrengten Spitzentöne und die bei aller Leidenschaftlichkeit stets exakte Tonbildung beglücken gleichermaßen. Den leicht gehbehinderten Captain Balstrode singt Brian Davis mit klangschönem Bariton. Herrlich verrucht singt und spielt Claire Powell die Wirtin Auntie, Hinako Yoshikawa und Karen Frankenstein gackern und kichern sich als ihre nuttigen Nichten durch die Geschichte. Aber auch sie haben einen weichen Kern. Tief bewegend vermischen sich ihre Stimmen im seelenbeleuchtenden Quartett mit Ellen und Auntie. Als tablettenabhängige blonde Dorftratsche Mrs. Sedley setzt Xenia Maria Mann tragikomische Akzente. Kichernde Nichten(Karen Frankenstein und Hinako Yoshikawa)
Bei Wolfgang Bozic liegen Ausdrucksstärke und Eindringlichkeit der Musik in besten Händen. Die sehr feinsinnige, niemals üppige Instrumentierung stellt besondere Herausforderungen an das Orchester, denen es sich bis auf wenige Ungenauigkeiten bestens gewachsen zeigt. Klangschön beweisen Chor und Extrachor ihre Qualitäten, gerade auch, wenn sie piano singen.
In der Kneipe einsam: Dem Schlussbild gehört der Schlusssatz: Peter versinkt/ertrinkt, keiner kümmert sich darum, das Leben im Dorf geht weiter. Auf der Bühne wird das Probenlicht angeschaltet, die Hintergrundvorhänge werden hochgezogen, ein Bühnenarbeiter trägt die Kiste weg, räumt die Bühne auf. Geht auch in unserem Leben alles weiter wie bisher? Kein moralischer Holzhammer, keine drastische Provokation, sondern ein stilles, nachdenklich machendes Bild. Auch so kann Theater etwas bewegen. Gerade so.
Eine Produktion mit starken Bildern, die das Publikum nicht kalt lassen. Musikalisch bleibt kaum ein Wunsch offen. Einige Eigenwilligkeiten der Regie mögen Geschmackssache sein, schmälern aber nicht das beglückende Gefühl, richtig gutes Musiktheater erlebt zu haben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* AlternativbesetzungPeter Grimes Robert Künzli
Ellen Orford
Captain Balstrode
Auntie
Niece 1
Niece 2
Bob Boles
Swallow
Mrs. Sedley
Reverend Horace Adams
Ned Keene
Hobson
Dr. Crabbe
John, Grimes' Lehrling
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