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Brittens Jago
Von Christoph Wurzel
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Fotos von Barbara Aumüller Eine Tat im Affekt: Der Matrose Billy Budd, Vortopmann auf der "Indomitable", tötet seinen Vorgesetzten, den Waffenmeister John Claggart, mit einem Schlag ins Gesicht, nachdem der Kapitän des Schiffes beide zu einer Gegenüberstellung in seine Kajüte gerufen hat. Billy Budd soll zu den Anschuldigungen Claggarts Stellung nehmen, er habe auf dem Kriegschiff eine Meuterei angezettelt. Dass diese Verdächtigung unhaltbar ist, ahnt auch Kapitän Edward Fairfax Vere, aber Billy Budd kann sich nicht rechtfertigen. Ihm versagen die Worte. Immer wenn er unter Druck gerät, kann er nur stammeln und stottern. Der Schlag mit der Faust ist in diesem Fall der einzige Impuls, der ihm zur Gegenwehr bleibt. Billy Budd ist nicht nur unschuldig, sondern sogar der Inbegriff des guten Jungen - idealistisch bei der Arbeit, fröhlich beim Singen, gutmütig im besten Sinn, der strahlende Mittelpunkt der ganzen Mannschaft. Vor dem Verhör: oben Kapitän Vere (John Mark Ainsley) und Billy Budd (Peter Mattei) - unten John Claggart (Clive Bayley)
Ursprünglich ist diese starke Geschichte im Kontext der aufgeklärten Freiheitsrevolutionen des 18. Jahrhunderts angesiedelt und spielt auf einem englischen Kriegsschiff, auf welchem noch absolutistische Regeln herrschen. Herman Melville, schrieb diese Novelle als sein letztes literarisches Werk im Geist eines tiefsten Humanismus. In der Frankfurter Inszenierung ist die Handlung aber ins 20. Jahrhundert und in eine Kadettenanstalt verlegt worden. Die Mechanismen der Entwürdigung und Unterdrückung sind hier nicht mehr Ausdruck politischer Verhältnisse, sondern zwangsläufige Folgen der herrschenden Befehls- und Gehorsamsstrukturen. Und es zeigt sich, dass beide Systeme sich bis aufs Haar gleichen. Militärische Zucht, Entindividualisierung des Einzelnen und unterdrückte Sexualität sind die bestimmenden Koordinaten dieser reinen Männergesellschaft. Offizielle Härte und klare Feinbilder bestimmen hier den Alltag. Das Weiche, Güte und menschliche Zuwendung, haben ihren Platz nur in den Kajüten unter Deck. Die Offiziere sind Funktionäre des Systems, auch der Kapitän Vere, an sich ein Zweifler, zollt dem System seinen Tribut. Claggart, der diabolische Fixpunkt des Geschehens, wirkt wie der zynische Normalfall.
Gut und Böse in Person:
Diese Neuformation der Oper geht in der Inszenierung des britischen Regisseurs Richard Jones vollkommen auf, und zwar in einer außergewöhnlich packenden und berührenden Weise. Bühnenbild ( drei seitlich verschiebbare Räume) und Regie ermöglichen einen Bühnennaturalismus von nahezu cinematografischer Genauigkeit. Die Präzision der Personenführung ist nicht zu übertreffen und alle Akteure setzen dies auch in faszinierende Rollenrealisation um. Drei exzellente Sänger stehen für die Hauptrollen zur Verfügung. Clive Bayley spielt den Claggart überzeugend als Inkarnation der Banalität des Bösen, ein zweiter Jago gleichsam. Peter Mattei gibt den Billy Budd auf anrührende Weise redlich und wahrhaftig. Auch John Mark Aisnley zeigt als Vere das überzeugende Charakterportrait eines zwischen Menschlichkeit und Pflichtgefühl schwankenden Mannes. Einzig die Selbstabsolution im Schlussbild wirkt vielleicht allzu pathetisch, was aber der Anlage der Oper geschuldet ist. Aus dem Ensemble ragt Carlos Krauses Verkörperung des alten Matrosen Dansker heraus. In dieser Inszenierung gibt es tatsächlich keinen einzigen Ausfall, weder darstellerisch noch sängerisch. Ein absoluter Glücksfall für diese zu selten gespielte, in ihrer Wirkung großartige Oper des hierzulande vielfach unterschätzten Benjamin Britten. Kriegsspiele (Ensemble)
Leonard Bernstein charakterisierte Brittens Musik als tiefgründig und seelenvoll und widersprach damit dem gängigen Urteil, sie sei bloß dekorativ. Auch Eklektizismus wurde Britten vorgeworfen. Zu beweisen, dass diese Musik eine beeindruckende Bandbreite größter Ausdrucksstärke besitzt, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst dieser Frankfurter Produktion. Unter der Stabführung von Paul Daniel spielt das Museumsorchester die expressiven Seiten der Musik hervorragend heraus. Was an Klangintensität aus dem Graben kommt, erweist sich so als ein gutes Komplementär zur glasklar analytischen Bühnenrealität.
Bei dieser Inszenierung stimmt wirklich alles. Von den Sängerleistungen, über Regie und Bühne bis hin zu kleinsten Details der Kostüme ist alles perfekt durchgearbeitet. Eine Produktion, die mit Sicherheit am Schluss zu den eindrücklichsten der ganzen Saison gezählt werden wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühnenbild und Kostüme
Choreografische Mitarbeit
Dramaturgie
Licht
Chor
Solisten
Edward Fairfax Vere
Billy Budd
John Claggart
Mr. Redburn
Mr. Flint
Lieutenant Ratcliffe
Red Whiskers
Donald
Dansker
The Novice
Squeak
Bosun
Maintop
1st Mate
2nd Mate
Novice`s Friend
Arthur Jones
Bühnenschlagzeuger
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