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Pappmasché-Bulldozer statt Ishtartor-Kitsch
Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub Mit dem Anspruch, Oper herausfordernd und lebendig zu gestalten, war Christopher Alden bei seinem Rheinoperndebüt mit Verdis Nabucco angetreten - und scheiterte auf der ganzen Linie, denn seine sehr subjektive Annäherung an den bekannten Stoff kann man zwar nach Studium des Programmhefts (samt apologetischer Produktionsdeutung vom für teures Geld engagierten Dramaturgen) und den vor der Vorstellung in einer Werkeinführung gegebenen Erklärungen und Appellen, sich auf den auf den ersten Blick befremdlichen Ansatz einzulassen, durchaus nachvollziehen, aber das tatsächlich auf der Bühne Gezeigte wirkt über weite Strecken gewollt, konstruiert und entsetzlich langweilig, gerät einerseits zu banal, andererseits zu stilisiert-verfremdet, um wirklich zu berühren, und zum gesungenen Text passt es leider auch so manches Mal nicht. Klangbeispiel: Preludio (1. Akt; Auszug) - Die Duisburger Philharmoniker (Dirigent: John Fiore)(MP3-Datei)
Fenena (Laura Nykänen, links) versucht die wütende Abigaille (Therese Waldner, Mitte) zu besänftigen, während Nabucco (Boris Statsenko) nicht mehr Herr der Lage ist. Alden fühlte sich bei seiner Beschäftigung mit der Vorlage an Konflikte im Nahen Osten erinnert: In der Oper mögen es die Hebräer sein, die vertrieben worden sind und heimatlos herumirren, aber solche Schicksale findet man zweifellos bis heute. Aber Alden geht weiter: Spätestens nach den Ereignissen des 11. September 2001 könne niemand mehr ganz "sicher sein, was uns gehört und wo wir hingehören". Und so sehen wir nicht zwei Gruppen von Menschen auf der Bühne, sondern nur eine, "Menschen in Kleidern unserer Zeit", in wenig aufregenden und sich kaum von den Herbstkollektionen der großen Kaufhäuser unterscheidenden Kostümen von Gabriel Barry, auf denen ich den Staub nicht habe entdecken können, den Alden sich gewünscht hatte, um seine auf den Straßen von New York City gewonnenen Eindrücke zu illustrieren. Das Bühnenpersonal soll in seinem Schmerz und seiner Erschütterung übrigens eine Art "Mysterienspiel" aufführen: "es ist alles Musik, es ist alles Gesang. Menschen, die überlebt haben, spielen ein fast religiöses Ritual", was reichlich schwach mit dem Hinweis begründet wird, es handele sich schließlich um einen biblischen Stoff. Nein, "Mysterienspiel" ist nichts weiter als eine euphemistische Vernebelung des Umstands, dass sich ein Regisseur nicht auf die ihm zugeteilten Darstellerinnen und Darsteller, vielleicht sogar nicht konsequent genug auf das Stück hat einlassen können, für das er einen Vertrag unterschrieben hat und bei dessen Realisierung er sich zu früh mit einer vielleicht nicht schlechten, aber nicht einen ganzen Abend tragenden Idee zufrieden gegeben hat. Und so bewegen sich die Sängerinnen und Sänger entweder in enervierendem Zeitlupentempo oder lassen eigenen Darstellungsideen freien Lauf, so wirken das träge Bühnengeschehen, die flache, blasse Figurenzeichnung, die Spannungsarmut dieser Inszenierung wie ein hilfloser Kontrapunkt zu der dramatischen, ungemein flott und zwingend dargebotenen Musik aus dem Graben. Zu dem zweiten Drama des Stücks, dem Familienkonflikt, passt diese stilisierte Erzählform übrigens noch weniger - Nabucco ist für Alden ein mächtiger Großbauunternehmer, der nach seinen Plänen Häuser zerstört und Menschen vertreibt, um auf dem nun freien Gelände neue Reihenhäuserbatterien zu bauen. Folgerichtig, aber ebenso platt tritt er auf einem riesigen Bagger auf, den die Werkstätten ähnlich realistisch hinbekommen haben wie Karnevalsvereine Politikerbüsten für ihre Rosenmontagsumzüge - das Publikum reagiert zurecht ähnlich amüsiert. Sieht man von einer leeren Bühne mit ein paar Straßenlaternen und Absperrungen sowie den Dutzenden von auf der Bühne abgestellten Möbel des heimatlosen Volkes im zweiten Teil ab (welch sublime Veranschaulichung!), dessen Abbau den Einsatz eines schweren Zwischenvorhangs nötig machte, waren mit dem Baufahrzeug die Einfälle von Bühnenbildner Paul Steinberg erschöpft. A propos Einfälle: Reichlich gesucht wirkt auch die Idee, Fenena als Rachel Corey zu zeigen (es handelt sich um eine Amerikanerin, die von einem Bulldozer getötet wurde, als sie versuchte, das Haus einer palästinensischen Familie vor dem Abriss zu retten), die sich bald mit dem heimatlosen Volk identifiziert, das sie als Geisel genommen hat, und sich folgenschwer gegen die Baupläne ihres Vaters auflehnt. Der Verfremdungseffekt schließlich, sie vor dem erwähnten Notlösungsvorhang die Titel der vier Teile der Oper und die zugeordneten Zitate aus dem Buch des Propheten Jeremia in deutscher Übersetzung vortragen zu lassen, ist mehr als überflüssig und hält die Handlung noch weiter auf, die am Ende auch noch unübersichtlich wird. Fenena (Laura Nykänen) solidarisiert sich mit dem heimatlosen Volk. Boris Statsenko macht erwartungsgemäß einen guten Eindruck in der Titelpartie, der er sich nicht nur mit quälender Phonstärke nähert, sondern für die er auch manchen Zwischenton parat hat und mit dessen Text er sich offenbar intensiv auseinandergesetzt hat; ich persönlich bevorzuge in dieser Rolle allerdings eine kraftvollere, über mehr Bassfundament verfügende Stimme. Wirklich überrascht hat mich dagegen Therese Waldner in der hybriden, vertrackten Partie der Abigaille, die John Fiore als "Mischung aus hochdramatischem Belcantofach und Verdi-Sopran" und als "babylonische Belcanto-Brünnhilde" bezeichnet, denn auch wenn die Polin sicher keine Virtuosa ist, so bleibt sie den virtuosen Anforderungen der gefürchteten Rolle doch erstaunlich wenig schuldig (und welche Sopranistin macht das heute besser? Man darf keinen Klavierauszug in den Händen haben, wenn man etwa die oft und lautstark gelobte Maria Guleghina live in dieser Partie hört!). Man bewundert die bemerkenswert runden, herben, aber nie vulgären tiefen Töne, freut sich über einige beeindruckende Acuti, die sie nicht nur in den Ensembleszenen durchaus streng in kraftvollem Forte attackiert, man sieht ihr das mitunter ausladende Vibrato und die hohen Töne nach, die ein wenig zu tief geraten oder unorthodox "angebohrt" werden, und registriert auch, dass sie darstellerisch bemühter und gelöster wirkt als an manchem Abend, ohne dass man große Hoffnungen hegt, dass sie eine wirklich große Actrice würde. Klangbeispiel: "Prode guerrier!" (Auszug aus dem Terzett des 1. Aktes) - Therese Waldner (Abigaille)(MP3-Datei)
Abigaile (Therese Waldner) hat das verhängnisvolle Schriftstück zerrissen, aus dem hervorgeht, dass sie keineswegs die Tochter des Nabucco (Boris Statsenko), sondern das Kind von Sklaven ist. Ein wenig früh kommt der Zaccaria wohl für Mikhail Kazakov, den Gast vom Bolschoitheater, der bei insgesamt schlanker Stimmführung zwar weitgehend mühelos alle Töne für die Partie hat, aber eben noch nicht die Gestaltungskraft und Autorität, die man für die Priesterrolle braucht, auch wenn ihm das zweite Solo sehr verinnerlicht und berührend gelingt. Laura Nykänen mag sich ins Fäustchen gelacht haben über das Regiekonzept, das die ansonsten eher langweilige Comprimaria-Rolle der Fenena nahezu in den Mittelpunkt des Interesses rückt, und tatsächlich legte sie sich darstellerisch mächtig ins Zeug, machte aber rein vokal mit sehr durchschnittlichem, glanzarmen und wenig farbigen Mezzosopran etwa im Gebet des vierten Aktes kaum Eindruck. Anstelle des bereits in der Premiere stark beeinträchtigten Andrej Dunaev hatte man Emmanuel di Villarosa als Ismaele verpflichten können, der die Partie zur Zeit auch in Frankfurt singt und mit attraktiv dunklem Timbre, geschmeidiger Phrasierung, viel Legato, messa di voce und tonlicher Schönheit für sich einnahm. Markus Müller hatte das Pech, bei insgesamt schütterer werdendem Tenor bei einem der wenigen Solotöne zu kieksen, Günes Gürle wirkte als Oberpriester eher optisch und dank des Regieeinfalls, Abigailles Geliebter sein zu dürfen, Véronique Parize machte als Anna in der Baggerschaufel auf sich aufmerksam. Abigaille (Therese Waldner, links vorn) hat die Fäden in Nabuccos Baugeschäft in der Hand und ein Verhältnis mit dem Oberpriester (Günes Gürle, vorn Mitte), während Fenena (Laura Nykänen, hinten links) sich mit ihren Geiselnehmern (Chor, Extrachor und Statisterie der Deutschen Oper am Rhein) verbrüdert hat. Nabucco ist eine Choroper, und das Kollektiv war von Gerhard Michalski auch hörbar auf die anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet worden, so dass man von einer durchaus guten Leistung berichten kann, ohne dass mich persönlich die großen Szenen wirklich gepackt hätten (den vom Publikum so heiß erwarteten Gefangenenchor etwa habe ich an anderen Häusern schon dynamisch differenzierter und raffinierter gehört), was nicht zuletzt der Umstand zeigt, dass ich mir mehrfach Gedanken über das wenig idiomatische Italienisch der Damen und Herren machen konnte. Angesichts des szenischen Leerlaufs und der zupackenden Art John Fiores hatten es dagegen die Duisburger Philharmonikern nicht allzu schwer, zum eigentlichen Hauptdarsteller des Abends zu avancieren - schon im Preludio reizte der Chefdirigent die starken Kontraste der Partitur mitreißend aus, traf genau den militärischen Ton des Werkes, ohne es unnötig zu vergröbern oder bei den heftigen Affektausbrüchen Kontrolle und Akkuratesse zu verlieren.
Das Duisburger Publikum soll in der Premiere für das Regieteam fast einhellig gebuht und den Dirigenten und die Sänger ebenso einmütig gefeiert haben, der Rezensent kann sich da eigentlich nur anschließen: Dieser Nabucco findet hauptsächlich im Graben statt und ist nicht weniger langweilig als die vielen Outdoor-Produktionen mit Pappmasché-Ishtartor. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Dramaturgie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Choreographie
SolistenNabuccoBoris Statsenko
Ismaele
Zaccaria
Abigaille
Fenena
Oberpriester
Abdallo
Anna
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