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Musiktheater
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Die Meistersinger
von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner



Aufführungsdauer: ca. 6 Stunden (zwei Pausen)

Premiere an der Sächsischen Staatsoper Dresden
am 14. Oktober 2007
Besuchte Aufführung: 17. Oktober 2007


Homepage

Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)
Mit PowerPoint zur Meisterehr'

Von Bernd Stopka / Fotos von Matthias Creutziger

Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" sind immer eine besondere Herausforderung. Das Haus mobilisiert alle Kräfte, die Kosten sind hoch, die Anforderungen nicht minder. Dem Regieteam geht es nicht besser, denn neben aller Opulenz, allem Tiefsinn, allem Schönen, allem Seltsamen und allem Humor des Werkes, gibt es da auch eine problematische Rezeptionsgeschichte, die viele Regisseure in ihr Konzept aufnehmen wollen.

An der Sächsischen Staatsoper Dresden haben sich Regisseur Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt an den "Meistersingern" versucht. Sie schwanken zwischen Vergangenheit und Gegenwart, werfen dabei einige Stühle und Häuser um - und bekommen doch keinen festen Boden unter die Füße.

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Gestenballett zum Eingangschor,
Eva (Camilla Nylund) auf dem Singestuhl

Zum Eingangschor sehen wir ein "Gestenballett", das verschiedene Grußformen beinhaltet. In einem blendend weißen Raum (irgendetwas zwischen Gemeindesaal und Vereinsheim) stehen überdimensionale Tische und Bänke. Auch der "Singestuhl" hat doppelte Mannshöhe. Soll das auf übergroße Anforderungen der Meisterregeln hinweisen? Aber alle Nürnberger Meistersinger haben sie bestanden - sonst wären sie nicht in die Meistersingerzunft aufgenommen worden.

An der hinteren Wand befindet sich eine Vitrine mit 12 putzigen Miniatur-Fachwerkhäuschen, ordentlich in drei Reihen aufgestellt. Alles hat seine Ordnung. Und wie. Doch warum laufen diese ordnungspedantischen Meister dann über Bänke und Tische als sei das selbstverständlich? Während David nach bestem Wissen und Gewissen die Regeln des Meistergesanges verkündet wird die grafische Darstellung derselben auf eine Rückwand projiziert. Spätestens mit dieser PowerPoint-Präsentation sind wir in der Jetztzeit angekommen. Raster und Skala zeigen die Enge der Vorschriften, aber auch ihre Genauigkeit. Im Meistergesang geht es um eine Kunst, die durch das Ordnen guter Ideen entsteht.

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Stolzing (hier Robert Dean Smith) auf dem Singestuhl,
Meister und Lehrbuben, im Hintergrund die projizierte "Merkertafel"

In Ausübung seines Amtes trägt Merker Beckmesser eine dunkle Brille und listet die unterschiedlichen Fehler des drauflossingenden Ritters mit quietschendem Filzstift auf. Auch das Merkerblatt wird auf die Leinwand projiziert. Somit wird die Merkerarbeit für alle offen sichtbar. Die feine Ironie, dass sich der Merker einschließt, um eben das zu verhindern, man dann aber doch seine Kreidestriche hört, bleibt hier auf der Strecke. Ein Beispiel, das stellvertretend für viele Aktionen steht, die etwas überdeutlich sagen wollen, dabei aber die feinen Fäden des Librettos gegen eher Oberflächliches austauschen.

Im zweiten Akt steht der Raum Kopf. Eine riesige Fliederdolde hat sich durchs Fenster in den Raum geschoben. Unter der Decke hängen die Tische. Auf den folgerichtig am Boden befindlichen Abdeckungen der Neonleuchten macht es sich Sachs mehr oder weniger bequem, während Pogner und Eva - synchron in ihren Teetassen rührend - den vergangenen Tag besprechen. Dabei sitzen sie vor einem schon etwas größerem Fachwerkhaus, das auf einem riesigen Tisch steht.

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Vom Meisterlogo erschlagen:
Eva (hier Ute Selbig) und Stolzing (Raymond Very)

Während Stolzing Eva von seinem Misserfolg im Meistersingen berichtet, wird der Raum von Projektionen der Tabulatur und des "Nürnberger-Meistersinger-Logos" geradezu überflutet. Und als der wilde Ritter singt: "Fort in die Freiheit!" verschwimmen die geordneten Linien zu einem wirren Chaos. Wer hätte das gedacht. Sachs Schusterlied hat hypnotische Wirkungen auf Eva, Stolzing und Beckmesser (und auf den Beleuchter). Und während Sachs über die schlimme Eva im Paradies singt, hält des Goldschmieds Töchterlein einen Apfel in der Hand. Haben es alle verstanden?! Nicht so ganz zu verstehen ist die Charakterzeichnung, die Eva mal mädchenhaft lieb, mal psychotisch gestört, mal somnambul entrückt, mal motorisch ungeschickt erscheinen lässt.

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Prügelfuge mit Tierköpfen, Beckmesser (Bo Skovhus)
wird ans Fachwerkhaus gefesselt und kastriert

Die Prügelfuge erhält durch das symbolträchtige Aufsetzen von Tierköpfen optische Elemente von Shakespeares "Sommernachtstraum" (dadurch aber trotzdem nicht mehr Tiefgang). Bei der Prügelei richtet sich offensichtlich alle Wut auf den Merker, anstatt dass kirmesschlägereimäßig und textbuchentsprechend jeder mit jedem abrechnet. Beckmesser wird fast vollständig aus seinen Kleidern gezerrt, wie ein Märtyrer an das Fachwerkhaus gefesselt und von David kastriert, dass das Blut nur so spritzt. Platter geht es kaum. Da bleibt es fast unnötig zu erwähnen, dass der Nachtwächter zum Straßenreiniger umgeschult wurde.

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Hans Sachs (Alan Titus) stenographiert
Stolzings (Raymond Very) Preislied mit

Wieder auf die (Tisch-)Beine gestellt zeigt sich der Einheitsbühnenraum im dritten Akt - allerdings als eine reichlich vollgemüllte Schusterstube. Müll auf der Bühne ist immer sehr beliebt, Müll wird immer wieder gern genommen. Zollstockfetischist David tappt wünschelrutengeführt durch das Chaos, in dem sich zu jedem Darsteller eine adäquat gekleidete, lebensgroße Stoffpuppe findet. Zum Wahnmonolog liebkost Sachs die Eva-Puppe bevor er die umgestürzten Fachwerkhäuschen aus dem ersten Akt wieder aufstellt und so versucht, Ordnung zu schaffen. Wenn Stolzing sein Werbelied dichtet, wird der Text in Steno auf die Leinwand projiziert. Herr Sachs bitte zum Diktat. Vielfarbig beleuchtet versinkt die Fliederdolde aus dem zweiten Akt langsam hinter dem Fenster.

Die Verwandlungsmusik zur Festwiese wird durch die Arbeiten eines Reinigungstrupps gründlich verraschelt und verknistert. Die Chöre der Zünfte, die aus allen möglichen Leuten bestehen, aber nicht berufsspezifisch besetzt sind, schubsen die putzenden ausländischen Mitbürger von einer Ecke in die andere, bis die Lehrbuben (kostümiert wie eine Mischung aus Pimpfen und Burschenschaftlern) die kopftuchtragenden Putzfrauen zum Tanzen zwingen ("Mädel von Fürth"?). Schlimme Assoziationen zu heute und früher vermischen sich - haben hier aber nichts zu suchen.

Spätestens im zweiten Akt geht die Projektionswut auf die Nerven. Das ist bedauerlich, weil sie im dritten Akt am meisten Sinn macht, dort wo auf der Festwiese des Redners Konterfei wie bei einer Großveranstaltung überdimensional auf Leinwände projiziert wird. Doch da hat sich die Idee schon totgelaufen.

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Schlussbild

Herr Walther von Stolzing war in der Zwischenzeit bei Friseur und Schneider und erscheint in meisterlich angepasster Kombination mit Hemd und Krawatte. Evchen auf dem "Singestuhl", die Meister geschlossen auf dem Tisch und der singende Ritter davor, dann Sachsens (schon fast verwunderlich ungestörte) Schlussansprache, ein in Zeitlupe applaudierender Chor - da kann sich Beckmesser nur die Kugel geben oder selbst den Kopf einschlagen, aus dem er fürchterlich blutet, während er über die Bühne schwankt (kein Wunder, bei dem Blutverlust innerhalb weniger Stunden). Dass Eva sich ihm kurz mitleidsvoll nähert, bleibt eine Andeutung. Wenn sich der Vorhang schließt, werden Eva mit Stolzing (glücklich) und Beckmesser (halbtot) von den anderen isoliert.

Regisseur Claus Guth versucht in einer Mischung aus gesellschafts- und werkkritischen, psychoanalytischen, geschichtlichen und aktuellen Aspekten alle möglichen Ideen zu den "Meistersingern" miteinander zu verbinden. Entstanden ist ein Sammelsurium ohne roten Faden, das eher an ein Brainstorming erinnert, das nicht noch einmal überdacht wurde. Viele Regieeinfälle (alte und neue) sind nicht schlüssig zu Ende geführt (Puppen, Kastration) und die Charakterisierungen der einzelnen Personen hätten intensiver erarbeitet werden können.

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Hans Sachs (Alan Titus)

In solchen Fällen tröstet sich der Opernbesucher gern mit der musikalischen Seite. Doch diese Hoffnung lässt der Dirigent gar nicht erst aufkommen, wenn er mit dem Vorspiel drauflospoltert. Allzu grob und hölzern und viel zu laut jagt Fabio Luisi die Staatskapelle durch die Partitur, uninspiriert, unsensibel, undifferenziert - oberflächlich. Zwei Akte lang bleibt er der Musik jeden Zauber und jede meistersingerspezifische Heiterkeit schuldig, von Spannungsbögen und lang vorbereiteten Steigerungen ganz zu schweigen. Da blüht nichts und da verzaubert nichts, da wird bestenfalls "ganz ordentlich" musiziert. Wobei auch die Staatskapelle damit nicht allzu glücklich zu sein scheint, denn sie lässt ungewohnt viele Ungenauigkeiten und Patzer hören. Unter diesem Dirigat bleibt dieses Weltklasseorchester weit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Wie es klingen könnte, ahnt man im dritten Akt, denn hier scheint sich der Dirigent (endlich) daran zu erinnern, dass diese "Handwerkeroper" auch mit Seidenhandschuhen dirigiert werden will. Dann schwebt das Quintett und das Preislied entspinnt sich aus feinen Fäden - bis auf der Festwiese wieder die Wände wackeln.

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Am Morgen danach:
Sachs (Alan Titus) und Beckmesser (Bo Skovhus)
mit Häuschen, Puppen und Müll

Die rücksichtslose Lautstärke macht es den Sängern nicht einfach. Alan Titus verströmt immer wieder wunderbar samtig-satte Töne, rettet sich aber im letzten Akt oft ins Nasale, wenn ihm hörbar die Kräfte zu schwinden drohen. Insgesamt bleibt sein Sachs seltsam blass, uncharismatisch, zumal er auch schauspielerisch nur begrenzte Ausdrucksmittel zur Verfügung hat. Auch Oliver Ringelhahn könnte den David sehr viel subtiler gestalten, müsste er nicht gegen das überlaute Orchester ansingen. So klingen die Höhen oft forciert, während die Mittellage Geschmeidigkeit und Schönklang auszeichnet. Intonation und Artikulation könnten jedoch noch etwas mehr Genauigkeit vertragen. Hans-Peter König hingegen könnte es wohl auch mit einem doppelt so starken Orchester aufnehmen. Sein wohltönender, gewaltiger Bass besitzt Volumen und Flexibilität, Ausdruckskraft und Stimmkultur. Damit steht er in der ersten Reihe der (nicht nur körperlich) großen Bassisten und ist als Pogner eine echte Luxusbesetzung.

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Die skeptischen Meister lauschen
Stolzings (Raymond Very) Lieds

Raymond Very sollte ab der dritten Vorstellung den Stolzing übernehmen, hat jedoch bereits in der Premiere während der Schusterstube quasi im fliegenden Wechsel Robert Dean Smith abgelöst, den plötzlich die Stimme verließ. Auch die zweite Aufführung hat er für ihn übernommen. Sein eher hell timbrierter, jugendlich klingender Tenor besitzt beste lyrische Qualitäten, die strahlenden Höhen sitzen sicher und er zeigt auch im dritten Akt keine Ermüdungserscheinungen. Da kommt es ihm zugute, dass er sich im ersten Akt nicht zum Kräftemessen mit der Orchesterwucht verleiten läßt.

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Beckmesser (Bo Skovhus)
und Sachs (Alan Titus)

Mit Stimme und Erscheinung ist Camilla Nylund ein Evchen wie aus dem Bilderbuch. Ihr wunderschöner, glockenklarer Sopran besitzt eine mädchenhafte Leichtigkeit, eine ansprechende Mittellage und ist in der Höhe glanzvoll und frei von jeder Schärfe. Mit großer Spannung wurde Bo Skovhus' Rollendebüt als Beckmesser erwartet. Skovhus tritt in die Fußstapfen der Liedsänger in dieser Partie und gestaltet den Stadtschreiber mit höchst kultivierter Sangeskunst und verdeutlicht so, dass der Merker ein echter Meistersinger und keine Witzblattfigur ist. Einer der vokalen Glanzpunkte des Abends. Christa Mayer ist eine sinnliche Magdalene mit viel Bühnenpräsenz, Michael Eder ein volltönender Nachtwächter, Matthias Henneberg hinterlässt als Kothner beste Eindrücke. Exzellent vorbereitet kann der Chor seine üppige Klangpracht unter Beweis stellen.


FAZIT

Ein Versuch über Wagners "Meistersinger", der nicht gelungen ist. Die vokalen Glanzpunkte trösten, können den Abend aber nicht wirklich retten. Schade.


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(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabio Luisi

Inszenierung
Claus Guth

Bühne und Kostüme
Christian Schmidt

Choreinstudierung
Ulrich Paetzholdt

Licht
Jan Seeger

Video
Bastian Trieb

Dramaturgie
Sophie Becker
Ilsedore Reinsberg



Komparserie der Sächsischen
Staatsoper Dresden

Chor der Sächsischen
Staatsoper Dresden

Mitglieder des
Sinfoniechores Dresden e.V.

Sächsische Staatskapelle
Dresden


Solisten

Hans Sachs
Alan Titus

Veit Pogner
Hans-Peter König

Kunz Vogelgesang
Tom Martinsen

Konrad Nachtigall
Christoph Pohl

Sixtus Beckmesser
Bo Skovhus

Fritz Kothner
Matthias Henneberg

Balthasar Zorn
Timothy Oliver

Ulrich Eisslinger
Gerald Hupach

Augustin Moser
Karl-Heinz Koch

Hermann Ortel
Jürgen Commichau

Hans Schwarz
Rainer Büsching

Hans Foltz
Jacques-Greg Belobo

Walther von Stolzing
Raymond Very

David
Oliver Ringelhahn

Eva
Camilla Nylund

Magdalene
Christa Mayer

Ein Nachtwächter
Michael Eder



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)



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