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La Bohème

Szenen aus Henri Murgers La Vie de Bohème
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 30. September 2007

(rzensierte Aufführung: 19.12.2007)


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Theater Bonn
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Die Kunst findet ihr Thema

Von Stefan Schmöe


Mit dem Tod, ist er nur ästhetisch hinreichend gelungen, lässt sich ordentlich Geld und Ruhm verdienen. Würden Puccinis Frauen nicht so wunderschön sterben, der Erfolg des Maestro aus Lucca wäre zweifelsohne weniger groß ausgefallen. Diesen Mechanismus scheinen auch die Herren Rodolfo, Marcello, Colline und Schaunard in Dietrich Hilsdorfs Bonner Neuinszenierung der Bohème schnell zu erlernen, denn Mimis Tod kann ihnen kaum früh genug kommen – mit einer Spritze helfen sie sogar noch ein wenig nach, um angesichts der Sterbenden sogleich hektisch in künstlerische Produktivität zu verfallen. Abgemildert wird dieses zynische Finale lediglich dadurch, dass man Kunst ja auch als therapeutisches Mittel auffassen kann, das über die Katastrophe hinweghilft – und das die vier reichlich hilflosen Künstler nicht nur materiell, sondern auch emotional am Leben erhält.

Um Geld dreht sich letztendlich alles, auch die Liebe, und deshalb zeigt Hilsdorf auch, dass Mimi ihr hübsches, keinesfalls armseliges Kleid auf dem Straßenstrich verdient hat. Die meisten Inszenierungen mogeln sich um diese Frage ja herum: Mimi muss irgendwie an Geld kommen und sich daher mit wohlhabenden Herren abgeben – Hilsdorf deutet hier sachlich an, was man sich ganz unromantisch darunter vorzustellen hat. Überhaupt haben Romantik und Sentimentalität wenig Platz in dieser Inszenierung, von der man dennoch nicht sagen kann, dass sie das Stück völlig gegen die üblichen Sichtweisen bürstet. Eher sieht und hört Hilsdorf etwas genauer hin und vertraut nebenbei auch auf die Musik, die genug Substanz besitzt, um ein paar szenische Klarstellungen zu verkraften. Im Übrigen beruft sich Hilsdorf auf die Vorlage der Oper, Henri Murgers La Vie de Bohème, woraus manches neu hinzugefügte Detail entnommen ist.

Hilsdorf zeichnet atmosphärisch dicht und fast filmisch genau die Atmosphäre des Stücks nach und greift damit Puccinis detailversessene Erzählweise auf. Parallel dazu entwickelt er aber noch eine zweite Sichtweise, nämlich die des Künstlers, in dessen Gedankenwelt sich die Geschichte zusammensetzt. Während der gesamten Oper beherrscht das Atelier der Künstler, auf einem Podest aufgestellt, fast die komplette Bühne. Das Cafe Momus des zweiten Akts wird durch ein Paar Barhocker vor diesem Podest angedeutet, und die umgebenden Wände können gleichermaßen Außen-wie Innenmauern sein (im dritten Bild öffnet sich hinten ein Rolltor, durch das man Schneetreiben sehen kann). Die beiden Mittelakte, die außerhalb des Ateliers spielen, kann man in dieser Perspektive auch als gedanklichen Konstrukt Rodolfos interpretieren. Im Duett des dritten Akts singt Mimi draußen, Rodolfo drinnen; die Trennung, von der sie sprechen, ist szenisch bereits vollzogen – da ist die realistische Erzählebene endgültig aufgebrochen, und der Regisseur inszeniert eine Oper, die sich selbst gerade erfindet.

Ungeachtet der gedanklichen Konstruktionen (die insgesamt den Blickwinkel verändern, ohne eine völlig neue Sicht zu offenbaren) besticht die Regie durch genaue und glaubwürdige Personenführung. Mimi erscheint als durchaus starke und selbstbewusste Person, trotz Krankheit keine typische femme fragile, sondern eine lebensbejahende Frau, die in der Edelprostituierten Musetta einen plausiblen Lebensentwurf für sich selbst erkennt. Julia Kamenik singt die Partie mit tragfähiger, vergleichsweise robuster Stimme, die sie sorgfältig abstuft. Das klingt nicht immer ganz unangestrengt, und durch bei ganz leicht abgedunkelter Klangfärbung sind einzelne Töne mitunter etwas tief angesetzt. Man kann sich sicher auch mehr Pianissimo-Zauberei wie auch strahlendere Spitzentöne vorstellen, aber insgesamt ist die Partie ordentlich bewältigt. Mit Bülent Külekci steht ihr ein gutmütiger und sympathischer Rodolfo, Typ „Teddybär“, gegenüber – im ersten Akt mit schönem lyrischen Aufschwung, dem allerdings in der Höhe zwar nicht der Glanz, aber ein paar Kraftreserven fehlen. Ein wirklicher tenore di spinto mit jugendlich-heldischen Zügen ist Külekci, nimmt man diesen Abend als Maß, ganz sicher nicht. Macht er im ersten Teil die Einschränkungen durch schöne Stimmführung einigermaßen wett, so ist er auf Dauer kräftemäßig überfordert – durch die letzten beiden Akte mogelte sich der Sänger mit vorsichtigem Markieren der Spitzentöne einigermaßen unbeschadet, aber nicht im Sinne des Komponisten hindurch.

Mit jugendlichen, schlanken Stimmen sind Rodolfos Kumpane besetzt: Ausgezeichnet Panajotis Iconomou als völlig unsentimentaler Colline mit auch musikalisch leicht selbstironischen Zügen und ohne jedes falsche Pathos. Aris Argiris ist ein präsenter Marcello mit Kraftreserven, wobei einzelne Phrasen unvermittelt matt geraten können. Musikalisch etwas blass bleibt Moritz Gogg als dandyhafter Schaunard. Sigrún Pálmadottir hat als Musetta eine durchdringende, in einzelnen Tönen fast gellende, aber kontrolliert geführte Stimme, die der Figur hohe Präsenz, aber auch eine etwas eindimensionale Direktheit verleiht. Die Figuren ihres Verehrers Alcindoro und des Vermieters Benoit hat der Regisseur zusammengelegt; Nikolai Miassojedov singt die Doppelpartie mit sonorer, dabei klar geführter Stimme und dem rechten Maß an Humor.

Die hier besprochenen Vorstellung dirigierte Studienleiter Thomas Wise, formal nach Premierendirigent Erich Wächter und Kapellmeister Wolfgang Lischke die Nummer Drei – und macht seine Sache ganz ausgezeichnet. Das „Beethoven Orchester Bonn“ spielt präzise und aufmerksam, nicht unbedingt mit besonderer klanglicher Raffinesse, aber mit viel musikalischer Intelligenz: Jede Phrase ist zielgerichtet, die Spannungsbögen sind durchdacht und tragfähig, die Sänger sind gut eingebettet. Wise dirigiert kapellmeisterlich im besten Sinn, ohne falsche Sentimentalität, aber mit Stilsicherheit und Gespür für die musikalische Entwicklung.


FAZIT

La Bohème in der Doppelperspektive - das liefert keine sensationelle, aber eine interessante und durchgehend spannende, gut gespielte Inszenierung. Musikalisch mit ein paar Abstrichen ordentlich.


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Produktionsteam

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Musikalische Leitung
Erich Wächter
Wolfgang Lischke
* Thomas Wise

Inszenierung
Dietrich Hilsdorf
Mitarbeit: Jan David Schmitz

Bühne
Dieter Richterr

Kostüme
Renate Schmitzer

Licht
Thomas Roscher

Chorleitung Kinderchor
Ekaterina Klewitz

Dramaturgie
Markus Essinger


Statisterie und
Kinderchor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Mimì
* Julia Kamenik /
Irina Oknina

Musetta
* Sigrún Pálmadóttir /
Anna Virovlansky

Rodolfo, Poet
* Bülent Külekci /
Arturo Martin

Marcello, Maler
* Aris Argiris /
Mark Morouse

Schaunard, Musiker
* Moritz Glogg /
Reuben Willcox

Colline, Philosoph
* Panajotis Iconomou /
Andrej Telegin /
Martin Tzonev

Parpignol
Lars Lettner

Benoit / Alcindoro
Nikolaii Miassojedov

Ein Sergeant
Johannes Marx

Ein Zollbeamter
Egbert Herold



Weitere
Informationen

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Theater Bonn
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