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Musiktheater
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Freax

Oper in zwei Akten
Libretto von Hannah Dübgen
Musik von Moritz Eggert


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Konzertante Uraufführung in Kostümen und Bühnenbild
im Opernhaus Bonn am 2. September 2007


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Theater Bonn
(Homepage)

Postmoderne Ungereimtheiten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


„Ich möchte mich besonders bei den Steuerzahlern der Stadt Bonn bedanken."

(Klaus Weise, Intendant des Theater Bonn, auf der Pressekonferenz zur konzertanten Uraufführung der Oper Freax)

Moritz hat eine tolle Sandburg gebaut und möchte mit Christoph damit spielen. Christoph findet Burgen aber doof, und deshalb schlägt er vor, man könne mit dem Sand ja etwas ganz anderes bauen, irgendwas total Kreatives. Da ist Moritz ein bisschen traurig, weil er sich mit der Burg ja ganz viel Mühe gegeben hat. Dem Christoph aber fällt wirklich überhaupt kein Spiel mit Burgen ein, und dann ist er auch noch krank geworden, ganz ehrlich, da können wir ruhig seinen Arzt fragen, und deshalb hatte er auch keine Zeit mehr, sich neue Spiele auszudenken. Weil Moritz und Christoph aber total vernünftig sind, streiten sie sich natürlich nicht, sondern erst schauen sie sich zusammen Moritz Sandburg an, und dann sieht Moritz Christoph beim Spielen zu, mit dessen eigenem Sand, und ihre anderen Freunde finden das toll, wie die beiden sich so prima vertragen.


Vergrößerung in neuem Fenster Ensemble

Weil Moritz eigentlich keine Sandburg gebaut, sondern eine richtig große Oper komponiert hat, und Christoph diese Oper inszenieren sollte, aber irgendwie nicht konnte, sitzen sie nicht im Sandkasten, sondern auf dem Podium einer Pressekonferenz: Der Moritz (Eggert, Komponist), der Christoph (Schlingensief, Regisseur?), der Klaus (Weise, Intendant des Theaters Bonn), der Jens (Neundorff von Enzberg, Dramaturg) und die Ilona (Schmiel, Intendantin des Beethovenfests) und haben sich ganz doll lieb. Und erzählen, dass es eigentlich prima ist, dass es mit der Oper nicht so geklappt hat wie geplant. Und wundern sich, dass die Journalisten so blöde Fragen stellen, wo sie doch so erbaulich vom „Potential“, von „Chance“, vom „Authentischen des künstlerischen Dilemmas“ und vom „ehrlichen Scheitern“ geschwärmt haben. Schade, dass diese kabarettreife Pressekonferenz allein den Journalisten vorbehalten war. Vielleicht könnte man den Videomitschnitt als DVD dem breiten Publikum zur Verfügung stellen?


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Die siamesischen Zwillinge Anne-Marie (Hege Gustava Tjönn, l.) und Marie-Claire (Barbara Schmidt-Gaden)

Zur Sache: Die Oper Bonn und das Beethovenfest haben bei Moritz Eggert eine große Oper in Auftrag gegeben und Christoph Schlingensief als Regisseur der Uraufführung verpflichtet. Am Inhalt des Werkes gingen die Auffassungen auseinander: Die „Freax“, die der Oper den Titel geben, sind Menschen mit körperlichen Missbildungen, die in vergangenen Zeiten in Varietés aufgetreten sind, Siamesische Zwillinge etwa, extrem Übergewichtige oder Kleinwüchsige. Die Idee geht auf den Spielfilm „Freaks“ von Tod Browning aus dem Jahr 1932 zurück. Steht für Eggert und Librettistin Hannah Dübgen der voyeuristische Aspekt im Vordergrund, das Zur-Schau(Show)-Stellen, so sieht Schlingensief primär die Lebenswirklichkeit von Menschen mit körperlichen (oder auch geistigen) Behinderungen. Missbildungen durch hinkende oder kriechende Schauspieler nachahmen zu lassen, war für ihn daher keine akzeptable szenische Lösung. Offenbar plante er, in seiner Inszenierung mit geistig Behinderten zu arbeiten – was einer streng durchorganisierten Form wie der Oper letztendlich nicht umsetzbar war. Eine hochinfektiöse Augenkrankheit Schlingensiefs hat dann den Zeitdruck erhöht und eine gemeinsame Lösung unmöglich gemacht. Allerdings scheint ihm genug Zeit verblieben zu sein, einen Kurzfilm „Fremdverstümmelung 2007“ zu drehen, den jetzt jeder Besucher auf einer DVD zugesteckt bekommt, wohl zur häuslichen Nachbereitung der Oper im Schlingensiefschen Geiste. Die Oper selbst wird konzertant aufgeführt, allerdings in Kostümen und Bühnenbild; in der Pause kann man im Foyer eine „Installation“ Schlingensiefs betrachten, bei der auch der Film eingeblendet wird, während die echten „Freaks“ hinter einem Vorhang dinieren – wobei die komplette Installation wohl den Premierenbesuchern vorbehalten bleibt. Es gibt also zwei konträre Sichtweisen auf die Freax-Problematik: Die (harmlose und letztendlich naive) von Eggert und die konsequente, aber stadttheateruntaugliche von Schlingensief.


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Franz, der Zwerg (Thomas Harper)

Bei allen Beteuerungen, hier eine verträgliche Lösung gefunden zu haben, bleiben eigentlich nur Verlierer: Der Komponist, weil er um die szenische Uraufführung seiner Oper gebracht wurde; Schlingensief (wenn man ihm ein über den PR-Erfolg hinausgehendes Motiv zugesteht), weil er seine Vorstellungen nur als Randnotiz zur konzertanten Aufführung realisieren konnte; das Theater, weil es schlichtweg nicht das bekommen hat, was es für (sicher nicht wenig) Geld eingekauft hat, nämlich eine publikumstaugliche Bühnenproduktion. Und eine Oper von Moritz Eggert, zumal diese, taugt in ihrer äußerst konventionellen, experimentierunfreudigen Anlage denkbar wenig für szenisch offene Formen – das müsste jedem von Beginn an klar gewesen sein oder geklärt werden müssen. Insofern hat Schlingensiefs vordergründig menschenfreundlicher Impetus, nicht in klassischer Opernform eine Behindertenproblematik inszenieren zu können, etwas Scheinheiliges. Auch die Bonner Intendanz hat offenbar viel zu lange tatenlos zugesehen, wie die Dinge aus dem Ruder liefen. O-Ton Schlingensief: „Da muss ich die Frage stellen, warum man mich nicht früher rausgeschmissen hat.“ Die Frage scheint berechtigt.

Die Oper selbt ist solchen Wirbel kaum wert. Inhaltlich geht es um die skurrile „Freax-Show“ und das böse Spiel hinter den Kulissen: Backgroundsängerin Isabella macht sich an den Zwerg Franz heran, um diesen zu heiraten und möglichst bald zu beerben. Als Isabella durch einen mysteriösen Unfall selbst zur missgebildeten Kreatur wird und auf Franz' Liebe tatsächlich angewiesen ist, verstößt dieser sie und endet seinerseits im Wahnsinn. Das Libretto bedient sich reichlich aus dem klassischen Motivschatz der großen Oper: Unattraktiver Mann liebt schöne Frau, die es nicht ehrlich mit ihm meint; unglückliche Nebenbuhlerin liebt den Hässlichen – eben alles, was bereits das 19. Jahrhundert auf- und ab dekliniert hat, bis in die Nebenmotive hinein. Eine griffige Handlung wird daraus aber nicht. Zusätzlich leistet sich die pathetische Sprache so manchen Fehlgriff (zum Beispiel im Treueschwur der Freax: „Unser Speichel, unser Blut / teilen wir uns bis zum Tod“). Sollte da Ironie im Spiel sein, so ist sie jedenfalls bis zur Unkenntlichkeit versteckt.


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Mit Anklängen an Schlemmers Triadisches Ballett: Der Chor

Eggert greift den in vielen Passagen ungebrochenen Revuecharakter des Librettos auf, indem er Freax als formal äußerst konventionelle Nummernoper konzipiert. Ästhetisch und harmonisch stellt sich Eggert auf dem Stand der Oper der 1920er-Jahre – einerseits mit swingender Tanzmusik im Stile Kurt Weills, andererseits mit raffinierter Harmonik und Instrumentierung nach Art der verfeinerten und überparfümierten Spätromantik, wie sie bei Zemlinsky, Korngold oder Schreker anklingt. In einzelnen Momenten ist das sehr wirkungsvoll, am stärksten in den Szenen des Hermaphroditen Dominique, der, halb Mann, halb Frau, im permanenten Wechsel zwischen Bruststimme und Falsett ein Duett mit sich selbst singt – und später, weil's so schön war, gleich noch eins, ohne dass die Notwendigkeit hierfür ersichtlich würde. Überhaupt komponiert Eggert, nicht immer frei von musikalischem Kitsch und mit Hang zur Überinstrumentation, ein Highlight nach dem anderen, ohne sich um eine stringente Abfolge zu kümmern. So kunstfertig das im Einzelnen auch sein mag: Die Nummern stehen für sich wie in einem großen Theaterkonzert - eine akustische Endlosschleife. Gleichzeitig zitiert und verfremdet er Musik der Vergangenheit, etwa Beethovens Ode an die Freude. Aber selbst unter postmodernen Gesichtspunkten hinterlässt dieses Verfahren einen etwas altbackenen Eindruck. Letztendlich ist Freax ein Stück löeidlich amüsantes Unterhaltungstheater, sozusagen Andrew Lloyd-Webber für ein gehobenes Publikum, dem man kompliziertere Harmoniefolgen zumuten kann. Abwegig ist es nicht, dass Schlingensief mit so viel Harmlosigkeit nichts anfangen mochte.


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Dominique, der Hermaphrodit (Otto Katzameier)

Die Sänger stehen an der Rampe und zeigen mit engagierter Mimik und Gestik viel Spielfreude. Das erinnert an die Commedia dell'Arte, und auch dem Kasperletheater könnten diese Freax entsprungen sein. Die bunten Kostüme sind teilweise Oskar Schlemmers Triadischem Ballett nachempfunden oder entspringen der Zirkuswelt. Auf der Bühne deutet sich eine Überfrachtung wie schon in Schlingensiefs Bayreuther Parsifal an. Immerhin wird sehr ordentlich gesungen: Neben dem hinreißend zwischen den Registern wechselnden Otto Katzameier als Dominique ragen Hege Gustava Tjönn und Barbara Schmidt-Gaden als siamesische Zwillinge und Julia Rutigliano als Isabella aus einem durchweg guten Ensemble heraus, dem Eggert effektvolle Partien komponiert hat. Das Beethovenorchester Bonn spielt unter der Leitung von Wolfgang Lischke differenziert und farbprächtig.


FAZIT

Viel Publicity für vergleichsweise wenig Kunst.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Lischke

Bühne
Thekla von Mülheim
Tobias Buser

Kostüme
Aino Laberenz

Licht
Thomas Roscher

Chorleitung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Jens Neundorff von Enzberg


Chor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Franz
Thomas Harper

Lea
Anjara I. Bartz

Isabella
Julia Rutigliano

Hilbert
Louis Gentile

Direktor van Annen
Hans-Jürgen Schöpflin

Lucia Tetralucci
Vera Baniewicz

Anne-Marie
Hege Gustava Tjönn

Marie-Claire
Barbara Schmidt-Gaden

Dominique
Otto Katzameier

Romeo
Johannes Flögl

Hartmut
Sibylle Wagner

Helmut
Christoph Sprenger

Sopransolo im Chor
Jeanette Katzer



Weitere
Informationen

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Da capo al Fine

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