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Musiktheater
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Faust

Oper in vier Akten
Text von Jules Barbier und Michel Carré
nach Goethe Musik von Charles Gounod


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 13. April 2008


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Theater Bonn
(Homepage)

Ein Faust der Extraklasse

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu


Dass Vera Nemirova eine interessante Regisseurin mit großem Potential ist, weiß man seit einigen Jahren (wobei ich beispielsweise ihre Sicht von Verdis La forza del destino in Oldenburg gelungener und ausgereifter fand als ihren Bonner Macbeth). Gounods Perspektive, bei der die bekannte Geschichte aus der Sicht Margarethes erzählt wird und das metaphysische Moment zugunsten der zwischenmenschlichen Aspekte zurücktritt, interessierte und faszinierte die Künstlerin, was zweifellos eine bessere Basis für eine gelungene Auseinandersetzung ist als doch insgeheim Goethe auf die Bühne bringen zu wollen und sich zu verzetteln. Und so erzählt die Nemirova bis zur Pause handwerklich sehr solide, tadellos und unaufgeregt, aber eben auf den ersten Blick auch etwas konventionell (dass Faust etwa den Vertrag mit Mephisto doch noch mit Blut unterzeichnet, mag als Beispiel dienen, aber auch die Ensembleszenen und manches Detail in der Personenführung und -zeichnung und das abwechslungsreiche, aber etwas altmodische Licht) von einem Mann, der sich nach ewiger Jugend sehnt, und einer starken jungen Frau, die nicht in erster Linie Opfer von Faust und Mephisto ist, sondern die ihren eigenen Weg geht und selbst bestimmt ihre Liebe leben will.

Wir treffen Faust in einem riesigen, nur nach oben hin offenen Raum (Ausstattung: Ulrike Kunze) und verstehen, dass es da noch etwas anderes geben muss als die überdimensionierte Schultafel, die der von seiner Umwelt hermetisch abgeriegelte Wissenschaftler geradezu krampfhaft über und über mit Formeln übersät, ohne dass er dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält", wirklich auf die Spur gekommen wäre. Der hinzugezogene Laptop weist in unsere Zeit, die Wissenschafts- und Fortschrittsgläubigkeit und ihre Grenzen werden so unspektakulär, aber sinnfällig aufgezeigt, und auf dem Computer zeigt Mephisto, der nichts anderes als Fausts alter ego ist (ein Konzept, das einleuchtet, von seinem Darsteller, der eben doch in den meisten Szenen den eleganten Salonbösewicht gibt, aber nicht optimal umgesetzt wird), seinem "Zwilling" auch zum ersten Mal ein Bild von Margarethe.


Vergrößerung in neuem Fenster Mephisto (Martin Tzonev, links) bietet Faust (hier: Bülent Külekci, rechts) ewige Jugend.

Momente der Ironie und Brechung schimmern das eine oder andere Mal subtil auf, etwa wenn nach Fausts Arie im zweiten Akt eine Greisin dem Solisten eine Blume überreicht oder beim Duett der Liebenden ein kitschiger Sternenhimmel gezeigt wird. Keinesfalls vordergründig provokant oder gar beliebig ist dabei Nemirovas Einfall, große Teile des Werkes in einem beklemmend kühlen, tristen Altenheim spielen zu lassen, in dem auch Margarethe und Gut-Mensch Siebel als Pflegekräfte arbeiten und deren paralysiert vor sich hin dämmernden Insassen Mephisto den Inhalt für das Schmuckkästchen leicht entwenden kann. Dieser Handlungsort bildet hingegen sinnfällig einen Kontrapunkt zu Fausts Wunsch nach ewiger Jugend, den Gounod in den Mittelpunkt rückt. Lustig-überdreht gibt sich das Volk, das sich auf Bierzeltgarnituren herumlümmelt und um einen veritablen Bacchus schart, der natürlich niemand anders als Wagner ist (von Kamen Todorov reichlich matt im mutigen Kostüm gesungen). Richtig spannend wird es am Ende des ersten Teils, wenn nämlich Mephisto (wir erinnern uns: Fausts böses alter ego, der antagonistische Part, "der die innere Stimme des Gewissens der beiden anderen Protagonisten nach außen kehrt"!) gierig über Margarethe herfällt, sie vergewaltigt und den ersten Teil mit galligem Gelächter beendet.


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Mephisto (Martin Tzonev, links) bringt im berühmten "Le veau d'or" Gold unters gierige Volk (Chor und Extrachor des Theater Bonn).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Rondo des Mephisto aus dem 1. Akt (Auszug) - Martin Tzonev (Mephisto)
(MP3-Datei)


Wenn der Vorhang sich wieder öffnet, sieht man die schwangere Margarethe, die nun eine schwarze Cardigan über dem einfachen Kleid trägt und sich schwer tut mit dem Putzen und den Schikanen, die ihr die bigotten Frauen, die ihr Verhalten als Tabubruch werten, der gnadenlos geahndet werden muss, in ihrer Nähe zufügen, mit der gesellschaftlichen Ächtung, die ihr selbst den Kirchenbesuch zur Hölle werden lässt, in der ohnehin bereits Mephisto in aufwändiger Bischofsrobe das Regiment übernommen hat, Man erinnert sich lange an die beklemmenden Bilder, mit denen Vera Nemirova ihre Kritik an geheucheltem, unbarmherzigen, sich selbst entfremdeten Christentum formuliert, das in aller seiner Verlogenheit die Folie bildet für Margarethes echte Frömmigkeit. Man zuckt zusammen, wenn sie bei Mephistos "Sois maudite!" auf den Bauch fällt.


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Margarethe (Julia Kamenik) probiert den Schmuck, den sie auf ihrer Türschwelle gefunden hat.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Juwelen-Arie der Margarethe aus dem 2. Akt (Auszug) - Julia Kamenik (Margarethe)
(MP3-Datei)


Wie depraviert diese geschlossene kleine Welt ist, führt die Regisseurin im nächsten Bild vor, wenn sie putzig zurecht gemachte Kleinkinder bei einer Art Heldenfeier und Ehrenbegräbnis für gefallene Krieger eine zackige Choreografie mit Gewehren aufführen lässt, und auch die grotesk-piefige Silvesterparty, die sie sich anstelle überkommener Walpurgisnachtklischees hat einfallen lassen, überzeugte in ihrer ganzen garstigen Spießigkeit. Der Atem blieb einem weg, als man Margarethe beobachtete, wie sie ihr totes Kind in eben die Truhe steckte, aus der die Feiernden sich mit Alkohol bevorratet hatten. Vera Nemirova gelingt es, den Zuschauer Parallelen sehen zu lassen zwischen Margarethes Tat und den Berichten über Neugeborene und Kleinkinder, die in unserer Zeit in Tiefkühltruhen oder Blumenbeeten gefunden werden, und überhaupt gewann der Abend mehr und mehr an Spannung und Dichte, so dass man mitunter gar das Applaudieren einstellte, um nicht allzu lange auf die Fortsetzung warten zu müssen - wann erlebt man das im Opernhaus?


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Margarethe (Julia Kamenik) stopft den Leichnam ihres Kindes in die Gefriertruhe, aus der während der Walpurgisnacht das feiernde Volk samt Wagner (Kamen Todorov) sich mit Alkohol versorgt hat.

Vera Nemirova hatte angekündigt, dass sie der Apotheose der Vorlage misstraut, und so zaubert Mephisto am Ende einen Giftbecher hervor, nach dem Margarethe sehr bewusst greift und nach dem Verzehr der tödlichen Flüssigkeit auch selbstbewusst zerbricht. Für Nemirova endet das Stück mit dem Tod Margarethes. Weniger apotheotisch als apokalyptisch legt die Regisseurin das Ende an, wenn Faust und Margarethe sich im Chor auflösen ("Es gibt keine Liebe mehr, es gibt auch kein Gut und Böse mehr, sondern nur noch Gleichgültigkeit und Kälte", heißt es im Programmheft). Aber vielleicht verschwindet das Paar doch durch die schwarzen Türen hinten in ein Nichts, eine bessere Welt, die doch so etwas wie Erlösung bietet?


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Margarethe (Julia Kamenik) greift nach dem Giftbecher, um sich das Leben zu nehmen.

Das packende Bühnengeschehen scheint auch Wolfgang Lischke mitgerissen zu haben: Nach etwas schwerfälligem Beginn spielte das Beethoven Orchester enorm inspiriert und vorwärtsdrängend, dabei stets kontrolliert und damit im Dienste der Sänger, wunderbar duftig bisweilen und mit schönen Abstufungen, die Schönheiten der Partitur auskostend, ohne sie über Gebühr süßlich zu präsentieren. Allenfalls der Kontakt mit dem darstellerisch natürlich mitunter ziemlich geforderten Chor dürfte noch sicherer werden, dessen Mitglieder auch mit manchem flotten, aber nie gehetzt wirkenden Tempo haderten und sich auch in anderen Sprachen wohler fühlen (Einstudierung: Sibylle Wagner).

Nicht ganz unwichtig bei einer Faust-Aufführung ist zweifellos ein kompetentes Ensemble, und auch in dieser Hinsicht hatte die Oper Bonn einiges anzubieten, wenngleich man bedauerte, dass die im Programmheft ausgewiesene Sprecherzieherin mit ihren Bemühungen insgesamt einigermaßen erfolglos geblieben war. Rühmliche Ausnahme war die Darstellerin der Margarethe: Man mag nicht ins Schwärmen geraten über das ziemlich neutrale Timbre von Julia Kameniks schlankem, aber durchschlagskräftigen Sopran mit kraftvoller Höhe, aber die junge Künstlerin weiß ihn geschickt, intensiv und mit großer gestalterischer Sorgfalt einzusetzen, ohne mit pseudomädchenhafter Niedlichkeit zu enervieren und exhibitionistisch technische Fertigkeiten vorzuführen - sie singt sich, so abgegriffen das Bild auch ist, die Seele aus dem Leib, und stürzt sich auch darstellerisch mit Haut und Haaren in diese Rolle.

Es hat Faust-Interpreten mit mehr Stimme gegeben als Arturo Martin, aber auch solche, die weniger Stilgefühl und Gestaltungswillen an den Tag legten als der junge Mexikaner, der mit seinem weichen, biegsamen und legatostarken Tenor, der leichten, hellen, nur selten etwas zu forciert klingenden Höhe und durchaus bemühtem Französisch relativ kurzfristig die Premiere von seinem erkrankten Kollegen übernehmen musste und dabei durchaus überzeugen konnte, auch wenn man im letzten Akt doch mehr und mehr hörte, dass er an seine Grenzen kam. Martin Tzonev hatte ich bereits als Mustafa in der Produktion der Italiana in Algeri blaß gefunden, und leider hatte er erst recht für den Mephisto viel zu wenig Stimme - besonders mancher tiefer Ton war einfach nicht zu hören, ohne dass man durch prächtige Spitzentöne dafür entschädigt wurde -, zu wenig darstellerische Tiefe und Charisma auch und Ernsthaftigkeit im Bemühen um den französischen Text, dafür ein Faible für außermusikalische Effekte.

Nicht ganz nachvollziehen konnte ich die Begeisterung für Aris Argiris, der zwar als Valentin wunderbare Musik hatte, diese aber nicht mehr als durchschnittlich und stilistisch sehr allgemein sang, selbst wenn man seine oberflächlich-grobe Version des "Avant de quitter ces lieux" nicht mit den bei youtube einzusehenden, grandiosen von Lawrence Tibbett, Robert Merrill, Gino Quilico oder Dwayne Croft (und vielen anderen) vergleicht, die mir ein Freund nach der Vorstellung ans Herz legte. Wirklich unangenehm und unnötig fand ich die Larmoyanz und den Sprechgesang, mit der er seine Todesszene meinte "würzen" zu müssen, vielleicht aus der Angst heraus, dass Farbe und Volumen der Stimme, protzige, aber wahrlich nicht immer ungefährdete Spitzentöne und die interpretatorischen Qualitäten zu wenig Eindruck machen würden. Susanne Blattert gab mit unglücklicher blonder Perücke und Hornbrille alles als unglücklich verliebter Siebel, konnte aber zumindest den Rezensenten nicht von dem Umstand ablenken, dass sie solchen Hosenrollen inzwischen doch auch vokal entwachsen ist, und bei manchem höheren Ton war auch ein ausgeprägtes Vibrato zu vernehmen, das der Partie nicht gut stand. Anjara I. Bartz wiederholte dagegen als Marthe den guten Eindruck, den sie als Zulma in L'Italiana in Algeri hinterlassen hatte, wobei es vielleicht nicht ganz im Sinne des Stückes war, dass man bei der Quartettszene eher auf Mephisto und sie als auf das junge Glück achtete.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Romanze des Siebel aus dem 3. Akt (Auszug) - Susanne Blattert (Siebel)
(MP3-Datei)



FAZIT

Dieser hochspannende, inspirierte Opernabend zählt zu dem Besten, das ich in den letzten Jahren gesehen habe und bestätigt meinen Eindruck, dass die Oper Bonn sich in einem Aufwärtstrend befindet. Vera Nemirova sollte man schnell neue Angebote für die nächsten Spielzeiten machen!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Lischke

Inszenierung
Vera Nemirova

Bühne und Kostüme
Ulrike Kunze

Licht
Max Karbe

Chorleitung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Martin Essinger
Heribert Germeshausen


Statisterie des Theater Bonn

Chor und Extrachor
des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Premierenbesetzung


Faust
Bülent Külekci /
* Arturo Martin

Mephisto
Andrej Telegin /
* Martin Tzonev

Valentin
Haris Andrianos /
* Aris Argiris

Wagner
Egbert Herold /
* Kamen Todorov

Margarethe
* Julia Kamenik /
Irina Oknina

Siebel
* Susanne Blattert /
Su Kyung Han

Marthe
Vera Baniewicz /
* Anjara I. Bartz

Tanzpaar
Birgit Koltermann-Thress
Rainer Thress



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