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Die tote Stadt

Text von Julius Korngold und Erich Wolfgang Korngold (unter dem Pseudonym "Paul Schott")
frei nach dem Roman Bruges la mortes von Georges Rodenbach
Musik von Erich Wolfgang Korngold


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca.3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 19. Januar 2008


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Theater Bonn
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Wenn der Traum dem Traum den Krieg erklärt

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Thilo Beu


Wer bei Korngolds Klängen an Film-Musik denkt, liegt so falsch nicht, hat aber vielleicht Wirkung und Ursache verwechselt. Bereits vor seiner Vertreibung durch die Faschisten hatte er einige Beiträge zum Genre beigesteuert, die ihn hernach zu einem der wenigen erfolgreichen Exilanten machten, weil er in Hollywood daran anknüpfen und sogar mehrere Oscar-Auszeichnungen erlangen konnte. Als er gegen Ende des 1.Weltkrieges Die Tote Stadt komponierte, war daran freilich noch nicht zu denken, und sicher wäre sein Start als Wunderkind beschwerlicher ausgefallen, hätte er nicht massive Protektion in Gestalt des eigenen Vaters, des tonangebenden Wiener Kritikerfürsten Julius Korngold, genossen.


Vergrößerung in neuem Fenster Im Tempel des Gewesenen:"Wir beten Schönstes an: Vergangenheit."

Korngolds wohlklang-gesättigte Spätromantik, durchsetzt von Vorhalten und Dissonanzen, spiegelt eine Tonalität, die sich selber noch vertraut und die genau darum punktuell ins Operettenhafte zu kippen droht. Dem begegnet die Inszenierung von Haus-Chef Klaus Weise mit einem kühlen Konzept extremer Stilisierung.

Wie um eine Schule zu begründen, verfährt er hier mit denselben Mitteln, die er bereits in Hindemiths Cardillac (vom März 2006) angewandt hat. Der ganze Bühnenraum, für den Martin Kukulies verantwortlich zeichnet und großes Lob verdient, besteht aus wenigen großen Elementen, die allesamt jene düstere Atmosphäre transportieren, auf der die Einblendungen hell-kalten Lichts – perfekt geführt von Thomas Roscher – jene schwarz-weiße Kostümwelt genial unterstreichen, welche die Identität der Gegensätze in reziproker Farbgebung veranschaulicht: Tritt Marietta auf in schwarz, so erscheint Maries Phantasmagorie in demselben Kleid in weiß. Frank und Brigitta erscheinen gleichfalls farbvertauscht, wenn sie zu Beginn des 2. Bildes ihren Bruch mit Paul erklären. Auch alle anderen Gestalten bewegen sich im schwirrenden Feld zwischen Traum und Ahnung, das den Faktor Realität relativiert und macht damit den Zuschauer zum Genossen von Pauls Problem.


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"Du siehst Gespenster. / Das macht der Moder dieses Raums, / dein dumpfer Aberglaube- "

Besteht bei der Toten Stadt sonst für gewöhnlich die wesentliche Schwierigkeit darin, die divergenten Schichtungen eines mehrfach gespiegelten inneren Traumes transparent zu machen, ermöglicht diese klare Aufteilung des Raumes und der Farben eine Ortsbestimmung. Sie gestattet zudem, Maries Traumerscheinung real auftreten zu lassen, und auch Kinder- und Prozessionschor nicht nur hören sondern auch sehen zu dürfen, kommt deren Verständlichkeit sehr zupass und ist ein Vergnügen, das nur wenige Inszenierungen der Toten Stadt gewähren.

Und überhaupt der Prozessionschor: Mit der nunmehr dritten Verwendung der Bonner Groß-Spiegel (nach Parsifal und Satyagraha) gelingt Weise ein atemberaubendes Riesen-Bild, das sich der Erinnerung auf lange einbrennt. Heben sich die kreuzförmig angeordneten Bodenkerzen mit ihrem roten Schein schon wirkmächtig vorm dunklen Hintergrunde ab, so tun die Lichter in wandelnder Kinderhand das Ihre; frontal und schräg vertikal in gedoppelter Spiegelung halb rot und halb weiß leuchtend, suggerieren sie geordnete Unruhe als Reflexion der inneren Verfasstheit von Pauls Betrachterperspektive. Und in noch einem weiteren Detail ist Weise nahe bei Korngold, denn die hörbaren Bezüge auf die neuere und neueste Musik seiner Zeit wie den Rosenkavalier oder Mahlers Sinfonien greift Weise auf durch seine persönliche Reverenz an Schlingensiefs Bayreuther Parsifal von 2004 und dessen verwesenden Hasen, indem das Konterfei der Verblichenen überblendet wird durch fröhlich wuselnde Maden.


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Tanz unverzopft und ohne sieben Schleier: "Zum Kampf mit ihr! / Und offnen Augs, Weib gegen Weib, heißatmend Leben gegen Tod!" (Morenike Fadayomi)

Die Abfolge von Pauls Finalsentenzen, zunächst: „ich will“, danach: „ich will's versuchen“ scheint Weise offenbar als strukturelle Rücknahme zu deuten, Versuch quasi als mangelnden Willen zum Erfolg zu verstehen, denn der Bühnenboden, der nach der Eröffnungsszene mit Franks Besuch in die Höhe gezogen wurde wie um den Einblick in die seelischen Abgründe des Herrn Paul freizugeben, senkt sich nun auf ihn herab als ein überdimensionierter Grabdeckel: der verkündete Aufbruch findet nicht statt - die fortflackernden Prozessionskerzen verbleiben als Grablichter!

Das Ensemble stellt insgesamt eine sehr glückliche Auswahl dar, allen voran Morenike Fadayomi von der Nachbaroper in Düsseldorf. Mit leicht morbidem Timbre gab sie der Partie den treffenden Dreh und legte mit Tanz, Spiel und Gesang eine selten erlebte Gesamtleistung vor, die nachhaltig begeistert. Der slovenische Gast Janez Lotric verkörperte die staunend entsetzte Haltung des Protagonisten titelkonform durch seine etwas schwerfällige Bewegung sehr glaubhaft; im Gesang klar und gut verständlich, hätte aber auch in dieser Inszenierung die Stimme etwas mehr Glanz und Volumen vertragen und geriet zeitweilig spürbar an ihre Grenzen.


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"Des Glaubens selig süße Fresenie - / zwingt alles auf die Knie!" (Morenike Fadayomi)

Köstlich auch die Fritz als dem „Deutschen vom Rhein“ zugewiesene landsmannschaftliche Generalzuständigkeit für schönen Gesang, die beim Bonner Publikum ein heiteres Raunen im Saal auslöste. Aris Argiris, der die Partie des Frank sinnvollerweise zugleich wahrnahm, gelingt im „Lied des Pierrots“ exzellent die Gratwanderung zwischen Kitsch und Kunst und verlieh dem heiklen Stück Musik Opernadel. Auffällig leicht und eigentlich zu hübsch gestaltet Vera Baniewicz ihre Brigitta, die man sich freilich eher ältlicher in Gestalt und Stimmführung denken mag. Überzeugend auch die weiteren Nebenrollen aus Gastons Tanzgruppe, daraus vielleicht hervorzuheben Johannes Mertes vom Bonner Opernchor als Graf, der gewiss auch größere Aufgaben übernehmen könnte – oder die Juliette der Julia Kamenik, die man sonst eher von Hauptpartien kennt.

Vorzüglich der Chor und insbesondere der Kinderchor, den auch die Choreographie, treppauf, treppab (noch dazu mit brennenden Kerzen im Schummerlicht) nicht aus der Ordnung brachte. Das Beethovenorchester zeigte sich bestens aufgestellt, intern gut austariert, lieferte aber mehr Schwung als Schmelz und hätte bisweilen zugunsten der Solisten etwas zurückgenommen werden müssen. Buhfreier Applaus bekundete einhellige Zustimmung auch zum Regieteam.


FAZIT

Klaus Weise hat sich selbst übertroffen und ein reife Meisterleistung vorgelegt, indem er ein stimmiges Verfahren strenger Formensprache und extremer Stilisierung zur Tauglichkeit für die Bewältigung unterschiedlichster Stoffe ausgereift hat. Unbedingt hinfahren!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Erich Waechter

Inszenierung
Klaus Weise

Bühne
Martin Kukulies

Kostüme
Fred Fenner

Licht
Thomas Roscher

Chorleitung
Sibylle Wagner


Statisterie des Theater Bonn

Chor und Kinderchor
des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der Premiere

Paul
Janez Lotric

Marietta / Marie
Morenike Fadayomi

Brigitta
* Vera Baniewicz /
Susanne Blattert

Frank / Fritz
Aris Argiris

Juliette
* Julia Kamenik /
Sonja van Voost

Lucienne
Marianne Freiburg

Graf Albert
Johannes Mertes

Victorin / Gaston
Mark Rosenthal



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Informationen

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Theater Bonn
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