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Aus dem Märchen in die nackte Urbanität
Von Annika Senger / Fotos von Olver Wia "Ich rauche Joints und saufe Bier, leb' ganz bescheiden von Hartz IV", verkündet Papageno in seiner textlich komplett veränderten Eröffnungsarie "Der Vogelfänger bin ich ja". Munter beschwingt bezeichnet er sich selbst als "faulen Sack", schnorrt und durchwühlt die Mülleimer im U-Bahnhof. Christoph Hagel hat "Die Zauberflöte" ins moderne Berlin verlegt; die Figuren sind Bewohner der Stadt, die - wie es in Berlin gang und gäbe ist - zufällig im U-Bahnhof aufeinander treffen. Eine Videoprojektion von hektischem Menschengewusel im Berliner Hauptbahnhof soll dies während der Ouvertüre unterstreichen. Prinz Tamino landet allerdings in einer für ihn völlig befremdlichen Welt: Mit Rokoko-Outfit und weißer Perücke stößt er auf den liebenswerten Punk Papageno, nachdem ihn die drei (Putz-)Damen gefunden haben. Die verdichtete Sprache von 1791 sprechend, fällt es ihm schwer, Papagenos Slang zu verstehen und prompt hält er Angela Merkel für die Königin der Nacht. Mit Papagenos auf die Gegenwart zugeschnittenen Sprechpassagen baut Hagel einen komischen Kontrast zu Tamino auf, denn der Text des Prinzen entspricht weitgehend dem Libretto von Emanuel Schikaneder. Pamina geht es ähnlich: Etwas orientierungslos sucht sie ihre Mutter, die "Sternflammende Königin" und kann noch nicht einmal ihren Nachnamen nennen, als der zudringliche Polizist Monostatos sie aufgreift. Woher soll sie als Prinzessin aus Mozarts Märchenwelt auch wissen, was Papageno mit einer "weggeschmorten Festplatte" und "durchgeknallten Sicherungen" meinen könnte? Sie begreift nur, dass Tamino über ihrem Bild "vor Liebe entbrannt" ist. ![]()
Neben den sprachlichen Gegensätzen bildet der Aufführungsort den größten Kontrast: Ein U-Bahnhof, so könnte man pauschal behaupten, eigne sich doch eher für Straßenkultur oder Rap- und HipHop-Konzerte. Dort eine 217 Jahre alte Oper aufzuführen, ist ja schon ein Anachronismus an sich. Da die Inszenierung aber durch moderne Kostüme, umgeschriebene Textpassagen und extravagante Videoprojektionen sehr an die Gegebenheiten des Ortes angepasst ist, bleibt sie ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das Mozart mit Sicherheit Freude bereitet hätte. Auch die Akustik wird dem Werk gerecht, zumindest dem Orchester und den Solisten. Der Chor, der größtenteils im erhöhten Zuschauerraum auftritt, produziert ein vergleichsweise "dünnes Lüftchen"; vor allem die Soprane quälen sich durch die Partitur. Chor und Orchester sind außerdem nicht immer synchron; die Sänger setzen mehrmals zu früh ein. Schade auch, dass die im Schauspiel engagierten, rasant Skateboard fahrenden Kinder auf musikalischer Ebene so unmotiviert und überfordert erscheinen, dass sie kaum einen einzigen Ton richtig treffen. ![]()
Glücklicherweise sind die Solisten in der Lage, solche kleinen Schwächen auszubügeln: Pamina alias Theresa Derksen vor allem mit ihrer samtig vollen Mittellage, Darlene Ann Dobisch nicht nur mit den phänomenal hohen Tönen und präzise gesungenen Koloraturen der Königin der Nacht, sondern ebenso mit einem glaubwürdigen Ausdruck von Wut, Wahnsinn und Rachegelüsten gegen Sarastro. Letzterer (Ronald Zeidler) geizt dagegen mit Ausdrucksstärke - frei nach dem Motto "Sänger macht Töne", das ganze meist nasal gebrummt. Bariton Wolfgang Mirlach (Papageno) und Tenor Joseph Schnurr (Tamino) haben ihre Rollen wesentlich besser verinnerlicht - sowohl schauspielerisch als auch gesanglich. Schnurrs kindlich naiver Gesichtsausdruck könnte nicht besser zu einem Märchenprinzen passen, der sich in die nackte, urbane Realität verirrt und nicht weiß, wie ihm geschieht, als sich an einer Info-Säule im U-Bahnhof plötzlich die BVG-Information (Öffentlicher Nahverkehr in Berlin) meldet. ![]()
Das Ende der Oper gestaltet Hagel lustig-frivol: In der Verkleidung des alten Weibes, das die Berliner Obdachlosenzeitschrift "Motz" verkauft, macht Papagena Papageno sexuell offensive Avancen ("Nimm mich, hier und jetzt"). Ihr Duett "Pa-Pa-Pa-Pa-Pa-Pa" singen sie vor einer Spermien-Videoprojektion, die Königin der Nacht gerät unter den "ICE von Moskau nach Helgoland" und ansonsten ist alles so wie im Original: Tamino und Pamina können sich nach den von Sarastro auferlegten Prüfungen endlich glücklich in die Arme fallen. Das wohl Einprägsamste neben dem ungewöhnlichen Inszenierungsort sollte am Schluss noch erwähnt werden: die Reibeisen-Sprecheinspielung der Königin der Nacht von Katharina Thalbach.
Ein massentaugliches Opern-Happening. Mozart hätte es womöglich gefallen, wenn er die aktuellen Zeitbezüge verstünde. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung Solisten
Sarastro
Tamino
Königin der Nacht
Sprechstimme der Königin der Nacht
Pamina
Erste Dame
Zweite Dame
Dritte Dame
Papageno
Papagena
Monostatos
Knaben
Georg-Friedrich-Händel- Gymnasiums Berlin
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