Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
GänsehautoperVon Christoph Wurzel / Fotos von Matthias Horn
Schon die ersten Augenblicke setzen den Gewaltkreislauf in Gang: der Altgesell (hier heißt er nur "der Alte") macht sich geil an Barena, eine Punkerin, heran, die irgendwie Unterschlupf in einer trostlosen Lagerhalle gefunden hat. Es ist keine ländliche Mühle mehr, in der Janaceks Oper spielt, sondern ein Ort, an dem Lumpen verwertet werden. Später im 3. Akt wird es eine Näherei sein, die Firma "K&C - Karolka & Company - Old Tradition". Janaceks Oper, die im originalen Untertitel als "Oper aus dem mährischen Bauernleben" bezeichnet ist, spielt in dieser neuesten Stuttgarter Produktion in der kleinbürgerlichen Welt eines Familienbetriebs, gezeigt zuerst als marode Klitsche der Familie Buryja, in der sogar die Seniorchefin (Renate Behle als alte Buryja) noch kräftig anfassen muss. Im 2. Akt ist die Firma offensichtlich Bankrott gegangen und die Halle dient Jenufa mit ihrem Kind und der Stiefmutter als Versteck. Nachdem Steva Buryja nun die reiche Karolka geheiratet hat, verwandelt sich die Halle im 3. Akt zu einem blitzsaubren Kleinunternehmen, in welchem Jenufa und Laca sogar am Tage ihrer Hochzeit noch im Akkord arbeiten müssen. Ein kleiner Mehrwert des ökonomischen Fortschritts eines Billiglohnlandes scheint auch in diesem Winkel irgendwo in Osteuropa angekommen zu sein. Der soziale Realismus ländlicher Provinzialität aus der Entstehungszeit dieser Oper ist in Bieitos Stuttgarter Inszenierung in die prekäre Problematik von Wendeverlieren und den blanken Zynismus von Aufschwunggewinnlern transformiert worden. Ein Konzept, das für Janaceks "Jenufa" faszinierend stimmig aufgeht. Diese soziale Lage bildet das Umfeld von elementarer struktureller Gewalt, der die Menschen gnadenlos ausgesetzt sind und daraus folgenden offenen Aggressionen, die sie sich antun - eine Tretmühle des Existenzkampfs, der Selbstbehauptung und des Kampfes um das kleine Glück. Leos Janacek hat bekanntlich neben dem Bemühen um szenischen Realismus auch in der Musik nach Ausdrucksmitteln wahrheitsgetreuer Darstellung der emotionalen Zustände und Regungen seiner Figuren gesucht. Mit seiner besonderen Behandlung der Gesangslinie wie auch durch die Instrumentation wollte er "Fenster in die menschliche Seele" öffnen.
In Stuttgart hat als Gast Marc Poillet, hauptamtlich GMD in Wiesbaden, Janaceks Musik in diesem Sinne einen hervorragenden Dienst erwiesen. Nicht nur exzellent klar und transparent wurde musiziert, auch mit größter emotionaler Beteiligung - scharf und trocken in den aggressiven Stellen, warm und geradezu empathisch im menschlich anrührenden Gestus. Die einkomponierten psychischen Wechselbäder wurden zu musikalischen Ereignissen von höchster Suggestivkraft: mit apokalyptischer Gewalt schlagen förmlich die Posaunen in der Szene der Kindstötung und zu Jenufas "Ave Maria", ihrer ahnungsvollen Elegie auf ihr Kind im 2. Akt, blüht die Geigenmelodie schmerzvoll auf. Der Sinn von Janaceks musikalischen Repetitionen, einem wesentlichen Strukturprinzip seiner Musik, wurde deutlich erkennbar und sinnfällig etwa in den Streicherfiguren im 3. Akt als Begleitmusik zur Nähmaschinen-Plackerei in Karolkas Hemdenfabrik. Eva-Maria Westbroek als Jenufa
Der eminent dramatischen Anlage von musikalischer und szenischer Realisierung folgten mit höchstem Engagement auch die Sängerdarsteller. Eva-Maria Westbroek in der Titelrolle fügte ihrer seit ihrem Stuttgarter Debut als eine der Walküren ungebrochenen Erfolgsserie ( über Carlotta in den "Gezeichneten", Desdemona, die "Verkaufte Braut" Marie und -schon einmal Janacek - Emilia Marty) einen weiteren Baustein hinzu. Eine facettenreiche Jenufa stellte sie dar: verletzlich und selbstbewusst, zutiefst erniedrigt und stark sich aufbäumend gegen ihr Schicksal. Das war weder eine täppische Bauernmagd, noch eine verklärt Leidende, als welche sie Jenufa zeigte, sondern eine zur Wissenden reifende Frau, stark gerade wegen ihres Schicksals und am Schluss nicht ergeben. Im (ver-) lachenden Protest gegen ihre Lage am Schluss schien sie ihre innere Freiheit wahren zu wollen. Eine starke darstellerische Leistung. Auch gesanglich reizte sie all ihre Möglichkeiten aus, im dramatischen Aufschwung wie im lyrischen Ton. Ihre starke darstellerische wie sängerische Präsenz macht die Westbroek sicher zu einer der ganz großen Sängerinnenpersönlichkeiten der jüngeren Generation.
Leandra Overmann als Küsterin stand dieser Leistung freilich in nichts nach. Ihr Rollenprofil zeigte die Stiefmutter als eine zutiefst vom Leben enttäuschte, um ihr eigenes Liebesglück betrogene, durchaus noch vitale Frau, die aus einem inneren Zwang heraus Jenufas Kind vor allem aus Eifersucht und Neid auf die wenigstens partiell gelebte Zärtlichkeit ihrer Stieftochter tötet. Nach dem Mord versteckt sie das Kind unter ihren eigenen Kleidern, als wolle sie es sich als Frucht einer eigenen Liebe einverleiben. So wird die Küsterin vom kalt mordenden, vor bigotter Moral starren Monster zu einer menschlich anrührenden Figur. Und Leandra Overmann füllte diese Rolle beeindruckend aus. In der Kindsmord-Szene, die hier in aller Drastik und Brutalität ausgespielt wurde, kam ganz ohne falsche Effekte Janaceks Oper zu ihrem Wesenskern: als eine Geschichte, die schauern macht, versetzt man sich nur intensiv genug in diese fiktive Realität. Die beiden männlichen Protagonisten waren von der Regie nicht gerade als Sympathieträger angelegt. Aber beide Sänger konnten dennoch uneingeschränkt überzeugen. Mit deutlich ausgespieltem Macho-Appeal gab Raymond Very den Steva und war stimmlich schwärmerisch - ausladend in seiner Partie. Frank van Aken sang und spielte in der Rolle des Laca den Antagonismus von Zärtlichkeit und Aggressivität glaubhaft heraus. Weniger markant waren die Nebenrollen des Richters (Wolfgang Probst) und seiner Frau (Carolin Masur) besetzt. Aufhorchen dagegen ließ Michaela Schneider als Karolka mit keck forschem Spiel und prägnanter Stimme. Den wieder einmal phänomenalen Staatsopernchor hatte Bieito intensiv geführt und zu differenzierten Charakteren ausmodelliert, was dem dramatischen Geschehen zusätzlich zugute kam. Am Schluss gab es langanhaltenden und ungeteilten Beifall für alle Beteiligten. Der Jubel brauste zusätzlich auf beim Erscheinen des Regieteams, das "aus dispositionellen Gründen" kurzfristig für David Alden eingesprungen war. Ein Riesenerfolg in der Stuttgarter Staatsoper.
Calixto Bieito ist also auch in Stuttgart angekommen und hat gewonnen: offensichtlich das Ensemble und gleichermaßen auch das Publikum. Und gewonnen hat vor allem auch Janaceks Meisterwerk. Damit wird mit der zweiten Neu-Produktion unter dem neuen Intendanten Albrecht Puhlmann nahtlos angeknüpft an die stärksten Erfolge der glorreichen Zehelein-Ära. Ihre Meinung ?Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Dramaturgie
Mitarbeit Regie
Bühne und Kostüme
Neukonzeption Bühnenbild
Neukonzeption Kostüme
Licht
Chor
SolistinDie alte BuryjaRenate Behle
Laca
Steva Buryja
Die Küsterin Buryja
Jenufa, ihre Stieftochter
Der Alte
Der Richter
Seine Frau
Die Tochter Karolka
Schäferin
Barena
Jano, ein Schäferjunge
Tante / 1. Stimme
2. Stimme
Solotrompete
|
- Fine -