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Die Einsamkeit des KünstlersVon Christoph Wurzel / Foto von Sebastian Hopp
Wenn das keine musikalische Begabung war: 1930 dirigierte Bruno Maderna in einem Konzert in der Arena von Verona, und zwar ausgerechnet Musik von Richard Wagner (man sagt, es sei aus den Meistersingern gewesen). "Brunetto" war damals gerade 10 Jahre alt. Dies wenigstens ist keine Legende in der so legendenumwobenen Jugend dieses Künstlers, der sich später viel eher als Komponist verstand, wiewohl er im Brotberuf Dirigent war und sich mit der Interpretation von Werken der zeitgenössischen und der klassisch-modernen wie auch der "alten" Musik große Anerkennung erwarb. Auch als Komponist suchte er die Tradition mit der Avantgarde zu verbinden, was ihn im Kreise der Neutöner der Darmstädter Schule um Boulez und Stockhausen zum - gleichwohl geachteten - Außenseiter machte. In Darmstadt, dem Mekka der musikalischen Moderne der Nachkriegszeit, wurde Maderna auch ansässig und ist dort 1973 an Krebs gestorben. Als den Verlust eines der innovativsten und originellsten Komponisten der zeitgenössischen Musik hat man damals seinen Tod beklagt. Seitdem war es still um Maderna geworden. Die Stuttgarter Staatsoper hat sich nun mit "Hyperion" des Hauptwerks aus seinen letzten Schaffensjahren angenommen und dieses multiple Werk in eine neue szenische Fassung gebracht. Madernas "Hyperion" ist nämlich ein "offenes Kunstwerk" ("Opera aperta") in dem Sinn, wie es Umberto Eco, sein Freund und künstlerischer Wegbereiter, in den 1960er Jahren formuliert hatte, ein Werk, das aus einer Montage disparater Formteile der unterschiedlichsten musikalischen Mittel immer wieder neu für jede Aufführung bzw. Produktion zusammengesetzt wird. Maderna hat als Bausteine für "Hyperion" bereits zuvor komponierte Stücke vorgesehen: Material für eine größere Orchesterbesetzung ("Dimensioni") , Musik für ein Soloinstrument, besonders die von ihm geschätzte Oboe (für das Eingangsstück "Klage") und als musikalisch-geistiges Zentrum zwei lange Kadenzen für eine Solo-Flöte; ferner eine Musik für Banda-Ensemble, reine a-capella-Chorsätze (Hölderlins "Schicksalslied"), eine richtige Arie für Sopranstimme (Diotima), ein phonetisches Lautgedicht und immer wieder eingemischt elektronische Klangflächen aus Tönen und Geräuschen. Diese sehr heterogenen Segmente sind für die neue Stuttgarter Produktion zu einer theatralischen Aktion zusammengefügt und mit einer "Handlung" hinterlegt worden. Es hat seit der Uraufführung am Teatro La Fenice in Venedig 1964 überhaupt erst weniger als ein halbes Dutzend Realisationen des "Hyperion" gegeben. So etwas wie ein dramatischer Bogen ergibt sich aus dem geistigen Gehalt der Musik, aus der Semantik des musikalischen Materials. Im Gegensatz zur traditionellen Oper spielt Gesang eine untergeordnete Rolle, der Hauptakteur ist das Orchester und im Widerstreit mit dem Instrumentenkollektiv die Soloinstrumente Flöte und Oboe, die hier gleichsam personalisiert werden, als Verkörperung eines lyrisch-dramatischen Ichs - die Flöte - "Flauto poeta" - als Stimme Hyperions. Eine Bühne auf der Bühne: Bühnenbild: Bärbl Hohmann
Den linearen Handlungsfaden, der diese "lyrischen Szenen" zusammenhält und vorwärts führt, bildet der Gedanke eines Promenadenkonzerts, wohl inspiriert von Madernas biografischen Erfahrungen als bestauntes kindliches Dirigierwunder in der väterlichen Wanderkapelle. So besteht die Bühne aus einem Musikpavillon, unter dessen Dach ein Orchester dieses Ereignis veranstaltet mit dem dazugehörigen Publikum, das einerseits Passanten spielt und Zuhörer des Konzerts, anderseits aber auch sich zum mitwirkenden Chor verwandelt. Die einzelnen "Stücke" werden oben dargeboten und das Publikum im Saal sieht seine eigenen Situation in der Bühnenhandlung gespiegelt - bis hinein in die zum Teil heftigen Widerstände, ja Ablehnung der präsentierten Musik gegenüber. Das Konzert auf der Bühne hat nämlich zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Papierschwalben werfende Kinder sind nur das geringste Hindernis (und stellen metaphorisch eine schöne Anspielung auf den aletorischen Charakter der Musik von Maderna dar). Vollends durcheinander bringt den Konzertablauf eine brutal und laut aufspielende Blaskapelle. Unten im realen Publikum hat sich offenbar inzwischen soviel Frust über diesen "Opernabend" angesammelt, dass die Theaterbesucher -und war kein Inszenierungsgag, sondern eine ganz banale Real-Aktion- selbst reihenweise den Saal verlassen und auf diese Weise ihre Ignoranz dem Kunstwerk gegenüber dokumentieren: genau so wie es gerade oben in der fiktiven Bühnenrealität zum Thema gemacht wird. Denn um ein Künstlerdrama geht es im Kern in Hölderlins Hyperion auch. Hier scheitert der Held, ein Dichter, mit seinen Idealen an der gesellschaftlich-politischen Faktizität. Eine besondere Affinität zum Hyperion-Stoff mag Maderna zu seinem eigenen Leben gesehen haben. Ebenso wie der Held im Briefroman sich einer revolutionären Widerstandsgruppe anschließt, um die Welt zu verändern, dabei aber scheitert, so war der antifaschistisch eingestellte Komponist selbst auch in den vierziger Jahren Mitglied italienischer Partisanen gegen die deutsche Besetzung seines Heimatlandes. Nach dem Krieg arbeitete er mit der linksorientierten Musikavantgarde um Luigi Nono und Luciano Berio zusammen. Als weitere Handlungsebene durchzieht dieses komplexe Werk die Auseinandersetzung zwischen dem Künstlerindividuum und seiner geliebten Muse, Hölderlins Diotima, die dem Romanhelden zu Selbstfindung und künstlerischer Erfüllung verhelfen könnte, wenn sie nicht auf schicksalhafte Weise ums Leben kommen würde. So bleibt der Künstler als "flauto poeta" am Schluss zurück als spielender einsamer Rufer in der Wüste der Barbarei und Zerstörung. Denn nachdem der Dirigent von aggressiven Passanten gewaltsam vom Podium gezerrt worden ist, endet das Konzert in der Katastrophe. Auf der Bühne passiert also viel, was sich ohne genaue Kenntnis des Hölderlinschen Textes aber nur schwer entschlüsseln lässt. Zu wenig Aufmerksamkeit bleibt da für die hoch komplexe, ungemein artifizielle Musik, der man sich, nicht zuletzt auch wegen ihrer sinnlichen Qualitäten, gern viel mehr überlassen würde. Auch weil sie so souverän dargeboten wird. Das Stuttgarter Staatsorchester erweist sich mal wieder als polystilistisch absolut sicher und der Staatsopernchor zeigt sich wieder von seiner besten Seite. Das wie gestochen artikulierte "Schicksalslied" wird zu einem der Höhepunkte dieser Aufführung. Mario Caroli lässt seine Flöte mit technischer Raffinesse und emotionaler Intensität zur Gesangstimme werden. Melanie Walz singt die halsbrecherische "Arie" der Diotima mit Verve. Enrique Mazzola kann das musikalische Geschehen perfekt zusammenhalten, obwohl die Akteure zum Teil räumlich getrennt sind.
Es ist ein mutiges Unternehmen, dieses wichtige Werk der musikalischen Avantgarde zur Diskussion zu stellen. Damit bleibt die Staatsoper ihrer bisher gepflegten Praxis treu, nicht unbedingt mit Uraufführungen auf sich aufmerksam zu machen, sondern wichtige Werke der Moderne einer erneuten szenischen Prüfung zu unterziehen, wie in den letzten Jahren Lachenmanns "Mädchen mit den Schwefelhölzern", Feldmans "Neither" oder auch die beiden Nono-Werke "Intolleranza" und "Al gran sole carico d`amore". Damit ist man in Stuttgart bisher gut gefahren. Madernas "Hyperion" fügt sich in diese Reihe als eine weitere Bereicherung ein. Ihre Meinung ?Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Mitarbeit Kostüm
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistinDie Frau(Donna - Diotima) Melanine Walz
Der Flöten-Dichter
Der Mann
Chorsoli
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- Fine -