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Die Trivialisierung des Holocaust
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte
Wie kann eine Oper dem Unfassbaren gerecht werden? Wie kann man den Holocaust auf die Opernbühne bringen, eine Musik dazu schreiben, die das Grauen und die Überlebenskräfte gleichermaßen emotional erlebbar macht? Denn Emotionalität, das Empfinden aus dem Bauch heraus und mit dem Herzen, ist der Anspruch, den Komponist Stefan Heucke an seine Partitur stellt, die er in einer „gefühlsbetonten“ Tradition betont expressiv schreibender Opernkomponisten der jüngeren Musikgeschichte wie Dmitri Schostakowitsch und Benjamin Britten, auch Alban Berg, sieht. Adornos Diktum, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch, muss sich in weit größerem Maß eine "Auschwitz-Oper" stellen. Der mögliche Einwand, man müsse sich einem autonomen Kunstwerk unbefangen stellen und die Qualität für sich sprechen lassen, geht hier in Leere. Einerseits hat das Theater Krefeld-Mönchengladbach mit der Holocaust-Thematik die Publicity-Maschinerie gezielt auf Hochtouren gebracht, andererseits wirft die Struktur der Oper mit einem Libretto, das weitschweifig und anekdotenreich die Geschichte des Häftlingsorchesters in Auschwitz nacherzählt und historische Genauigkeit vorgaukelt, permanent die Frage nach der angemessenen Darstellbarkeit solcher Geschichtsschreibung von selbst auf. ![]() Gelb leuchtet die Skulptur, die auf die Krematorien verweisen soll, während die Deportierten die Rampe hinauf dem Tod entgegen gehen: Lageralltag in Auschwitz (Ensemble)
In Auschwitz-Birkenau hat es, wie in anderen Lagern auch, ein Häftlingsorchester gegeben, das für Lagerleitung und Wachtrupps mit leichter Muse aufspielen musste. Die französische Sängerin und Pianistin Fania Goldstein (1922 – 1983), später unter dem Pseudonym Fania Fénelon bekannt geworden, spielte im Frauenorchester und hat ihre Erinnerungen später in Buchform herausgegeben (deutscher Titel: „Das Mädchenorchester in Auschwitz“). Auf Basis dieses Romans hat Clemens Heucke, der Bruder des Komponisten, das Libretto verfasst. Andere Überlebende des Orchesters haben sich von Fénelons Darstellung allerdings mit scharfen Worten distanziert, zuletzt die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, die zur Mönchengladbacher Uraufführung der Oper aus London angereist war: Es handele sich um einen „Schundroman“, der die Tatsachen bewusst verfälsche. Als Reaktion auf die Kritik schon während des Entstehungsprozesses der Oper haben Librettist und Komponist Retuschen am Text vorgenommen, ohne allerdings die Konstellation (erzählt wird aus der Perspektive Fania Fénelons) grundsätzlich zu ändern; zusätzlich soll zum instrumentalen Vorspiel ein Brief Frau Lasker-Wallfischs an den Dirigenten, in dem sie ihre Bedenken gegen das Projekt äußert, verlesen werden (in der Uraufführungs-Inszenierung wird er per Video-Installation eingeblendet). Pikant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Librettist Clemens Heucke Historiker ist, von dem man eine kritische Beurteilung seiner Hauptquelle eigentlich hätte erwarten dürfen. ![]()
Die fast filmische Anlage des Librettos ist Ausdruck der Hilflosigkeit, mit der die Oper ihr Thema sucht. Das hätte lauten können: Wie bewahrt der Mensch unter den Bedingungen des Lagers seine moralische Integrität? oder: Wie verändert sich der Mensch im Zustand permanenter Bedrohung? oder: Welche Rolle kommt der Kunst – insbesondere der Musik – in Auschwitz und in Bezug auf Auschwitz zu? All das wird angerissen, aber nichts davon gerät ernstlich in den Focus des Textes, der von allem ein bisschen anbietet und sich in seinen Episoden verliert. Vergleichbares gilt für die Musik. Stefan Heucke setzt als zusätzliche Klangfarbe, solistisch gegen das Orchester abgesetzt, ein Shofar ein, ein jüdisches, in der Liturgie verwendetes Blasinstrument mit charakteristischem Ton. Das „jüdische“ Element spielt aber ansonsten nur eine untergeordnete Rolle (im Orchester spielten neben „jüdischen“ Musikerinnen auch „arische“ Kriminelle, und auch das ist nur am Rand thematisiert). So bleibt es beim plakativen Effekt. Auch das Gegeneinander zwischen dem Lagerorchester, in Mönchengladbach überwiegend von Laien gespielt, und dem „Hauptorchester“ bleibt weitgehend illustrativ: Spielen die Häftlinge Suppés „Leichte Kavallerie“, so fährt das Hauptorchester mit grellem Blech dazwischen oder verfälscht die flotten Melodien. Ein konstituierendes Moment wird aber nicht daraus. ![]() Schikanen durch die SS: Rechts Sonia Winogradowa (Kirstin Hasselmann), nach dem Tod Alma Rosés Leiterin des Orchesters
Hohe Textverständlichkeit war ein Grundanliegen für den Komponisten. Das ist zwar umgesetzt, aber um den Preis, dass die Musik zum untermalenden Klangbrei degradiert wird. Regisseur Jens Pesel holt das Orchester aus dem Graben auf die Bühne, hinter die Spielfläche und macht, fast möchte man es für eine boshaftigkeit gegenüber dem Komponisten halten, offensichtlich (das ist ganz wörtlich zu nehmen), dass es sich hier um Hintergrundmusik handelt. Akustisch kommt das den Sängern entgegen, denn der Orchesterklang ist massig und schwer, kaum aufgefächert und selten durchhörbar – die dicke Instrumentation trägt ihren Teil dazu bei. Martialische Rhythmen und scharfe Dissonanzen sind recht plakative Mittel, das Unheil darzustellen; Effekte wie die Verfremdung bekannter Stücke wie Schumanns „Träumerei“ nutzen sich schnell ab. Über weite Strecken klingt das wie mittelprächtige Filmmusik. Die Musik kann in keinem Moment deutlich machen, wozu sie überhaupt benötigt wird: Bestenfalls verdoppelt sie den Text. So macht sich die Oper selbst überflüssig. Die Inszenierung von Jens Pesel könnte man als Schadensbegrenzung bezeichnen, wäre der Regisseur nicht gleichzeitig Intendant des Hauses und damit verantwortlich dafür, das diese Oper auf dem Spielplan steht. Dankbar muss man Pesel und Ausstatterin Friederike Singer sein, dass sie tatsächlich ohne ein einziges Hakenkreuz auskommen. Das SS-Personal in strahlend weißen Uniformen steht im Kontrast zur grauen Häftlingskleidung der Frauen aus dem Orchester. Immer wieder werden vorne an der Rampe die Selektionen am Lagereingang angedeutet, die über sofortigen Tod entschieden, und durch eine Öffnung in der Bühnenwand wirft ein Förderband Berge von Kleidung ermordeter Häftlinge in den Raum. Die Mischung aus realistischer Darstellung und vorsichtiger Abstraktion geht insgesamt auf, hat aber auch eine verharmlosende Wirkung. Bedenklicher in seiner ist ein anderes Symbol: Ein großes Plexiglasrohr, immer wieder von Rauch durchzogen und farbig ausgeleuchtet, dient als Chiffre für die Krematorien und die Allgegenwärtigkeit des Todes – ein betont dekoratives Element, wie es auch im Designer-Wohnzimmer stehen könnte. ![]()
Imponierend ist die Konzentration, mit der die riesige Besetzung das Stück stemmt. Aus dem durchweg guten Sängerensemble ragen Anne Gjevang als Alma Rosé, Nichte Gustav Mahlers und Dirigentin des Orchesters, Kerstin Brix als Fania und Kirstin Hasselmann als Sonia Winogradowa (die nach Alma Rosés Tod die Leitung des Orchesters übertragen bekam) heraus. Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Chefdirigent Graham Jackson (phasenweise agiert Giuliano Betta als zweiter Dirigent, um die Sänger trotz der Distanz zum dahinter postierten Orchester zu koordinieren) spielen nach anfänglicher Nervosität sehr zuverlässig mit markantem Blech; die genannten Probleme der mangelnden Transparenz bleiben indes bestehen. Das Theater verstehe sich nicht als pädagogische Anstalt, postulierte Intendant und Regisseur Pesel auf der Pressekonferenz anlässlich der Uraufführung. Das Frauenorchester von Auschwitz ist dennoch ein in erster Linie pädagogisches Projekt geworden. Der ungebrochene, letztendliche naive Ansatz, die Geschichte einfach musikalisch erzählen zu wollen (da schwingt einiges von der Ästhetik des 19. Jahrhunderts mit, und nicht umsonst gibt es reihenweise Puccini-Zitate), erleidet mangels eigenständiger Substanz künstlerischen Schiffbruch. Bleibt das Verdienst, eine in ihrer Ambivalenz von Schrecken und Hoffnung abwegigsten Episoden deutscher Geschichte ins Bewusstsein gerufen zu haben. Der hohe Preis dafür ist die Trivialisierung von Auschwitz.
Mit viel gutem Willen, grellen Tönen und martialischen Rhythmen lässt sich letztendlich doch nicht angemessen von Auschwitz erzählen - gigantischer Aufwand verpufft mit magerem künstlerischen Ertrag. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Videographie
Dramaturgie
Solisten
Alma Rosé
Sonia Winogradowa
Fania Fénelon
Berthe
Eva
Iréne
Florette
Marta
Hélène
Anny
Flora
Danka
Hilde
Mala Zimetbaum
Else Schmidt, Kapo
Blockawa Tschaikowska
1. weibl. Kapo
2. weibl. Kapo
Schmuel
Ferenc, ungarischer Junge
Häftling / Läuferin
Franz Hössler, SS-Obersturmführer
Dr. Josef Mengele, SS-Hauptsturmführer
Maria Mandel, SS-Oberaufseherin
Margot Drechsler, SS-Aufseherin
SS-Männer
Deportierter
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