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Musiktheater
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Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Text von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden (zwei Pausen)

Premiere A am 17. März 2007
im Nationaltheater Mannheim

Besuchte Vorstellung: Premiere B am 31. März 2006


Homepage

Nationaltheater Mannheim
(Homepage)
Großtat mit kleinen Schönheitsfehlern

Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel


Wer ist die Hauptfigur in der zweifellos schwer auf die Bühne zu bringenden Frau ohne Schatten? Hugo von Hofmannsthal hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass es die Kaiserin ist, Gregor Horres schenkt ihr in seiner Neuinszenierung zwar erfreulicherweise mehr Aufmerksamkeit als manch anderer Regisseur, wenn er sie fast immer auf der Bühne präsent sein, die Ereignisse beobachten und nach und nach auch verstehen lässt. Aber noch mehr scheint ihn der Dichter selbst zu interessieren, der hier in persona auftritt (Jost-Jochen Wacker bewältigt die Aufgabe immerhin sehr diskret), so dass man als Betrachter zum Zeugen der Werkentstehung wird, leider aber dadurch auch immer wieder auf Distanz gehalten wird zu der Geschichte, die doch eigentlich eine interessante, bewegende ist; wenn ich mich über die Genese des Librettos oder die Befindlichkeiten und Probleme ihres Verfassers informieren will, besorge ich mir die entsprechende Literatur. Barak ist in dieser Konzeption also eine Verdopplung des Autors, der seiner literarischen Arbeit deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als seiner Gattin, die hier nicht Pauline Strauss ist, die ja eine wichtige Inspiration für die Figur war, sondern eher Gerty von Hofmannsthal.

Die Kaiserin (Ludmila Slepneva, links)
fragt ihre Amme (Susan Maclean, rechts),
woher man einen Schatten bekommt.

Auch hinsichtlich der Kostüme von Sandra Meurer ist das Stück in seiner Entstehungszeit fixiert, die Brüder des Färbers etwa werden als Kriegsversehrte gezeichnet, was Sinn macht und berührt, ohne dass dieser Gedanke weiter aufgegriffen würde. Ähnlich ergeht es der im Programmheft aufgegriffenen Frage der Emanzipation der Frau, die spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts Alternativen zur Mutterschaft als einzigem Lebensinhalt entdeckt. Da werden sogar die mir unerträglichen reaktionären Vorstellungen von Nachrichtenleserin Eva Herman abgedruckt, ohne dass man das Gefühl hat, dass Horres solchen Gedanken das Wort reden will. Auf Antworten wartet man indes bedauerlicherweise vergebens, hier hätte man sich mehr Entschlossenheit gewünscht.

Vergrößerung

Die Amme (Susan Maclean, Mitte) weiß
ihrer Herrin (Ludmila Slepneva als Kaiserin, links) zu helfen:
Der frustrierten Färbersfrau (Caroline Whisnant, rechts)
sollte ihr Schatten leicht abzukaufen sein.

Ansonsten hat das Regieteam sich für einen unspektakulären Ansatz der reduzierenden Entmythologisierung entschieden, alles Märchenhafte wird vermieden, auch die Ausstattungsorgie, in die sich mancher meint flüchten zu müssen angesichts der komplexen Aufgabe: Auf der von Bernard Häusermann exzellent ausgeleuchteten Spielfläche konzentriert sich alles auf eine Tür, ein Bett, ein Tisch, ein paar Stühle und das Schreibpult für den Dichter, sie wird durch häufiges Drehen in Bewegung gehalten und lässt sich nach unten öffnen, über ihr hängt ein riesiger weißer Rahmen, in dem mitunter Symbole wie der rote Handschuh des Kaisers oder des Dichters Füller sichtbar werden. Es gibt auch keine zwei Welten, sondern zwei Menschenpaare - Kaiserin und Kaiser tragen längere weißgraue Haare und heben sich dadurch von den übrigen Figuren ab -, die ähnliche Beziehungsprobleme auf verschiedenen Ebenen zu lösen haben, und erfreulicherweise spürt der Regisseur dabei immer wieder auch augenzwinkernd komisch-ironische Momente auf. Weniger überzeugend fand ich den Verfremdungseffekt, die Sängerinnen und Sänger, die die Partie des Geisterboten, des Hüters der Schwelle, des Falken, des Jünglings oder der Stimme von oben zu singen zu haben, in T-Shirts auftreten zu lassen, auf die der Rollenname gedruckt ist - es hätte völlig gereicht, ihre Einsätze über die Beschallungsanlage des Hauses einzuspielen oder sie vom Zuschauer ungesehen am Bühnenrand oder im Orchestergraben singen zu lassen. Besonders im dritten Akt gelangt Horres dann doch mehr und mehr zu einer Konzentration auf die Hauptfiguren, verzichtet auf alle ablenkenden "Mätzchen" und findet zu einer ganz schlichten, jede Peinlichkeit vermeidende Erzählweise, die nicht zuletzt der Wirkung der Musik den Vortritt zu lassen scheint, was auch der Umstand belegt, dass die Sänger fast immer günstige Positionen auf der Bühne haben und nicht permanent Dinge zu tun haben, die sie allzusehr ablenken, ohne dass man das Gefühl hätte, altmodischer Rampensteherei beizuwohnen oder man szenischen Leerlauf zu beklagen hätte.

Vergrößerung Die drei Brüder des Färbers (Frank van Hove als Einäugiger,
Taras Konoshchenko als Einarmiger und Oskar Pürgstaller als Buckliger)
machen der Frau (Caroline Whisnant, links) ihr Leben im Färberhaus zur Hölle.

Eine exzellente, vielschichtige Amme war Susan Maclean, die die Partie nicht nur in allen Lagen ausgesprochen schön und gleichermaßen expressiv sang, ohne in Sprechgesang und grelle Überzeichnungen zu verfallen, sondern auch durch ihre exzellente Diktion, die Übertitel beinahe überflüssig machte, und eine faszinierende Darstellungsgabe immens für sich einnahm.

Vergrößerung

Die Kaiserin (Ludmila Slepneva) erkennt,
dass sie ihr Glück nicht finden wird,
wenn sie das der Färbersleute zerstört.

Man hatte von der exzellenten Salome gehört, die Ludmila Slepneva am Nationaltheater und anderswo gesungen hat, und in der Tat passt eine an Partien des italienischen Fachs geschulte Stimme sehr gut zur Kaiserin (erinnern wir uns, dass auch Maria Jeritza, Leonie Rysanek oder Anna Tomowa-Sintow großen Erfolg in diesem Bereich hatten). Es war bemerkenswert zu hören, wie viel Mühe sie sich mit dem Text gab, wie viele feine Details sie vokal wie darstellerisch herausarbeitete. Nicht zuletzt hat sie auch dieses leicht hysterische Flirren bei hohen Tönen, das hier sehr attraktiv und passend ist, auch ihre Legatoqualitäten verdienen Erwähnung, und zudem konnte sie sich noch von Akt zu Akt steigern und sang ein wirklich aufregendes "Vater, bist du's?".

Über deutlich weniger Applaus konnte sich dagegen Caroline Whisnant freuen, die inzwischen eine erstaunliche Karriere im hochdramatischen Fach macht und beängstigend viele Vorstellungen außerhalb ihres Stammhauses zu singen hat. Zweifellos hat sie eine Riesenstimme und alle Töne für diese Partie, erstaunliche Stamina in den entscheidenden Momenten besonders am Ende des zweiten Aufzugs und zu Beginn des dritten - das muss man wirklich erst einmal so singen! -, aber unter den beeindruckenden Tönen sind nicht nur einzelne auch einfach nur laut, schrill und flackernd. Leider hatte ich auch anders als bei den anderen Protagonisten nicht das Gefühl, dass sie sich mit dem Gesungenen wirklich intensiv auseinandergesetzt hat (Ausnahmen wie das Pianissimo auf "und meinte zu fliehen dein Angesicht" sollen indes nicht unerwähnt bleiben), selten gelangte sie zu einer wirklichen Interpretation, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass sie intensiver an ihrer Aussprache und ihrem Deutsch arbeiten muss. Auch darstellerisch war sie weit davon entfernt, die "junge schlanke Verdrossene" zu sein, von der der Dichter in seiner Handlung spricht. Vielleicht hätte sie doch besser mit Ludmila Slepneva als Kaiserin alternieren und die Färberin nur mitstudieren sollen - diese vertrackte, anstrengende Rolle hätte sie auch noch in ein paar Jahren singen können.

Ein noch sehr junger Barak mit schönem Legato, ebenmäßigem Ton und exzellenter Aussprache war Thomas Jesatko, der an Ausstrahlung zweifellos noch gewinnen wird. Manchen Hörer von heute mag die wirklich dramatische Stimme von John Horton Murray irritieren, die nicht die helle Farbe und den Glanz eines lyrischen Tenors besitzt, dafür aber das Gewicht eines Heldentenors, wie man sie von historischen Aufnahmen kennt und schätzt, und ähnlich wie sie muss er für den einen oder anderen Ton oberhalb des Systems hörbar arbeiten und um die korrekte Intonation das eine oder andere Mal kämpfen, nicht immer, aber doch meistens mit Erfolg. Ein kluger Gestalter ist der bemerkenswerte Künstler in jedem Fall, und so sind auch seine Szenen - nicht wie in manch anderer Produktion - mehr als vokale Höhepunkte.

Vergrößerung Der Kaiser (John Horton Murray) und die Kaiserin (Ludmila Slepneva)
im Finale: "Wenn das Herz aus Kristall ..."

Auf außerordentlichem Niveau und mit großer Präzision sangen Frank van Hove (Einäugiger), Taras Konoshchenko (Einarmiger) und Oskar Pürgstaller (Buckliger) die drei Brüder des Färbers, Jan Buchwald war ein gewichtiger Geisterbote von großer Würde, die am Nationaltheater so beliebte Cornelia Ptassek mit frischem, tragfähig-durchdringendem Sopran ein aufhorchen lassender Hüter der Schwelle, solide Leistungen kamen von Marina Ivanova als Stimme des Falken, Yonka Hristova als Stimme von oben sowie Avtandil Merebashvilii, Junchul Ye und Stephan Somburg als Stimmen der Wächter der Stadt.

Axel Kober, der junge, immens talentierte kommissarische GMD des Nationaltheaters, hat den gewaltigen Klangapparat beeindruckend im Griff und macht dem Bühnenpersonal die ohnehin schwere Sache nicht noch schwerer, er nimmt sich auch die nötige Zeit und hetzt nicht durch das Werk, er überrumpelt die Zuhörer nicht, "so daß sie gar nicht recht zur Besinnung kämen", wie es Fritz Schalk als Kritik in seinen Blicken in die Partitur referiert, es gelingen Momente von großer Dichte wie etwa der erste Aktschluss, aber andere wirken noch zu einstudiert, zu wenig gefühlt, so dass man den Eindruck hat, dass der Dirigent wie sein weitgehend hinreißend musizierendes Orchester noch eine Zeitlang brauchen, damit sich dieses besondere Werk setzen kann, damit die innere musikalische Gedankenwelt dieser Oper noch überzeugender erfasst werden kann.


FAZIT

Zweifellos hat das Nationaltheater Mannheim einmal mehr bewiesen, dass es den Rang, die Kapazitäten und nicht zuletzt das Ensemble hat, um solche musiktheatralischen Großtaten neben einem anstrengenden Repertoirebetrieb zu vollbringen - die oben beschriebenen Schönheitsfehler ändern daran nichts.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Gregor Horres

Bühne und Kostüme
Sandra Meurer

Licht
Bernard Häusermann

Dramaturgie
Roland Quitt

Chor
William Spaulding

Kinderchor
Anke-Christine Kober



Statisterie des National-
theaters Mannheim

Chor, Kinderchor
und Orchester
des Nationaltheaters
Mannheim


Solisten

* Besetzung der
besuchten Vorstellung

Kaiser
* John Morton Murray/
Wolfgang Neumann

Kaiserin
Ludmila Slepneva

Amme
Susan Maclean

Barak
Mikel Dean/
* Thomas Jesatko

Frau
Caroline Whisnant

Einäugiger
Frank van Hove

Einarmiger
Taras Konoshchenko

Buckliger
Oskar Pürgstaller

Geisterbote
* Jan Buchwald/
Martin Busen/
Peter Parsch

Hüter der Schwelle
des Tempels
Cornelia Ptassek

Erscheinung eines Jünglings
* Xavier Moreno/
Francesco Petrozzi

Stimme des Falken
* Marina Ivanova/
Iris Kupke

Stimme von oben
Susanne Scheffel/
* Jonka Hristova

Dienerinnen
Yumi Kawahara
Rica Westenberger
Heidrun Maria Arnegger

Stimmen der Wächter
der Stadt
Slawomir Czarnecki
Hyun-Seok Kim
Vasile Tartan
* Avtandil Merebashvili
* Junchul Ye
* Stephan Somburg

Hofmannsthal
Jost-Jochen Wacker



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Nationaltheater Mannheim
(Homepage)



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