Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Mefistofele

Oper in vier Akten,
einem Prolog und einem Epilog
Libretto vom Komponisten
nach Goethes Faust
Musik von Arrigo Boito

In italienischer Sprache mit französischen, flämischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 05' (eine Pause)

Premiere im Théâtre Royal de Liège am 15. Juni 2007
Produktion der Opéra Royal de Wallonie

Besuchte Aufführung: 23. Juni 2007

Homepage

Opéra Royal de Wallonie
(Homepage)
Abschied eines Großen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Jacky Croisier


Sie sind vorbei, Les Années Grinda, die elf Jahre währende Ära also, in der Jean-Louis Grinda sehr erfolgreich versucht hat, das Opernleben in der wallonischen Metropole auf internationales Niveau zu heben, nicht nur durch eine Ausweitung des traditionellen Repertoires auf bisher selten Gespieltes wie Wagner, Strauss und Janacek, Werke des Belcanto oder des 20. Jahrhunderts, sondern auch durch das Engagement interessanter Sängerpersönlichkeiten, Dirigenten und Regisseure. Einen sehr informativen, angenehm persönlichen Einblick in diese Zeit gibt ein Bild-Text-Band von Nicolas Blanmont, Serge Martin und Jacques Croisier, der im Theater erhältlich ist. Ein Gefühl für die Dankbarkeit des Lütticher Publikums bekam man beim Schlussapplaus der letzten Vorstellung einer Mefistofele-Serie, nach der sich der Intendant und Regisseur Richtung Monte Carlo verabschiedete.

Vergrößerung Der chorus mysticus des Prologs (Chor der Opéra Royal de Wallonie)

Boitos sehr ambitioniertes Werk, das als einzige Oper des 19. Jahrhunderts beide Teile des Faust und damit als erstes eine metaphysische Thematik aufgreift, ist keine leichte Aufgabe für einen Regisseur (Emmanuel Reibel bezeichnet die Oper in seinem bemerkenswerten Beitrag in der zur Lütticher Neuproduktion erschienenen Ausgabe von Avant Scène Opéra nicht zu Unrecht als ausladendes metaphysisches Fresco, das wie die Abfolge von unverbundenen Tableaus erscheint und bei dem ein stringenter Handlungsverlauf sekundäre Bedeutung hat), zumal wenn sein Publikum mit dem zugrunde gelegten Stoff nicht vertraut ist - anders als die vielen deutschen Gäste, die man immer wieder in Liège trifft, wobei die Mehrheit wohl mit der Tragödie zweitem Teil ebenfalls ihre Probleme haben dürfte. Schwierigkeiten hatte wohl auch das Uraufführungspublikum: Die Zuschauerreaktionen am 5. März 1868 müssen während und nach der mehr als fünf Stunden dauernden Vorstellung katastrophal gewesen sein und zu Krawallen auf der Straße geführt haben, so dass Boito für die Reprise in Bologna sieben Jahre später erhebliche Eingriffe vornahm und sein von der Grand opéra à la Meyerbeer, aber auch von Beethoven, Weber und Berlioz' Damnation de Faust inspirierten und einer strengen Architektur folgenden Oeuvre, dem bis heute bei aller rhythmischen Vitalität eine begrenzte musikalische Inspiration und eine eher prosaische Tonsprache vorgehalten wird, dem Publikumsgeschmack anpasste und doch noch einen großen Erfolg verbuchen konnte. Boito war fasziniert von der von Goethe geschaffenen Synthese zwischen Romantik und Klassizismus, zwischen germanischer und italienischer Welt, zwischen den beiden Archetypen der Weiblichkeit, festgemacht an der reinen Jungfräulichkeit Gretchens und der üppigen Sinnlichkeit Helenas von Troja. Rossini indes warf dem jungen Kollegen vor, fliegen zu wollen, ohne die Flügel dafür zu besitzen, Wagner sprach gar von der Stickarbeit einer charmanten jungen Frau, Shaw bezeichnete die Oper als seltsames Beispiel dafür, was im Bereich der Oper ein Intellektueller ohne genuines musikalisches Talent, aber mit zehn Mal mehr Geschmack und Kultur wie ein außergewöhnlicher Musiker habe hervorbringen können.

Vergrößerung

Beäugt von Mefistofele (Paata Burchuladze, hinten) gesteht Faust (Antonello Palombi) Margherita (Barbara Haveman) seine Liebe.

Grinda sieht seine Beschäftigung mit Boito als Fortsetzung seiner Arbeit an Wagners Ring, an beiden Werken fasziniert ihn die intellektuelle Herausforderung, bei dem Italiener bewundert er besonders den europäischen Anspruch, der eben auch charakteristisch war für seine Intendanz: ein Werk mit deutschem Hintergrund und italienischer Musik, aufgeführt in einer "esclave latine dans le monde germanique". Der Monegasse verlegt das Stück folgerichtig in die Jetztzeit und lässt Fausts Reise keineswegs als real erscheinen, sondern als Weg in sein Bewusstsein, illustriert durch den szenischen Einfall, das Studierzimmer als Rahmen des Bühnenbildes stets gegenwärtig zu lassen. Mephisto ist bei all dem nicht das absolute Böse, sondern mehr ein personifizierter Stachel, den Faust benötigt, um sich weiter zu entwickeln. Seine Wissenssuche indes bleibt unproduktiv, weder das Kind, das er mit Margherita hat, kann überleben, noch das, das er mit Helena hat - Euphorion erscheint in dieser Inszenierung wie ein zweiter Ikarus, der sich die Flügel verbrennt an der Sonne des Wissens und Symbol ist für das Scheitern des antiken Menschen im Nachahmen des Göttlichen. Um das Irreale dieser klassischen Welt zu betonen, lässt Grinda Mythologiebücher verteilen, auf denen man das Konterfei Helenas wiederfindet, eine sinnvolle Brechung, der moderne Mensch kann sich eben nicht mehr einfach flüchten in das Postkartenidyll einer idealisierten Antike, sondern muss sich im komplexen Hier und Jetzt bewähren. Schwächer und für mein Empfinden zu harmlos fällt dagegen die Walpurgisnachtszene mit einem rot ausgeleuchteten, durch einzelne schwarze Latten skizzierten Wald und zu gleichen Teilen in schwarz und weiß gewandeten und geschminkten Personal aus, daraus kann man mehr machen, wie der Festzug des ersten Aufzugs zeigt, den der Regisseur nicht in Frankfurt spielen lässt, sondern als prunkvoll ausstaffierte, dekadent-oberflächliche Karnevalsgesellschaft mit in persona auftretenden Todsünden auf die Bühne bringt (Kostümbildnerin Buki Shiff konnte sich hier wunderbar austoben!), die in ihrer übertriebenen Fröhlichkeit einen wirkungsvollen Kontrast bildet zur freudlosen Einsamkeit Fausts.

Vergrößerung Mefistofele (Paata Burchuladze) und sein Hofstaat (Chor der Opéra Royal de Wallonie) während des Hexensabbats

Paata Burchuladze hat natürlich eine große Rollenerfahrung und eine mächtige, robuste Stimme, mit beidem beeindruckt der Georgier sein Publikum in der ganzen Welt und in Liège bis heute auch, aber in manchen Passagen vermisst man doch Nuancen und ein wenig Geschmeidigkeit und Eleganz und würde sich ein weniger ausgeprägtes Vibrato und weniger hörbaren Kraftaufwand beim Erreichen von Spitzentönen wünschen. Antonello Palombi wurde einem größeren Publikum bekannt, als er im Dezember für Roberto Alagna an der Scala als Radamès einsprang. Und doch fragt man sich besorgt, warum er mit seinem lirico-spinto-Tenor vor allem die schweren dramatischen Partien wie Manrico, Alvaro, Otello, Calaf, Dick Johnson, Michele und Canio singt - zum Faust passt er hervorragend, denn noch besitzt die Stimme die Geschmeidigkeit, die Piano-, Legato- und messa di voce-Qualitäten und den schönen Ton für das Auftrittsarioso "Al soave raggiar di primavera" und das berühmte "Dai campi", ohne dass man in dramatischeren Momenten die nötige Durchschlagskraft vermissen würde, ohne dass es seiner Stimme an Fundament und Reserven in der Mittellage fehlen würde und ohne dass man auf fulminante Spitzentöne verzichten müsste. Im Laufe des Abends jedoch hörte man zunehmend leicht heisere Nebengeräusche und registrierte einen zunehmend belegten Klang. Barbara Haveman ist eine Idealbesetzung für die Margherita, die nach Reibel einen nordisch-germanischen Typ zu repräsentieren hat, und tatsächlich sehe ich die Künstlerin grundsätzlich eher im deutschen als im italienischen Fach mit ihrem kraftvollen lyrischen Sopran, der eben auch in Mittellage und Tiefe über das nötige Volumen und Farbenreichtum und damit bei aller Mädchenhaftigkeit auch über den nötigen Nachdruck verfügt (aber nicht über genügend technisches Finish für einen korrekten Triller in der bekannten Arie), nicht zuletzt auch in der aufregend-gehaltvollen Höhe. Weniger Freude ließ Tiziana Carraro mit ihrem strengem, reifem und in der Höhe auf Grund der durch Einsatz der Bruststimme verbreiterten Mitte sehr eng werdenden dramatischen Mezzosopran als Elena aufkommen, wobei die Partie mit ihrer mörderischen Tessitura natürlich auch eine vertrackte ist und auch die Damen in den vorhandenen Aufnahmen an Grenzen führte. Eine wirklich komische Marthe war Christine Solhosse, Guy Gabelle ein in die Jahre gekommener Wagner.

Vergrößerung

Vergeblich versucht Faust (Antonello Palombi, links), Mefistofele (Paata Burchuladze, rechts) davon zu überzeugen, Margherita (Barbara Haveman) zu retten.

Nicht nur überrumpelnde Klangfülle, sondern auch große Innigkeit etwa im "Salve Regina" hatten die Chöre anzubieten, wobei ab und an einige in die Jahre gekommene Soprane den Gesamtklang doch beeinträchtigten, was Edouard Rasquins großartige Arbeit keinesfalls schmälert und die grundsätzliche Qualität und Kompetenz des Kollektivs nicht wesentlich in Frage stellt. Patrick Davin, musikalischer Direktor der Opéra Royal de Wallonie, legte die gewohnte Sorgfalt an den Tag, behielt bei aller Opulenz den Überblick und war Garant für größtmögliche Transparenz, was wuchtige Tuttistellen nicht ausschließt. Zudem verstand er es, Spannungsbögen aufzubauen, die sich über viele Partiturseiten hinwegzogen, die Musik im rechten Fluss zu halten, ohne in Hektik zu verfallen, und sie vor unerträglichem Schwulst zu bewahren.



FAZIT

Eine willkommene Wiederbegegnung mit einem zweifellos interessanten, unterschätzten Meisterwerk mit Ecken und Kanten, szenisch durchaus überzeugend, wenn auch nicht bahnbrechend inszeniert vom scheidenden Intendanten, musikalisch insgesamt auf noch höherem Niveau.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrick Davin

Inszenierung
Jean-Louis Grinda

Assistenz
Marguerite Borie

Bühne
Rudy Sabounghi

Kostüme
Buki Shiff

Licht
Laurent Castaingt

Chöre
Edouard Rasquin

Dramaturgie
Frédéric Roels

Chor, Kinderchor und Orchester
der Opéra Royal de Wallonie


Solisten

Margherita
Barbara Haveman

Elena
Tiziana Carraro

Marta / Pantalis
Christine Solhosse

Mefistofele
Paata Burchuladze

Faust
Antonello Palombi

Wagner / Nereo
Guy Gabelle

Euphorion
Jean-Baptiste Grinda



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra Royal
de Wallonie

(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -