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Vom Scheitern der Träume und LebensentwürfeVon Stefan Schmöe / Fotos von Klaus LefebvreOper aus dem mährischen Bauernleben hat Leos Janacek als Untertitel unter sein 1901 entstandenes Bühnenwerk Její Pastornkyòa (Ihre Ziehtochter, der Titel Jenufa setzte sich erst später durch) gesetzt. Das klingt nach Folklorismus, täuscht aber über den wahren Inhalt hinweg: Wie in der später entstandenen russischen Katja Kabanova - die für die nächste Spielzeit in Köln angekündigt ist - dient das lokale, detailreich beschriebene Kolorit nicht als Genrezeichnung, sondern um das soziale Geflecht festzuschreiben, an dem die Titelfiguren scheitern werden. In der grandios gelungenen Kölner Neuinszenierung arbeitet Katharina Thalbach diesen Aspekt scharf heraus: Eine genaue Milieuschilderung ist notwendig, um die Figuren zu verankern, aber die Geschichte könnte sich vergleichbar an anderem Ort und zu anderer Zeit abspielen. Jenufa (Orla Boylan) und Stewa (Hans-Georg Priese) Die Regisseurin, selbst überaus erfolgreiche Filmschauspielerin (u.a. in der Oscar-gekrönten Blechtrommel), wirft einen filmischen Blick auf die Oper, was sich in einer überaus genauen und realistischen Personenzeichnung zeigt. Jede kleine Geste, jedes winzige Detail hat seinen Sinn, und trotz der Gleichzeitigkeit vieler Aktionen wirkt das Spiel nicht überladen. Es gelingt dadurch, die Charaktere aufzufächern und in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen: Keine der vier Hauptfiguren ist vollständig gut oder böse, nicht einmal Jenufa, die dem unglücklich in sie verliebten Laca zunächst nicht ohne Boshaftigkeit zusetzt. Der ist der klassische Außenseiter, von allen gehänselt und reagiert seinerseits gewalttätig und aggressiv darauf. Stewa, von dem Jenufa ein Kind erwartet, ist ein attraktiver Mann und durchaus verliebt in Jenufa, aber mit Ängsten, sich fest zu binden; die Küsterin schließlich, Jenufas Stifmutter, handelt aus einer Mischung von Verbitterung über ihr eigenes Leben und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Jenufa, die es besser haben soll und aus der gefühlten Demütigung, als Stewa das gemeinsame Kind nicht öffentlich anerkennen will. Laca (Ray M. Wade jr.) und die alte Buryja (Yvona kvárová) Was sie alle gemein haben: Ihre Lebensentwürfe sind gescheitert, und dies wird ihnen im Verlauf der Oper schmerzhaft bewusst. Über Jenufas Vernunftheirat mit Laca liegt, noch bevor der Leichnam von Jenufas Kind (das die Küsterin ertränkt hat) gefunden wird, eine Beerdigungsstimmung: Die Trauung würde nicht den Beginn einer hoffnungsvollen Zukunft, sondern das Ende aller Träume und ursprünglichen Perspektiven bedeuten. Darin liegt die Tragödie von Jenufa, die wohl selten so bitter erzählt worden ist. Als der Kindesmord (der, trotz Baby-Puppe, etwas rein Symbolisches behält) offenbar wird, zerschlagen die Dorfbewohner das Haus, Jenufa und Laca bleiben in Trümmern Metaphern für die gescheiterten Hoffnungen - zurück. Die Geschichte ist am düstersten Punkt angekommen. Die Oper müsste hier zu Ende sein. Und dann geschieht ein Opernwunder: Nach einer schier unendlichen Generalpause beginnen Harfe und Geigen eine unwirkliche und zerbrechliche Melodie, die von einer Utopie des es gibt einen anderen Weg spricht. Die Küsterin (Dalia Schaechter); im Hintergrund Jenufa (Orla Boylan) Katharina Thalbach lässt hier den bunkerartigen Bau, in dem die Küsterin sich und Jenufa vor der Welt verschanzt hatte, aufbrechen und über einem Eisblock schweben. Man begreift den Lernprozess, den Jenufa und Laca, ebenso die Küsterin und Stewa, durchgemacht haben. Dass im schlüssigen und eindrucksvollen Bühnenbild von Momme Röhrbein Eis, Schnee und Sonnenuntergang eine Spur zu theatralisch eingesetzt werden, ist ein verzeihlicher Schönheitsfehler in einer Inszenierung, die zudem spannend wie ein Krimi daherkommt und die (auch) vom fabelhaften schauspielerischen Einsatz der Sängerdarsteller lebt. Und gleich noch ein Kompliment an die Regisseurin: Jedem einzelnen scheint seine Rolle geradezu auf den Leib geschrieben zu sein. Frau Thalbach versteht es außerordentlich gut, auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Darsteller, auch auf die stimmlichen Möglichkeiten, einzugehen und daraus ein maßgeschneidertes Konzept für die Figur zu entwickeln. Finale im Abendrot: Jenufa (Orla Boylan) und Laca (Ray M. Wade jr.) Orla Boylan legt die Jenufa lyrisch an, mit sehr schön warmer, flexibler Tongebung, in der von Beginn an eine Spur Traurigkeit und Wehmut mitschwingt. Das steht in starkem wie sinnvollem Kontrast zur famosen Dalia Schaechter, die als Küsterin alle Ausdrucksmittel zieht: Mit hochdramatischer Attacke stürzt sie sich in die hysterischen Ausbrüche (die aber kontrolliert gesungen sind); sie schreit, keift und steigert sich in Sprechgesang, wo es nötig ist. Dabei klingt jede Phrase durchdacht; Janaceks vertonte Sprachmelodie wird hier hochexpressiv ausgestaltet eine Paraderolle für die Sängerin. Mit leicht baritonal abgedunkeltem, dadurch elegantem und männlichem Tenor singt Hans-Georg Priese den Stewa, passend zu dessen Don-Juan-Gestus. Ray M. Wade jr. geschmeidiger lyrischer Tenor wirkt, auch des helleren Klangs wegen, verletzlicher. Hervorzuheben ist noch Yvona kvárová, die als alte Buryja zwar uralt dargestellt ist, aber mit warmer, volltönender Stimme aufwartet. Dirigent Markus Stenz findet mit dem insgesamt guten, im Detail mitunter etwas ungenauen Gürzenich-Orchester einen transparenten, warmen Tonfall, mit dem er die Sänger auf dem Orchesterklang tragen kann. Er lässt die Musik atmen, modelliert fließende Linien, die sich flexibel der oft kurzgliedrigen Melodik anschmiegen. Vor allem aber gelingt es ihm, die großen Spannungsbögen stringent aufzubauen und zu halten. Das mehrfach wiederkehrende Xylophon-Motiv etwa, mit der die Oper einsetzt, bildet eine Klammer über den kompletten ersten Akt. Das Orchester ist hier gleichzeitig Träger des musikalischen Geschehens wie Begleiter der Sänger, ohne dass daraus ein Widerspruch entstünde. Für das oben angesprochene Finale verändert sich der Klang, als käme er aus einer anderen Welt. Da deutet sich die Klanglichkeit dessen an, was später bei Olivier Messiaen das Göttliche herbei andeuten wird: Die Musik beschreibt, was mit anderen Mitteln nicht auszudrücken ist. Nicht erst hier wird diese Jenufa zum Ereignis.
Ein Höhepunkt der Spielzeit: Durch und durch stimmige Produktion im Dienste Janaceks auf hohem musikalischem Niveau, die unterstreicht, dass Jenufa zu den Meisterwerken der Operngeschichte gehört. Unbedingt ansehen! Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereDie alte Buryja Yvona kvárová
Laca
Steva Buryja
Die Küsterin Buryja
Jenufa, ihre Stieftochter
Altgesell
Der Richter
Seine Frau
Die Tochter Karolka
Eine Magd
Barena
Jano, ein Schäferjunge
1. Stimme
2. Stimme
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- Fine -