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Aus dem Reich der Toten
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle
Die Uraufführung der Toten Stadt im Jahr 1920 am gleichen Abend in Hamburg und Köln auf die Bühne gebracht war ein Riesenerfolg; die Oper gehört zu den populärsten Werken der 20er-Jahre und wurde weltweit gefeiert. Die zwischen Realität und Wahntraum springende Handlung mit ihrer morbiden Grundstimmung mag den Zeitgeist getroffen haben; das raffiniert-hypertrophe Klangbild, das den erfolgreichen Filmkomponisten, der Korngold nach seiner erzwungenen Emigration in Hollywood werden sollte, vorwegnimmt, trug seinen Teil dazu bei. Und den Aufschwung des (doch recht simpel gebauten) Strophenliedes Glück, das mir verblieb hat wohl jeder Theaterbesucher nach der Aufführung noch im Ohr auch das ein Erfolgsfaktor. Schon in den späten 20er-Jahren aber verblasste der Erfolg; Korngold als spätes Kind der Romantik wurde unzeitgemäß. Wiederbelebungsversuche hat es nach dem zweiten Weltkrieg mehrfach gegeben; aber ohne dauerhaften Erfolg so ist Die tote Stadt zum hin und wieder gespielten Geheimtipp unter Kennern geworden. In Hagen fand die letzte Aufführung 1928 statt. Die Wiederaufführung (anlässlich des 50. Todestags des Komponisten im November) ist für ein kleines Haus nicht nur wegen der anspruchsvollen Hauptrollen ein außerordentlich ambitioniertes Projekt. Der Tenor als alter Mann: Paul (Dario Walendowski)
Zunächst gilt es, die beiden anspruchsvollen Hauptrollen adäquat zu besetzen in Hagen versucht man das mit unterschiedlichem Erfolg mit hauseigenen Kräften. Tenor Dario Walendowski in der Rolle des Paul kann, mit erheblichem Kraftaufwand, ein eindrucksvolles und durchaus klangschönes Forte stemmen, aber im Piano und den Mezzo-Lautstärken ist die Stimme brüchig und verliert an Klangfarbe. So wird der Sänger der Musik nur ansatzweise gerecht. Ausgezeichnet ist dagegen die Doppelrolle der Marie und Marietta mit Dagmar Hesse besetzt. Die Sängerin (die in Hagen schon in Partien wie der Marschallin im Rosenkavalier oder Senta im Fliegenden Holländer überzeugt hat) verfügt über nicht sehr großen, aber auch in den dramatischen Passagen leuchtenden und tragfähigen Sopran, der stets kontrolliert geführt ist. Die kleinen Noten gelingen ihr ebenso differenziert wie die großen Aufschwünge, die nie forciert, sondern immer sauber ausgesungen werden. Diva von Alfred Hitchcocks Gnaden: Marietta (Dagmar Hesse)
Klangbeispiel:
"Ich will den Traum der Wiederkehr vertiefen" (1. Bild) - Paul (Dario Walendowski)
Klangbeispiel:
"Glück, das mir verblieb" (1. Bild) - Marietta (Dagmar Hesse)
Klangbeispiel:
"Da bist du ja, Marie" (1. Bild) - Paul (Dario Walendowski), Marie (Dagmar Hesse)
Überwiegend gut sind die übrigen Rollen besetzt. Gleich mit zwei jungen, vielversprechenden Baritonen kann das Theater Hagen aufwarten: Frank Dolphin Wong gibt einen klangvollen, prägnant klaren und sachlichen Frank, Peter Schöne glänzt als Fritz mit einem unprätentiös und sauber gesungenen Harlekinlied. Liane Keegans wabernder Mezzosopran klingt in der Rolle der Haushälterin Brigitta recht angestrengt. Stefania Dovhan (Juliette) und Marilyn Bennett (Lucienne) brillieren mit leuchtenden Stimmen in einem guten Ensemble, das von Richard van Gemert (Graf Albert) und Jefferey Krueger (Victorin) solide komplettiert wird. Dem insgesamt guten Philharmonischen Orchester Hagen hört man unter der Leitung von Chefdirigent Antony Hermus die Schwierigkeiten mit der komplexen Partitur an. Die Feinabstimmung zwischen Orchestergraben und Bühne funktioniert nicht immer, und auch die Lautstärkenbalance zwischen Sängern und dem großen Orchester müsste noch ausgewogener werden. Überzeugende Passagen, in denen das an Richard Strauss geschulte Klangbild gut umgesetzt wird, stehen neben recht pauschal musizierten Abschnitten. Ein Teil der genannten Probleme mag der Premierennervosität geschuldet sein; in den weiteren Aufführungen sollte sich manches, was jetzt noch unausgegoren wirkt, setzen. Im "Tempel des Gewesenen": Paul (Dario Walendowski) und Marietta (Dagmar Hesse)
Die effektsicheren und mitreißenden Tonsprache der Toten Stadt steht ein sprachlich wie dramaturgisch unbeholfenes Libretto gegenüber, dass vom Atmosphärischen lebt. Weite Teile der Handlung erlebt der Held Paul, der zurückgezogen seine tote Frau Marie wie eine Heilige verehrt, im Traum; dort tötet er Maries Doppelgängerin Marietta, was ihn am Ende von seiner Depression heilt. Viel mehr als eine Bebilderung lässt der reißerische, aber in seiner Eindeutigkeit plakative Stoff dem Regisseur nicht übrig (Korngolds Partitur ist nicht zu Unrecht vorgehalten worden, bereits Filmmusik zu sein). Die Parallelen zu Alfred Hitchcocks 1958 gedrehtem Film Vertigo stechen ins Auge (auch dort geht es um die vermeintliche Wiederkehr einer Verstorbenen), und daran knüpft Regisseur Paul Esterhazy an. Er konstruiert aus den Motiven der handlung eine Krimigeschichte, angelehnt an den Stil des großen Filmemachers und verbunden mit einer Reihe von Zitaten aus dessen Filmen. Marie erscheint dabei wie das Ebenbild Kim Novaks, die in Vertigo die Hauptrolle spielte. Aus dem Reich der Toten grüßt Maries Bild; Marietta (Dagmar Hesse) erscheint als Doppelgängerin der Verstorbenen
Die Handlung ist vollständig auf ein abgeschlossenes Zimmer von klaustrophobischer Enge beschränkt. Die Drehbühne fährt in Pendelbewegungen hin und her, was einerseits ein Gefühl von schwankendem Boden vermittelt, andererseits die Perspektive wie bei einem Kameraschwenk verändert allerdings nutzt sich der (in seiner Wirkung ohnehin begrenzte) Effekt bald ab. Paul ist als sehr alter Mann mit zittrigen Bewegungen dargestellt; das Geschehen läuft teilweise in Rückblenden vor seinem inneren Auge ab. Auch wenn Esterhazy im Programmheft hervorhebt, kaum in die Substanz des Librettos eingegriffen zu haben, ist hier eine neue Geschichte erzählt, zwar schlüssig, aber nur am Rande erhellend für die Tote Stadt. Vor allem ist das schwierige Verhältnis zur Musik dagegen einzuwenden: Musikalisch hat Korngold den Paul als strahlenden, kraftvollen Tenor in den besten Jahren gezeichnet, und das verkehrt Esterhazy musikunlogisch ins Gegenteil. Die Musik muss man in dieser filmhaften Inszenierung tatsächlich als Filmmusik nehmen ein Nachteil muss das nicht sein. Insgesamt aber wirkt diese Produktion mehr als Kommentar zu Alfred Hitchcock, an dem Esterhazy mehr interessiert scheint als an Korngold, denn als Auseinandersetzung mit der Toten Stadt. Obwohl nicht uninteressant und mit einigen starken Momenten unterstreicht die Inszenierung die dramaturgischen Schwächen der Toten Stadt.
Das Theater Hagen schlägt sich achtbar, stößt aber auch an seine Grenzen. Die Inszenierung schweift ab - vielleicht nutzt man die Zeit doch besser, um einen Hitchcock-Klassiker anzuschauen? - und zeigt damit unfreiwillig die dramaturgischen Schwächen der Oper. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Ausstattung
Choreinstudierung
Dramaturgie
Opernchor und Kinderchor Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Paul
Marietta / Marie
Brigitta
Frank
Fritz
Juliette
Johanna Krumin
Lucienne
Graf Albert
Victorin / Gaston
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