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Familienschicksal in politisch schwierigen Zeiten
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes
Es gibt wohl keine andere Oper Giuseppe Verdis, die ein so charakteristisches Klangbild hat wie Simon Boccanegra. Die düsteren Farben prägen das Werk stärker als alles andere, und in dieser Hinsicht ist diese wohl die modernste Oper Verdis, hat auch die meisten Bezugspunkte zum zeitgleich entwickelten Konzept des Musikdramas bei Wagners. Das breite Publikum allerdings hat die melodienseligeren La Traviata und Der Troubador dem Simon Boccanegra vorgezogen. Auch die Handlung macht es dem Zuschauer nicht ganz einfach, denn der historische Konflikt zwischen Adel und Bürgertum wird an vielen Stellen angerissen, bleibt aber oft unverständlich. Im Zentrum steht eine komplizierte Familiengeschichte zwischen den Fronten der dem Bürgertum entstammende Simon Boccanegra hatte einst ein Verhältnis mit der Tochter seines politischen Gegners, des Adeligen Fiesco, aus dem die (zunächst verschollene) Tochter Maria (aufgewachsen unter dem Namen Amalia) hervorging (davon handelt der umfangreiche Prolog, der 25 Jahre vor Einsetzen der Haupthandlung spielt), die in der Oper ihrerseits wiederum ein Liebesverhältnis zu dem Adeligen Gabriele Adorno eingeht. Die in Gelsenkirchen gespielte Urfassung von 1857 schwankt ziemlich unentschieden zwischen Familientragödie und politischem Drama (1881 hat Verdi das Werk überarbeitet, wobei die politischen Tendenzen deutlich mehr Gewicht erhalten haben). Da bedarf es einerseits einer straffen Regie, andererseits eines erstklassigen Sängerensembles, die das Fehlen von Ohrwürmern kompensiert. Politische Rivalen, vereint in der Sorge um die verschollene Tochter respektive Enkelin: Simon Boccanegra (mit Bär: Jee-Hyun Kim) und Jacobo Fiesco (Nicolai Karnolsky)
Regisseurin Gabriele Rech lässt die Oper in einem weitgehend abstrakten Raum spielen, dessen Begrenzungen entfernt an NS-Architektur erinnert (Bühne: Stefanie Pasterkamp). Die düstere Grundstimmung ist darin gut eingefangen. Der Boden ist in quadratische Felder unterteilt, die sich an Seilen, die von der Decke hängen, nach oben ziehen lassen das gibt dem Raum ein strenges, mechanisches Gepräge und schafft vereinzelt starke Bildwirkungen, etwa wenn am Ende des Prologs Boccanegra und sein politischer Rivale Fiesco getrennt auf hochgefahrenen Kuben sitzen durch ihren Machtanspruch isolierte und dadurch aufeinander fixierte Wesen. Doch die Regie verwässert bald, zeigt keine durchgehend erkennbare Linie. Zwar wird Boccanegras Gewaltherrschaft angedeutet durch (offenbar willkürliche) Erschießungen im Hintergrund, aber das ist zu wenig (auch weil nicht deutlich wird, was genau hier geschieht), der schwelende Bürgerkriegszustand wird nie konkret greifbar. Auf der anderen Seite ist die Personenregie viel zu ungenau, weshalb die Charaktere kaum Profil gewinnen. Selbst bei Boccanegras Tod bleiben die Anwesenden recht unbeteiligt. Aber wenn die Regisseurin die großen Gefühle ausblenden wollte (was nicht recht deutlich wird), hätte die Regie viel pointierter sein müssen. So plätschert die Inszenierung trotz des an sich überzeugenden Ansatzes über weite Strecken ziemlich belanglos vor sich hin. Von bösen und guten Männern umgarnt: Amelia (Hrachuhi Bassénz) in den Armen Paolo Albianis (Günter Papendell), derweil ihr Verlobter Gabriele Adorno (Christopher Lincoln) am Boden ist
Das Musiktheater im Revier hat sich in den letzten Jahren mit einem weiten Repertoire, oft mit selten gespielten Werken, profiliert und besitzt ein außerordentlich vielseitiges Ensemble, mit dem auch Simon Boccanegra komplett ohne Gäste solide besetzt werden kann auch wenn man sich insgesamt ein wenig mehr Glanz für das (für Verdi-Verhältnisse vergleichsweise spröde) Stück wünschen würde. Jee-Hyun Kim gestaltet den Boccanegra mit großem, sonorem Bass, dessen mitunter leicht brüchiger Klang gut zur Partie des an Gift sterbenden Dogen passt. Er neigt allerdings zu etwas ungenauer Artikulation und Tongebung, und wenn er dann noch bewusst kleine Schluchzer einbaut, bekommt die Figur ungewollt etwas Weinerliches. Nicolai Karnolsky singt einen schlanken und klaren Jacobo Fiesco, sauber und geradlinig; man vermisst ein wenig von der Würde und Distanz des Adeligen Karnolsky gibt eher den leitenden Angestellten. Christopher Lincoln besitzt einen zwar nicht unbedingt großen, aber substanzvollen Tenor mit sicherer Höhe, allerdings wenig Glanz und Strahlkraft. Das ergibt einen ordentlichen Gabriele Adorno von gezügeltem Temperament; sein Gewissenszwiespalt zwischen den beiden Bürgerkriegsparteien bleibt freilich musikalisch auf der Strecke. Auch Günter Papendell als Bösewicht Paolo singt solide, wobei der Stimme eine charakteristische Farbe fehlt, die den Schurken von den anderen abgrenzt. Joachim Gabriel Maaß ist ein souveräner Pietro. An die kleine und lyrische Stimme von Hrachuhi Bassénz in der Rolle der Amalia muss man sich erst gewöhnen Verdi hat sich da sicher ein stimmlich anderes Kaliber vorgestellt. Mit ihrer interessanten Klangfarbe, verbunden mit einem wunderbaren, tragfähigen Piano und Pianissimo, und mit hoher Gesangskultur kann sie vieles wettmachen. Der Doge stirbt im Kreis der Familie: Simon Boccanegra (Jee-Hyun Kim) auf den Knien Amelias (Hrachuhi Bassénz); Gabriele Adorno (Christopher Lincoln, hinten links) und Jacobo Fiesco (Nicolai Karnolsky) schauen ein wenig unbeteiligt zu.
An Stelle von GMD Samuel Bächli, der die Produktion musikalisch einstudiert hat, dirigierte Kapellmeister Kai Tietje die hier besprochene Aufführung. Zwar wurden die düsteren Klangfarben (vor allem im tiefen Blech) schön hervorgehoben, aber insgesamt blieb die Interpretation an der Oberfläche, lenkte den Focus auf einzelne Stellen, ohne diese in einen zwingenden Zusammenhang zu stellen. Der Klang der Neuen Philharmonie Westfalen müsste homogener sein, weniger plakativ die interessante Instrumentation aufblitzen lassen als vielmehr diese als wesentliches Moment dieser Partitur hörbar machen. Heikel war das Zusammenspiel mit dem Chor, der seine Tempi recht frei wählte. Insgesamt klang vieles mehr routiniert als inspiriert Repertoireschicksal?
Eine Produktion, die ambivalente Eindrücke hinterlässt: Einerseits ist es mehr als achtbar, wie das Musiktheater im Revier den Brocken Simon Boccanegra aus eigenen Kräften stemmt; auf der anderen Seite ist für das geniale, aber schwierige Stück eine solide Sänger- und durchwachsene Regieleistung zu wenig. So bleibt manches, was Verdi einfordert, uneingelöst. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten*Besetzung der rezensierten AufführungSimon Boccanegra Jee-Hyun Kim
Maria, genannt Amelia
Jacopo Fiesco
Gabriele Adorno
Paolo Albiani
Pietro
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