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Musiktheater
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Il Furioso all'isola di San Domingo
Der Wahnsinnige von der Insel San Domingo


Oper in zwei Akten von Gaetano Donizetti


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen
am 2. September 2006


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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Donizetti fliegt über das Kuckucksnest

Von Peter Bilsing / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


Vintery, mintery, cutery, corn
apple seed and apple thorn;
wire, briar, limber lock
three geese in a flock.
One flew east, and one flew west
and one flew over the cuckoo's nest.
(Kinderreim)

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Mal wieder hat das Team vom MiR eine echte und lohnenswerte Opernrarität ausgegraben und musikalisch restauriert brilliant in Szene gesetzt - quasi eine Deutsche Erstaufführung, denn die letzte Aufführung in Deutschland schreibt man dem Jahr 1838 in Berlin zu.

"Der Wahnsinnige von der Insel San Domingo" ist als Meisterwerk des großen Komponisten Donizetti also hier und heute praktisch unbekannt. Die wenigen Aufführungen in den letzten 50 Jahren (dokumentiert u.a. in Siena 1958 und in Spoleto 1967) lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen und haben das Werk, dessen Story auf einer Episode aus Cervantes "Don Quijote" beruht, nicht vor dem Vergessen bewahren können. Das klingt umso erstaunlicher, als das dieses Werk nach seiner Uraufführung 1833 und dem damit verbundenen großen Erfolgen sich in den folgenden Jahrzehnten als eine der meistgespielten Opern des Maestros etabliert hatte.

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Die Handlung ist so kurz wie auf den ersten Blick sinnlos: Cardenio, von seiner Frau Eleonora betrogen und enttäuscht, flüchtet sich in den Wahnsinn und damit in die Irrenanstalt Isola di San Domingo. Vergeblich bittet die ehemals untreue Gattin um Vergebung. Auch der nicht uneigennützige Versuch seines Bruders Cardenio scheitert am allüberall vorhandenen Wahnsinn. Nachdem ihnen zwei Pistolen in die Hände fallen (fragen Sie mich nicht warum!) versuchen die Eheleute sich schlussendlich wechselseitig zu erschießen......das Ende naht, wird aber hier nicht verraten.

Diese wirre Geschichte nun auch noch historisch zu inszenieren, wäre in der Tat der letzte Sargnagel für eine - abgesehen von der Handlung - doch musikalisch wunderbare Oper gewesen. So ist es geradezu als Großtat zu bewerten, dass Hausregisseur Andreas Baesler mal wieder eine brillante Idee hatte und diese auch logisch, sinnvoll und überzeugend dem Werk überstülpte.

Wer den grandiosen mit fünf Oscars und unzähligen Filmpreisen überschütteten Film (er zählt unter nicht wenigen Filmkennern zu den 100 besten Filmen des letzten Jahrhunderts) kennt, wird sich die Augen reiben. Aber auch für Opernfreunde ohne dieses Hintergrundwissen bietet Baeslers fulminantes Regiekonzept ein spannungsvolles Opernerlebnis der besonderen Art. Diese Inszenierung ist ein exemplarisches Plädoyer für zeitgemäßes Regietheater, denn hier stimmt alles und ist alles stimmig. Baeslers Team zaubert ein Ambiente auf die Theaterbühne, das rundherum atemberaubend ist. Seien es die erschreckend realistischen Kostüme und Medizinal-Apercus von Ulli Kremer, oder die praktisch real und klinisch sauber vorhandenen Anstalts- und Waschräume (Bühne: Harald Thor) dieser quasi direkt aus dem Film live entsprungen zu scheinenden Irrenanstalt San Domingo, alles ist so perfekt, stellenweise zynisch und doch mitreißend arrangiert, dass es den Zuschauer geradezu in die Geschichte hineinsaugt. Und wie eindrucksvoll und von bestechender, geradezu Hollywood-Qualität hat die Maske (pars pro toto für das Team sei hier der Chefmaskenbildner Petr Pavlas benannt) gearbeitet.

Vergrößerung in neuem Fenster "Einer flog über das Kuckucksnest."

Fast noch stärker als bei den Sängern der Hauptpartien wurde an den durchweg solistisch agierenden Chormitgliedern optisch und charakterlich gezaubert, die als spleenige Anstaltsinsassen derartig überzeugend auftreten, dass am Ende für sie ein Beifallssturm ohnegleichen tobte - zurecht. Und egal ob sie im Ensemble glänzten, oder individuell (jeder zelebrierte ungeschminkt seinen persönlichen "Dachschaden") von der Badewannenorgie bis hin zum sezierenden und intertaktilen Handlungsbegleiter eines Chors im antiken Sinne - das war in der Tat furios! Auch der gesangliche Part wurde von Chorleiter Nandor Ronay perfekt vorbereitet. In diesem Sinne lohnt es sich (und gilt als mein persönlicher Tipp!) unbedingt schon 15 Minuten vor Vorstellungsbeginn die Plätze einzunehmen.... zur psychiatrischen Einstimmung.

Wie in den letzten Jahren gewohnt wird dem vom Haus vorgegebenen Anspruch der "besonderen Belcanto-Pflege" in allen Bereichen höchst zufriedenstellend entsprochen und es ist wirklich ein Glücksfall, wie hier über die Jahre ein echtes Ensemble derartig qualitativer Sängerdarsteller gewachsen ist; so hat sich das MIR zu einem Theater entwickelt, welches viel größeren internationale Opernhäusern mittlerweile durchaus mehr als nur das Wasser reichen kann.
Jee-Hyun Kim brilliert als Cardenio in seiner bis dato besten Rolle. Wer ihn bisher nur als gelegentlich etwas bewegungsstatischen, aber großvolumigen Bass-Bariton kannte, ist heuer verblüfft über seine empfindsamen, lyrisch-belkantischen Piano-Bögen. Sowohl den körperlichen, als auch gesangsdramatischen Aspekten dieser tollen Rolle wird er mit Haut und Haaren in jeder Szene gerecht; für mich hier und heute der Jack Nicholson unserer Opernbühne.

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Die junge Hrachui Bassenz (Eleonora) zeigt, daß sie auch nach ihrer letztjährigen großartigen Zaira-Interpretation weiteren Anforderungen großer Belkanto-Partien nicht nur gewachsen ist, sondern diese auch emotional überzeugend und stimmsicher über die Bühne bringen kann; hoch erwartungsvoll blicken wir in die Zukunft.
Sowohl Sergio Blazquez (Ferando, der Bruder Cardenios) als auch Nicolai Karnolsky (Anstaltsarzt Bartolomeo) komplettierten eine in jeder Beziehung fehlerlose Ensembleleistung und waren weitere Garanten für perfekten Donizetti.
Mit der Verpflichtung des Neuzugang Melih Teprethmez (Kaidama) hat Intendant Theiler ein geschicktes Händchen gezeigt; einen besseren Einstand konnte der sich geradezu artistisch bewegende und agierende Sängerdarsteller kaum leisten. Da freut man sich auf die weiteren Produktionen.

Die musikalische Leitung von Cosima Sophia Osthoff ließ das Herz aller Donizetti-Freunde höher schlagen; mit konzentrierter Empathie, feinfühliger Differenziertheit und dynamisch schwungvollem Feuer leitete sie die Neue Philharmonie Westfalen durch einen insgesamt bezaubernden Opernabend, an dem es wirklich nichts auszusetzen gab.

Das MIR zeitigt hier nicht nur den Stand der Dinge dessen, was ein mit marginalen Mitteln ausgestattetes mittleres Stadttheater in diesem Lande an großartiger und lebendig zeitgemäßer Opernpräsentation zu leisten im Stande ist, sondern beweist auch mal wieder, dass die alte Tante Oper eben nicht dem Ende zueilt (wie anderen Ortes), sondern so lebendig und fröhlich ist, wie das Leben selbst - spielt es sich auch in einer Irrenanstalt ab.


FAZIT

Oper kann kaum schöner sein: 5 Sterne / Insbesondere für Donizetti-Fans sollte sich keine Anreise als zu weit gestalten! Wann gibt es diese Oper noch einmal zu sehen?


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Cosima Sophia Osthoff

Inszenierung
Andreas Baesler

Bühne
Harald Thor

Kostüme
Ulli Kremer

Chor
Nandor Ronay

Dramaturgie
Johann Casimir Eule



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Männerchor des
Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

Cardenio
Jee-Hyun Kim

Eleonora
Hrachuhí Bassénz

Fernando
Sergio Blazquez

Bartolomeo
Nicolai Karnolsky

Marcella
Deanne Wells

Kaidamá
Melih Tepretmez



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Da capo al Fine

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