Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Der Bey möchte fernsehen
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Matthias Jung Der Bey möchte fernsehen. Während seine verschleierte Gattin ihn mit orientalischen Genüssen wie Wasserpfeife verwöhnen möchte, zappt er sich durch die westeuropäischen TV-Kanäle. Dort findet er, was ihm privat derzeit fehlt: Eine Italienerin soll her, und seine bärtige Mudschaheddin-Garde, bis an die Zähne bewaffnet, soll sie ihm auftreiben. Andreas Baesler inszeniert Rossinis ohnehin bis an den Rand des Irrsinns überdrehte Italienerin in Algier als anspielungsreiche Gegenwartsfarce, keineswegs politisch korrekt, wie das Essener Theater bereits auf seiner Homepage andeutet. Mustafa ist eine (allerdings ausgesprochen harmlose) Karikatur selbstverliebter orientalischer Potentaten vom Schlage Gaddafis. Sein Palast wird kurzerhand umgedeutet in die Empfangshalle eines Flughafens mit allen Verlockungen westlicher Konsumwelt, und Gefangene macht man, in dem man eine komplette Flugzeugladung an Touristen bei der Einreise verhaftet. Eine Italienerin in Algier: Isabella (Ann Hallenberg) verdreht den Männern den Kopf
Baeslers Regie beschert einen flotten Theaterabend mit sorgfältiger Personenregie, bleibt aber insgesamt recht harmlos. Der angekündigte Clash der Kulturen, der in der Oper nicht ohne tagesaktuelle Brisanz angelegt ist, wird trotz der Modernisierungsansätze eher nivelliert als unterstrichen. Der Regie fehlt der Biss und der Mut zur wirklichen Provokation. Die unterhaltsamsten Momente (von denen es eine Reihe gibt) sind meist Einfälle, die in jeder konventionellen Inszenierung ihren Platz fänden: Der Männerchor, der bei jeder Bewegung Isabellas fast in Ohnmacht fällt, oder ein formidabler Striptease als Schattenspiel. Im Finale trägt der Herrenchor Kochmützen in den italienischen Landesfarben und klappert rhythmisch mit dem Essbesteck eine hübsche Hommage an den erfolgreich kochenden Komponisten Rossini, aber ohne interkulturellen Bezug. So bleibt es bei einer unterhaltsamen, handwerklich sorgfältig gearbeiteten Inszenierung mit gelungenen Pointen aber eben auch nicht mehr. Lindoro (Mario Zeffiri), Lieblingssklave Mustafás und Geliebter Isabellas, schaut bei Putzarbeiten gerne (West-)Fernsehen.
Ein wahres Feuerwerk wird im Orchestergraben von den Essener Philharmonikern, dirigiert vom umsichtigen Kapellmeister Pietro Rizzo, gezündet. Schon in der Ouvertüre wird die Marschrichtung vorgegeben: Virtuosität, Tempo, Brillanz und Präzision sind gleichermaßen hoch. Das hebt das Mechanische dieser Musik hervor, die mit der Genauigkeit eines Uhrwerks abläuft, was gut zu dieser oft atemlosen Partitur passt. Die phänomenale Disziplin im Tutti bremst aber keineswegs die freie Entfaltung der Musiker in den solistischen und konzertierenden Passagen. Es gibt etliche rhythmisch wunderbar freie Instrumentalsoli, die Rizzo beweglich und anpassungsfähig dirigiert, um dann punktgenau im nächsten Tutti-Akkord die Orchestermaschinerie mit viel Spielwitz wieder anzuwerfen. So dämlich können auch nur Männer sein: Lindoro (Mario Zeffiri, l.), Mustafa (Diogenes Randes) und Taddeo (Renato Girolami) verleihen sich gegenseitig hohe Ämter.
Klangbeispiel:
Ouvertüre
Das vorzügliche Sängerensemble besticht durch große Homogenität und ist bestens aufeinander abgestimmt ohne dass die Sänger dadurch ihre musikalische Individualität preisgeben. Ann Hallenberg singt die Isabella mit großer Virtuosität. Ihr tragfähiger Sopran ist ganz leicht eingedunkelt, was der Stimme bei aller Beweglichkeit die nötige Würde verleiht, um als "Italienerin in Algier" die Männerwelt zu beherrschen. Vom Regisseur geschickt in Szene gesetzt beherrscht die Sängerin mit großer Bühnenpräsenz das Geschehen. Schön kontrastiert wird das durch die zierliche Christina Clark als verstoßene Gattin Elvira, die mit sehr leichtem, klaren Sopran vor allem den Ensembles leuchtende Farbe verleiht. Marie-Helen Joël gibt die Zulma, Elviras Vertraute, als durch und durch westeuropäisch geprägte Frau mit warmem, tragfähigem Mezzosopran. Happy-End: Mit dem Ehrentitel "Pappataci" belehnt, kümmert sich Mustafá (Diogenes randes) nur noch um's (italienische) Essen. Das bietet der verstoßenen gattin Elvira (Christina Clark) neue Chancen.
Klangbeispiel:
Schluss der Cavatine "Cruda sortel" (3. Aufzug) - Ann Hallenberg (Isabella)
Klangbeispiel:
"Pria di dividerci da voi" (Finale des 1. Akts) - Ensemble
Mario Zeffiri verfügt über einen in allen Registern angenehm timbrierten, in den Koloraturen beweglichen und geschmeidigen und dennoch kraftvollen Tenor; ganz kleine Abstriche kann man bei den Spitzentönen, die manchmal eng werden, einräumen. Diogenes Randes neigt in seinem Bemühen, dem Mustafá auch musikalisch komödiantisches Format zu verleihen, ein wenig dazu, die Töne zu verschlucken, vielleicht auch, weil sein eleganter, agiler und leicht ansprechender Bariton die Rolle eine Spur zu schlank ist. Renato Girolamo als Isabellas (unerhörter) Liebhaber Taddeo ein versierter Bassbuffo, routiniert höhensicher und mit viel Witz. Günter Kiefer verleiht dem Korsarenhauptmann Haly mit schlankem, aber zupackendem Bariton musikalisch mehr Profil, als ihm die Inszenierung szenisch einräumt. Der von Alexander Eberle einstudierte Herrenchor singt engagiert und präzise.
Musikalisch grandiose und unbedingt hörenswerte Produktion, schon wegen des exzellenten Orchesters. Die solide Regie reizt trotz einiger hübscher Pointen das Potenzial dieser abstrusen Musikkomödie szenisch nicht aus. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Mustafa
Elvira
Zulima
Haly
Lindoro
Isabella
Taddeo
|
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de