Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Jesus Christ Superstar

Rock-Oper von Tim Rice
Musik von Andrew Lloyd Webber

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden (ohne Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 9. September 2006


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Superstar vergebens gesucht

Von Peter Bilsing / Fotos von Matthias Jung

Die Holy Bible ist wieder in. La Hola Jesus-Christ-Superstar; landauf landab! Nach Mel Gibsons martialischem Splatter-Film (der kurioser Weise die Ära einer neuen Folterfilmreihe in unseren Kinos gebar), einem gigantischen Katholikentag-Zirkus, dem Da-Vinci-Kappes und Madonnas jüngsten hoch werbewirksamen Kruzifix-Eskapaden passt die Wiedererweckung des Rock-Opus Jesus Christ Superstar in Essen prächtig zum aktuellen Papstbesuch in Deutschland. Wir sind nicht nur Papst, sondern in jedem von uns steckt auch ein kleiner Jesus, wenngleich der Begriff „Superstar“ nach RTL-Umdeutung mittlerweile doch eher das Gegenteil suggeriert.

Vergrößerung in neuem Fenster Ein neuer Volksheld namens Jesus wird gefeiert

Doch zeigt gerade die Rock & Pop Musical-Geschichte, dass es echte Superstar tatsächlich einmal gab; auch nach und jenseits der großen Broadway-Ära dieses in den 60er Jahren beinah schon als ausgestorben geltenden Genres. Beginnen wir mit Andrew Lloyd Webber (seit 1992 Sir Andrew!), der bereits im in kindlicher Blüte (mit 9 Jahren) sein erstes größeres Werk, eine Suite für Kindertheater, nicht nur zu Papier, sondern auch erfolgreich zu Gehör brachte. Bereits im Jahre 1967 reüssierte er mit „Joseph And The Amazing Technicolor Dreamcoat“ (Deutsche Version u.a. auch in Essen 1997) den Geniestreich einer neuartigen Form von Rock-Opera. Zusammen mit dem Ex-EMI-Musikagenten Tim Rice (Text) war damit eines der erfolgreichsten Musical-Produzenten-Teams des 20.Jahrhunderts geboren. Und gleich ihrem zweites Stück Jesus Christ Superstar (zwar als „Rockoper“ apostrophiert, aber dennoch dem Genre Musical zuzurechnen) gelang 1971 ein Siegeszug rund um die Welt und machte die beiden nicht nur reich, sondern auch zu echten Superstars.

Nicht unwesentlichen Anteil daran hatte aber auch eine clevere Vermarktungsstrategie: Schon 1970 war der Grundstein gelegt worden, und zwar als Millionenseller der Plattenfirma MCA-Records - eines der erfolgreichsten Alben der Schallplattengeschichte. Die Besetzung dieses Doppelalbums mit echten „Superstars“ ihrer Zeit (u.a. Deep-Purple-Sänger Ian Gilian als Jesus, Murray Head als Judas und Yvonne Eliman als Maria) schlug ein wie eine Bombe und ereichte Beatles-Verkaufszahlen. Selbst die völlig missglückte Kinoverfilmung von Norman Jewison (1973) war noch ein Millionenerfolg in der Kinoszene.

Vergrößerung in neuem Fenster

Jesus (Henrik Wagner) im Devotionalien-Supermarkt

Mit Evita (1978), Cats (1981), Starlight Express (1984) bzw. dem Phantom der Oper (1986) und unzähligen weiteren Produktionen mehrte das erfolgreiche Duo zwar seinen Ruhm und Reichtum (und zählte bald neben ABBA zu den erfolgreichsten Musikproduzenten aller Zeiten), aber die musikalische Qualität und Originalität sank leider dem Zeitgeist entsprechend beständig. Produktionen der letzten Jahre (man ging künstlerisch dann getrennte Wege) erschöpften sich in Schmarrn wie z. B. „Aida“, 1998 (Tim Rice) oder Edelkitsch wie „The woman in white“, 2004 (A. L. Webber).

Was macht nun die Einzigartigkeit von Jesus Christ Superstar aus?

Es ist die ungeheure musikalische Qualität des Werks. Nicht nur gibt es eine richtige Ouvertüre, sondern auch ein fast klassisches Nachspiel, welche den großen Bogen dieser verkürzten Jesus-Geschichte, in der jede musikalische Nummer einen anderen Tag darstellt, wunderbar umschließt. So hat jede Nummer auch einen eigenen musikalischen Stil, der sich natürlich aus dem Rock- und Popklängen der späten 60er Jahre nährt. Ob Heavy-Metall-Elemente á la Uriah Heep, Ragtime-Anklänge, Balladen, Soul und Blues, Funk und Pop, Reminiszenzen an die klassische Musical-Stepnummer der 50er oder sogar modernistisch klassische Elemente (man achte besonders auf die Ouvertüre!) von Bartok, Strawinsky oder Ligeti, alles ist in einer nie wieder später erreichten Kongenialität und Originalität einkomponiert und betextet; jedes Stück ist eigentlich ein Rockjuwel der Gattung „Superoldie“, durchgängig geprägt von hoher Dramatik, Melodiösität, Musizierfreude und einem beständigen Groove.

Vergrößerung in neuem Fenster Herodes (Rüdiger Frank) und Jesus (Henrik Wagner) in der Batman-Bar

Leider findet man von diesem Groove in der Essener Aalto-Produktion, zumindest auf der musikalischen Seite, recht wenig vor. Schuld daran trägt weniger die musikalische Leitung von Heribert Feckler, einem in diesem Genre ausgewiesene und erfahrenem Dirigenten und Einrichter, als vielmehr die akustische Umsetzung über die (lt. Programmheft) „eigens installierte Tonanlage“. Der ebenda weiter beschworene „Breitwandsound“ (welch unsinniges und unpassendes Wort!) bietet auch nicht ansatzweise das erforderliche „durchsichtige und druckvolle“ Klangbild, geschweige denn haben die „großorchestralen Passagen“ die nötige „Wucht und Größe“.
Alles erklingt in einem undifferenzierten monophonen Klangbrei, gedämpft, dynamik- und farblos, zentriert wie aus dem großen Lautsprecher eines alten Dampfradios der 50er Jahre. Welch eine Enttäuschung! Ein wenig mehr musikhistorischer Feinschliff im Bereich der elektronischen Klänge wäre darüber hinaus wünschenswert (leider klingt manches doch arg nach Klaus Wunderlichs „Happy Organ“!); immerhin gibt es heuer genügend Software, die den Original Moog- und Hammondorgelklang auch auf moderner Maschinerie perfekt wiederherstellen könnte.

Gleiches gilt für die mikroportverstärkte Sänger- und Choristen-Schar. Durch die ungenügende bzw. schlecht abgestimmte Räumlichkeit und Differenzierung der Mischpultarbeit ist häufig der Sänger kaum zu orten, tönt alles doch aus allen Lautsprechern gleichstark (dies gilt zumindest für den äußeren linken Teil des Aalto-Theaters, wo der Rezensent saß). So etwas schmälert den echten Musikgenuss doch sehr und erlaubt kaum (oder nur sehr eingeschränkt) eine differenzierte und ehrliche Würdigung der Solistenleistung, die m. E. so kaum über ein „brav gesungen“ herausgeht, wobei ich als Ausnahme Rüdiger Frank (Herodes) und Erin Caves (Pilatus) doch für ihre prononcierte und akzentuierte Sängerdarstellung loben muss. Sie bieten genau die musikalische Rolleninterpretation, die sich ein Fan dieser Rockoper eigentlich von jedem Solisten erwartet hätte.

Vergrößerung in neuem Fenster

Trostloses Finale in Oberammergau: Herr Judas (Serkan Kaya) liest Herrn Jesus (Henrik Wagner) aus der Bibel vor.

Regisseur Michael Schulz leistet viel, aber nicht unbedingt Beeindruckendes. Und so suggeriert der unentwegte Einsatz der Bühnentechnik und waberlohender Bodennebel auch nicht mehr als ein buntes Kaleidoskop beliebiger und austauschbarer Allerweltsbilder; beständig und für meinen Geschmack allzu plakativ durchsetzt mit ikonographischen Elementen. Immerhin folgt das Bühnengeschehen aber durchweg adäquat dem „Atem und Rhythmus des Stücks“ und am Ende, nach dem peinlichen Besteigen eines riesigen Kreuzes durch einen Oberammergau-Jesus, zeigen sich sogar Ansätze eines gelungenen Regiebogens, wenn dieselben Menschen, die zur (eigentlich überflüssig!) bebilderten Ouvertüre bereits auftraten, wieder mal ratlos zurückbleiben. Oder war es nur ein unterhaltsames Märchen, was uns die beiden neuen Freunde und Allerweltmenschen Jesus & Judas (die mittlerweile Bibelsprüche zitierend und beinebaumelnd am Orchestergraben sitzen) da erzählt haben?


FAZIT

Im Unsisono der mittelmäßig bis hochlangweiligen und substanz- bis einfallslosen Musicalproduktionen unserer Tage immerhin ein Lichtblick. Wenn es noch gelingt, die technischen Mängel des Sounds und der Präsentation dem technischen Stand der Dinge heutiger Machbarkeit anzupassen, sogar noch empfehlenswert. So verkauft man dieses wunderbare und eigentlich musikalisch einmalige Opus ganz erheblich unter seinem tatsächlichen Wert. Daher vergibt der Kritiker nur drei Sterne von fünf möglichen.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Heribert Feckler

Inszenierung
Michael Schulz

Bühnenbild
Kathrin-Susann Brose

Kostüme
Klaus Bruns

Choreographie
James de Groot
Paul Kribbe

Choreinstudierung
Alexander Eberle



United Rock Orchestra

Statisterie, Opern- und Kinderchor
des Aalto-Theaters


Solisten

* Besetzung der Premiere

Judas
Serkan Kaya

Jesus
Henryk Wager

Simon
Kai Hüsgen

Petrus
Japheth Myers

Maria Magdalena
Valerie Scott

Kaiphas
Michael Haag

Hannas
Philip Ducloux
Luis Lay

Pontius Pilatus
* Erin Caves
Rainer Maria Röhr

Herodes
Rüdiger Frank


u.v.a.






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Essen (Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2006 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -