Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Wie eine Göttin im Brautkleid
Von Bernd Stopka / Fotos von Matthias Creutziger Nach Hans Pfitzners Bonmot ist Carl Maria von Weber auf die Welt gekommen, um den "Freischütz" zu komponieren. Er hat zwar nicht nur den "Freischütz" geschrieben, doch seine anderen Bühnenwerke haben sich nicht im Repertoire halten können, auch wenn sie immer mal wieder ausgegraben werden, man dann "aha" und "o ja" macht, das Ganze unvermeidlich "interessant" findet - dann aber doch wieder zur Opernspielplantagesordnung zurückkehrt. Der Text von Helmina von Chézy ist so oft und gern geschmäht worden, dass er besser zu sein scheint als sein Ruf. Die Musik der "Euryanthe", so fein sie gearbeitet ist, so zukunftsweisend und -wirkend sie sich auch darstellt, hinterlässt nicht wirklich nachhaltige Eindrücke. Ein intensiver Gesamteindruck entsteht aber dennoch, sobald in einer gelungenen Inszenierung Sängerdarsteller auf der Bühne stehen, die den ursprünglich recht plakativen Figuren Leben einhauchen. Derzeit ist dies in der Semperoper in Dresden zu erleben.
Wie eine Göttin im Brautkleid:
Bariton und Mezzo sind die Bösen, Tenor und Sopran sind die Guten. Das ist auf jeden Fall etwas Vertrautes. Um Intrige und Liebe, um Treue und Eifersucht geht es auch - aber dann wird es auch schon komplizierter. Die Geschichte in Kürze: Regisseurin Vera Nemirova verlegt die Geschichte für ihre Inszenierung von ca. 1100 in die Jetztzeit. Die angesprochenen Gefühle und Erwartungen, Hoffnungen und Schwächen sind zeitlos. Die inszenierte Ouvertüre zeigt die Vorbereitungen und die Vorfreude der Frauen: endlich Friede, endlich Männer, endlich Hochzeit, endlich schwanger! Doch die schmutzigen, verletzten Soldaten und die Damen in weißen Kostümen brauchen erst eine Zeit, um wieder etwas mit einander anfangen zu können. Der König, Adolar und Lysiart erscheinen als eine Art Troika (was ja selten gut geht), verteilen Orden und Krücken und lassen das Ganze live im Fernsehen übertragen - inklusive des Liebesliedes, das Adolar auf Euryanthe singt. Security-Leute mit Headsets tauchen im Laufe des Abends immer wieder auf und sorgen für Ordnung. Die Trauerkränze, die man für die Gefallenen auf dem Souffleurkasten niedergelegt hatte, werden im zweiten Bild zum Schmuck an Emmas Sarkophag. Im Hintergrund glitzert der Sternenhimmel. Euryanthe, ganz in schwarz, legt weiße Lilien nieder. Ganz klassisch, ganz romantisch. Eglantine verwickelt sie erst in ein hinterhältiges Gespräch, dann in ihre blutrote Stola. Während ihres fulminanten Rachegesangs reißt sie sich das schwarze Kleid vom Leib und steht dann im kleinen Roten da. Gottfried Pilz als Ausstatter hat eine leicht greifbare Farbensymbolik und elegante aktuelle Kostüme zum Gelingen dieser Produktion beigesteuert. Für seine auf das Wesentliche reduzierten Bühnenbilder nutzt er eindrucksvoll die Bühnentechnik. Mit den Errungenschaften des Wirtschaftswunders wird Euryanthe beschenkt, bevor Lysiart sie zur Hochzeit mit Adolar führt. Doch Bügelbrett und Kaffeemaschine garantieren noch keinen Ehesegen. Den werden Lysiart und Eglantine gründlich zerstören. In Ihrem Verschwörerduett steigern sie sich ekstatisch bis zum Koitus auf Emmas Grab. Der Grund für diesen infernalischen Jubel: Eglantine hat Euryanthe das Geheimnis um Adolars Schwester Emma entlockt. Sie kann im Grab nur Ruhe finden, wenn ihr Ring von Tränen einer Unschuldigen benetzt wird. Eglantine hat den Ring aus dem Sarg gestohlen, um dadurch Euryanthes Untreue zu beweisen und Adolar für sich zu gewinnen. Im Komplott mit Lysiart soll der Ring nun zusätzlich Euryanthes untreue Liebe - um die ja die Wette geht - belegen. Lysiart wird behaupten, dass Euryanthe ihm ihre Liebe durch den Ring bewiesen habe. In ein überdimensionales Brautkleid gesteckt und wie eine Göttin verehrt - Adolar kommt an sie für eine Umarmung gar nicht heran -, ist Euryanthe dem tiefen Fall geweiht. Wer so überhöht wird, der kann nur scheitern. Das Verzwickte ist, dass sie sowohl schuldig als auch unschuldig ist. Natürlich ist sie schuldig, weil sie das Geheimnis um Emma an Eglantine verraten hat - egal, ob sie von ihr überlistet wurde. Aber sie ist nicht schuldig im Sinne der Anklage bzw. der Wette. Sie hat ihre Liebe zu Adolar nicht verraten und hat ihn nicht mit Lysiart betrogen. Doch zu solchen Feinheiten einer Beweisaufnahme kommt es gar nicht erst. Adolar hat mit der Wette alles verloren und zieht Euryanthe, der man zuvor das Brautkleid in Streifen gerissen hat, wie eine Sklavin an der Leine hinter sich her.
Adolar, Euryanthe, Lysiart,
Doch er tötet sie nicht. Auch dazu ist er nicht fähig. Er ist als ein liebenswerter, aber etwas tumber Schöngeist charakterisiert, der sein Liebeslied aus seinem Notizbuch absingt. Im Wald wird er hier nicht von einer Schlange bedroht, sondern von Eglantine, die ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen versucht. Adolar widersteht ihr zwar (so gerade eben noch, quasi mit heruntergelassener Hose), überlässt aber Euryanthe ihrem Schicksal. Die begreift erst jetzt, wie ihr geschieht und verliert den Verstand. Nun, in solch einer Situation kann man schon mal wahnsinnig werden, keine Frage.
Schlangentraum: Adolar (hier: Klaus Florian Vogt)
Anstelle einer Jagdgesellschaft erleben wir die Patienten einer Klischee-Psychiatrie beim Frühsport zu einem Jägerchor, der mindestens so schön ist wie sein Bruder aus dem "Freischütz". Der König besucht die Anstalt - im Wahlkampf oder auch nur aus Publicity - (was natürlich live übertragen wird) und lässt sich von Euryanthe ihr Schicksal erzählen. Er nimmt sie mit sich - zunächst als vermeintliche Leiche.
Ein Zirkus unterhält die Wartenden vor Lysiarts Hochzeit mit Eglantine. Die wird einerseits von ihrem Gewissen geplagt und andererseits von ihrer weiterhin unerfüllten Liebe zu Adolar. Im Glauben, dass Euryanthe tot sei, verrät sie kurz vorm Wahnsinnigwerden ihre Verführung und die ganze Verschwörung. Eglantine wird von Lysiart blutig erstochen, der selbst wird bestraft, Adolar gibt sich zu erkennen, die rehabilitierte Euryanthe lebt doch noch.... Moment! So ein Happyend gibt's doch nur im Märchen! Vera Nemirova ist mit ihrer Inszenierung eine überzeugende Modernisierung gelungen. In den sparsamen, aber effektvollen Bühnenbildern charakterisiert sie die Figuren sehr individuell, lässt den Darstellern aber immer noch genügend Raum für die eigene Feingestaltung ihrer Partien. Gabriele Fontana ist eine hinreißende Euryanthe. Mit ihrem vollen, warmen, vielfarbig blühenden Sopran durchlebt sie dieses Frauenschicksal mit allen Leidenschaften und allem Liebessehnen, aller Verzweiflung und allem Wahnsinn ohne ihre hohe Stimmkultur einer oberflächlichen Gestaltung zu opfern. Ganz besonders anrührend gelingt ihr die mezza voce gesungene Emma-Erzählung. Ihre große Szene im dritten Akt wird zu einem Kabinettstück ausdrucksvoller, intensiver musikalischer Gestaltungskraft. Wieder einmal beweist sie ihre große Kunst, Opernfiguren stimmlich und darstellerisch zum Leben zu erwecken. Fulminant, aber doch sehr viel plakativer gestaltet Evelyn Herlitzius die Gegenspielerin Eglantine als eine Furie zwischen Ortrud und Eboli - mitreißend bis dem Publikum der Atem stockt. Das leicht gaumig-nasale Timbre ihrer kraftvollen Stimme mag nicht jedermanns Geschmack sein, das immer stärker werdende Vibrato ebenso. Doch dies verblasst hinter der unglaublichen Bühnenpräsenz und der großen Darstellungsgabe. Andreas Schmidt singt die Partie des Lysiart recht vorsichtig und sehr kontrolliert. Hier hört man keinen typischen Bariton-Bösewicht mit Bassfundament, sondern eher einen Liedsänger, der die intriganten Anteile der Figur stärker betont. Johann Tilli leiht dem König seinen satten Bass, hinterlässt aber keinen nachhaltigen Eindruck, was wohl eher an der Partie als am Sänger liegt. Richard Cox wurde vor der hier besprochenen Aufführung als stark erkältet entschuldigt. Schade, denn diesen Tenor würde man gern mit allen seinen stimmlichen Kräften in dieser Partie hören. Er hatte sich dennoch bereit erklärt aufzutreten, weil es sicher leichter ist einen Ersatz-Lohengrin zu bekommen als einen Ersatz-Adolar. Er schlug sich tapfer bis beachtlich, hätte die Spitzentöne aber auch einfach weglassen können. Tom Martinsen als stimmschöner Rudolph/Spielmann und Christiane Hossfeld mit ihrem reizenden, klaren Sopran komplettieren das Ensemble. Hans-E. Zimmer dirigiert mit erfrischender Leichtigkeit und einer angenehmen Mischung aus Romantik und Biedermeierlichkeit, ist den Sängern ein zuverlässiger und rücksichtsvoller Begleiter und macht feinsinnig viele schöne Details der Partitur hörbar. Immer wieder hört man, dass Wagner und Consorten zumindest Ideen aus der "Euryanthe"-Partitur geschöpft haben - wenn nicht mehr. Großartig, ohne Wünsche offen zu lassen, klingt wie immer die Staatskapelle und auch der Chor meistert seine umfangreiche Aufgabe klangschön mit Bravour.
Die reizvolle Wiederbelebung einer selten gespielten Oper. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Licht
Dramaturgie
SolistenKönigJohann Tilli
Adolar
Euryanthe
Lysiart
Eglantine
Rudolph
Bertha
|
© 2007 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de