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Hinter den Erwartungen zurückgebliebenVon Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu
Bereits vor 23 Jahren hat Dietrich Hilsdorf sich mit Verdis Otello beschäftigt, in Gelsenkirchen (was ich nicht gesehen habe). Dass er inzwischen wesentlich mehr zu Verdis spätem Meisterwerk zu sagen hätte, hätte man erwarten können, vollmundige Aussagen entsprechenden Inhaltes hatte es vor der Premiere nicht nur in den hauseigenen Medien gegeben. Das Gesehene indes entsprach diesen Erwartungen über weite Strecken nicht - so hätte auch jeder Regieassistent die Geschichte auf die Bühne bringen können. Dass die Handlung in die Zeit D'Annunzios verlegt wird, in die Jahre um den ersten Weltkrieg also, stört nicht, wird aber auch nicht wirklich bergündet: Hilsdorf fand es wichtig, "dass man Uniformen auf die Bühne bringen muss", aber die hat es ja wohl zu allen Zeiten gegeben, und vermutlich wird sich daran auch kaum etwas ändern. Iago (Mikael Babajanyan) ist die Hauptfigur am Schachbrett, der "Spielmacher"
Zentrale Fragen, mit denen der Zuschauer sich nach der Vorstellung befassen soll, sind die Folgenden: "Lag es denn jetzt daran, dass Otello schwarz war, oder wäre das einem Weißen genauso passiert?" und "Hat sich Desdemona falsch verhalten, war sie eigentlich ein Mensch oder war sie ein Engel?" Boitos von Hilsdorf aufgespürte und im Programmheft abgedruckte Erzählung Der schwarze Läufer reißt das Thema Rassendiskriminierung an, und auch in der Inszenierung selbst wird Otellos Außenseiterstatus reflektiert: Zum einen gibt es da einige farbige Kinder, die als "Sarottimohren" während des großen Ensembles im dritten Akt Erfrischungen reichen dürfen und sich damit wohl eher im regulären sozialen Rahmen bewegen, den Otello als Feldherr und als Gatte der hochadeligen Desdemona überwunden zu haben scheint, zum anderen gibt es einen Statisten, der den alles sagenden Namen "Kanenas, genannt Niggerclown" trägt - das Pendant zu der "Schickse" in Hilsdorfs Essener Forza - und alle Vorurteile gegen Schwarze in sich vereint, die man sich denken kann, bis zur Ähnlichkeit mit Menschenaffen, hier drastisch illustriert durch den Verzehr einer Banane. Besonders subtil oder geistreich ist das alles nicht, wie das Portrait Otellos überhaupt sehr eindimensional und ärgerlich schwarz-weiß bleibt und alle Aufmerksamkeit Hilsdorfs sich Desdemona, deren engelhaftes Wesen hier auch optisch sehr unterstrichen wird, und vor allem Iago zuwendet (dabei wird im Programmheft daran erinnert, dass Verdi und Boito das Werk nach reiflicher Überlegung eben doch nach dem Mohr benannt haben, nicht nach seinem Fähnrich). Ist Wahnsinn die Ursache für die Intrige des Iago (Mikael Babajanayan)?
Die nicht uninteressante Idee des Schachspiels (eine entsprechende Zeichnung ziert das Programmheft) bleibt indes nur eine nicht konsequent zuende gedachte Regiezutat, die über den zweiten Akt hinaus nicht verfolgt wird - ein Problem des gesamten Abends, dem außer der Konzentration auf Iago der rote Faden, das Zwingende, der Biß fehlt. Daran ändern die typischen Hilsdorf-Zutaten nichts, die man sich nun wirklich mittlerweile leid gesehen hat: Soldaten, die durch den Zuschauerraum auftreten oder über die vor den Orchestergraben gebaute Rampe in diesem verschwinden, eine barbusige Monna Bianca, die Cassio verführt, ein Mädchen mit seinem beinamputierten Vater, das ein Schild mit der Aufschritt "Die letzte Jungfrau Zyperns" tragen und sich den Slip ausziehen muss - Figuren, an denen der hohe Grad an Sexualisierung und Gewalttätigkeit dieser verrohten Militärgesellschaft abzulesen ist (wobei die nackten Stoffpuppen und der angeheftete Stoffpenis doch eher an Kissenschlachten in Jugendherbergen erinnerten) -, die wuchtigen Räume mit massiven Spuren von Krieg, Zerstörung und Verfall (diesmal freilich nicht von Johannes Leiacker entworfen, sondern von Dieter Richter), die durch eine durchdachtere Ausleuchtung sicher gewonnen hätten (Thomas Roscher heißt hier der Verantwortliche), die Metallbetten und die Glühbirne von der Decke, die Stuhlreihe, die im dritten Akt die Spielfläche begrenzt, dazu Sirtaki tanzende Statisten und griechische Schriftzeichen auf Plakaten an der Wand und zu viel Bühnennebel, der nicht zuletzt die Übertitel unleserlich macht. Eher lachen muss man auch über die Blutsbrüderschaft, die Otello und Iago am Ende des zweiten Aufzugs eingehen, über das Ungeschick, mit dem der Regisseur in der Szene, in der Otello Cassio und Iago belauscht, die beiden Tenöre kaum einen Meter auf der Bühne voneinander entfernt platziert, über die Einfalt, die Venezianer im dritten Aufzug mit Masken zu bestücken und die platte Provokation, wenn Iago sich nach dem dritten Aufzug theatralisch verbeugt, die Begeisterung des Publikums dann aber sofort bremst, die mitgebrachte Kerze mit seinen Streichhölzern nicht angezündet bekommt und sich ein Feuerzeug von einer Dame aus dem Parkett leiht, wenn Emilia im vierten Akt am Fenster Wein trinkt und raucht, bevor sie sich um Desdemona kümmert, wenn Iago nach seiner Flucht aus Otellos Schlafzimmer noch einmal auf die Bühne kommt und eine Rose auf der toten Desdemona ablegt - unnötige Mätzchen, die die Inszenierung kein bisschen besser machen und zeigen, worauf der Regisseur seine Energie verwandt hat. Dass er es besser kann, zeigen die Auseinandersetzungen zwischen dem Paar, zwischen dem sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Graben aufgetan hat. Meistens aber wundert man sich über eine zutiefst traditionelle, brave, wenig neue Erkenntnisse anbietende Werksicht, bei der viel gestanden wird und Künstler wie Zuschauer sich ganz auf die musikalische Seite konzentrieren können. Das ist nicht wenig grundsätzlich, aber zu wenig gemessen an den Standards, die Dietrich Hilsdorf einmal gesetzt hat. Desdemona (Irina Oknina) wird in aller Öffentlichkeit von Otello (Kostadin Andreev) attackiert.
Klangbeispiel:
Desdemona (Irina Oknina): "A terra"
Star des Abends war für mich Mikael Babajanyan, der nicht nur eine ganz eigene, eigenartige Körpersprache für den Iago fand, die bald an Krankheit oder Drogenabhängigkeit, bald an die schlängelnden Bewegungen von Reptilien denken ließ, sondern auch die ausgefeilteste musikalische Leistung zeigte, auch wenn er nicht über die üppigsten stimmlichen Mittel verfügt: Sein Fähnrich ist ein eleganter, stiller Brunnenvergifter, ein Interpret der feinen Nuancen, der sensiblen Phrasierung und dynamischen Differenzierung und der präzisen Deklamation, ein Meister der gehaltvollen mezza voce. Zurecht gefeiert wurde auch Irina Oknina für ihre optisch wie vokal sehr zarte, aber durchaus entschlossene, junge Desdemona und die schönen Töne einer schlanken, apart timbrierten Stimme, die für mein Empfinden vorerst freilich noch mehr zur Violetta des ersten Aufzugs der Traviata passt als zu den großen Rollen des lirico spinto-Fachs. Klangbeispiel: Otello (Kostadin Andreev): "Dio! Mi potevi scagliar tutti i mali"(MP3-Datei)
"Ecco il leone": Vor den Augen des Volkes und des Niggerclowns (hinten: Volker Hoeschel) hat Iago (Mikael Babajanyan) Otello (Kostadin Andreev) dort, wo er ihn haben will, am Boden nämlich.
Unausgeglichen fand ich die Leistung von Kostadin Andreev in der kräftezehrenden Titelpartie: Seine etwas altmodisch anmutende Art zu singen ist mir über weite Strecken zu larmoyant, ich fand das häufige Schluchzen ebenso übertrieben wie seinen Hang zum Schreien und zu pseudoexpressivem Sprechgesang. Sicher kann das feste Ensemblemitglied der Bulgarischen Nationaloper Sofia laut singen, aber die Stimme verliert extrem an Farbe, wenn sie so gewaltsam eingesetzt wird, sie wirkt eindimensional und flach, klingt gepresst und flackernd, nicht strahlend, sondern grell, und auch die große rhythmische Freiheit und die Intonationsprobleme beim "Esultate" fielen auf. Zweifellos hat der Künstler sich mit der Interpretation des großen Mario Del Monaco auseinandergesetzt, offenbar aber einen der sehr späten Mitschnitte gehört, und wie so viele andere, die beim Nachahmen verharren, gerade die Dinge übernommen, die schon beim Original nicht unproblematisch waren, die man aber auf Grund der insgesamt bemerkenswerten Meriten in Kauf zu nehmen bereit war und ist. Desdemona (Irina Oknina) weiß, dass Otello (Kostadin Andreev) sie in seiner grundlosen Eifersucht ermorden wird.
Wenig Freude kam auf in den kleineren Partien: Anjara I. Bartz etwa war mit kullernd-reifem Mezzo als Emilia gern ein wenig tief, Patrick Henckens als Cassio bereits in der achten Parkettreihe kaum zu hören, ihre Kollegen blieben vokal wie szenisch blaß. Sehr erfüllte Momente hatten die Chöre in der Einstudierung von Sibylle Wagner, besonders am Anfang sangen die Damen und Herren sehr inspiriert und expressiv, während einige der hohen Töne im dritten Aufzug die Soprane doch hörbar an Grenzen führten. Solide war die Leistung des Beethoven Orchesters - auch wenn die Konzentration nach der Pause streckenweise ein wenig nachließ -, mehr sicher nicht, eine wirklich packende oder raffinierte Lesart hatte Roman Kofman selten anzubieten, aber immerhin hatte er die Kräfte im Graben und auf der Bühne souverän im Griff, und das Finale des dritten Aktes hatte wirklich die Glut und die Spannung, die man sich für den ganzen Abend gewünscht hätte.
Dietrich Hilsdorf bleibt mit dieser arg konventionellen Inszenierung hinter den eigenen Maßstäben zurück, musikalisch freut man sich über die großen Leistungen von Iago und Desdemona. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Regiemitarbeit
Bühne
Kostüme
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereOtello * Kostadin Andreev / Luis Rodriguez
Iago
Cassio
Rodrigo
Montano
Lodovico
Un araldo
Desdemona
Emilia
Monna Bianca
Kanenas,
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