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Wo Frauen ihre Männer mit Kochlöffeln verhauenVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Modest Mussorgskij hinterließ seine komische Oper Der Jahrmarkt von Sorotschinsy als Fragment. 1874, nach der Uraufführung desBoris Godunow begann er mit der Komposition, parallel zur monumentalen Historienopr Chowanschtschina (die ebenfalls unvollendet blieb). Es gab eine Reihe von Versuchen, die Oper in eine spielbare Form zu bringen; dabei reicht das das Spektrum vom Einfügen anderer Kompositionen Mussorgskijs bis zu einer Ausarbeitung der hinterlassenen Skizzen – auf diese Fassung, 1931 von Wissarion Schebalin und Pavel Lamm herausgegeben, stützt sich die Bonner Oper. Einen Kommentar zu dieser komplizierten Quellenlage sucht man im Programmheft der Bonner Inszenierung leider vergebens – dabei sollte dies bei solchen „Ausgrabungen“ selbstverständlich sein. Jahrmarkt in Sorotschinzy. Leider ist der heimliche Star des Abends - das Pferd - hier nicht zu sehen.
Fragmentarischen Charakter hat auch Mussorgskijs einzige vollendete Oper, der schon genannte Boris Godunow. Es gehört zum musikalischen Wesen dieses Opernkomponisten, an der geschlossenen Form zu scheitern oder diese infrage zu stellen – wer Mussorgskij aufführt, muss sich unweigerlich diesem Fakt stellen. Nicht zuletzt darin besteht aber, auch wegen der Abgrenzung zu anderen Werken der Spätromantik, der Reiz und die Modernität dieses Opernkomponisten. In Bonn allerdings steht das Team um Regisseur Tony Palmer solchen Überlegungen ziemlich gleichgültig gegenüber – statt des Jahrmarkt von Sorotschinzy hätte man, ohne das Konzept nennenswert ändern zu müssen, auch wer weiß was für ein Stück spielen können, Hauptsache osteuropäisch und im Bauernmilieu. Mehr als ein Kostüm- und Ausstattungsspektakel, bei dem die Musik bedeutungslos nebenher läuft, scheint Palmer nicht im Sinn gehabt zu haben. Hübsch anzusehen: Parassja (Anna Virovlansky)
Den ersten Applaus bekommt, noch vor dem ersten Ton, ein Pferd auf der Bühne. Echtes Feuer gibt es auch noch, dazu ukrainische Volkstrachten, und die Choristinnen kommen ins Publikum und bieten bunte Bänder an. Sieht man die Schwarz-Weiß-Fotos dieser Inszenierung im Programmheft, mancher würde viel darauf wetten, hier Bilder einer Vorkriegsproduktion aus tiefster deutscher Opernprovinz zu erblicken. Palmer lässt kaum ein Klischee aus, nicht einmal die Ikone darf fehlen (obwohl sie nun wirklich nicht benötigt wird), und wie beim Kasperletheater sieht nicht nur das Bauernhaus aus, sondern auch die Charaktere sind vergleichbar holzschnittartig. Psychologie oder ein differenzierter Blick auf die Personen? Fehlanzeige. Lustig: Chiwrja (Svetlana Shilova) versteckt ihren Liebhaber Afanassij (Mark Rosenthal) in einer Truhe.
Klangbeispiel:
Chiwrja (Svetlana Shilova)
Klangbeispiel:
Parassja ( Anna Virovlansky)
Nicht einmal die Geschichte, die es zu erzählen gilt, kommt zu ihrem Recht. Die Sänger werden an die Rampe geschickt, greifen sich hin und wieder in die Herzgegend, und nach der Hälfte der Arie gehen sie zwei Schritte nach rechts. Warum sie das tun, erfährt man bestenfalls aus den Übertiteln. Im zweiten Teil zieht die Regie insofern an, als sie sich humorig gibt: Lustig ist, wenn jemand eine halbe Flasche Wodka in einem Zug austrinkt oder über einen Schemel stolpert. Das Ganze ist hier als Revue konzipiert, bei der hin und wieder (auf mäßigem Niveau) getanzt wird, es eine Traum-und-Spuk-Sequenz mit Lasershow gibt, und am Ende fallen, während der Kinderchor die Beine in den Orchestergraben baumeln lässt und fröhlich schunkelt, Luftschlangen von der Decke (was manchen Premierengast fluchtartig den Saal verlassen ließ). Rhythmisches Klatschen in das Finale hinein war wohl intendiert, scheiterte aber am dafür letztendlich zu spröden Bonner Publikum. Spuk-Show: Laser wie einst bei Harry Kupfers Bayreuther Rheingold; der durchleuchtete Bretterboden hat sich im Bonner Sommernachtstraum in der vorigen Spielzeit schon sehr schön gemacht.
Den Jahrmarkt von Sorotschinzy bekommt man also nur als Vorwand aufgetischt; dabei wäre die Bonner Oper musikalisch durchaus gut aufgestellt gewesen für eine seriöse Auseinandersetzung mit Mussorgskij. Vladimir Baykov als Bauer Tscherewik hat einen kernigen, standfesten Bass, den er zwar hin und wieder unnötig forciert, mit dem er, würde er nicht so oft im pauschalen Forte verharren, der Figur aber Format verleihen könnte, müsste er nicht im Dienste der Publikumsbelustigung permanent als Tölpel vor dem Kochlöffel seiner Frau flüchten. Die wird von Svetlana Shilova mit mehr lyrischem als dramatischem, aber zu Differenzierungen fähigem Mezzo gesungen. Anna Virovlansky verleiht deren Töchterchen Parassja eine zarte, fast kindlich mädchenhafte Stimme; ihr Bräutigam Grizko, mit recht leichtem Tenor von Valeriy Serkin dargestellt, wurde vorab als indisponiert angekündigt; bei guter Gesundheit dürfte er musikalisch ruhig ungestümer daherkommen. Mark Rosenthal muss den Liebhaber der Brautmutter zur dämlich Knödel fressenden Karikatur verkürzen, wozu die quäkende und schneidende Stimme passt – Rosenthal wäre bei Bedarf wohl auch einer wohlklingenderen Darbietung fähig. Mit Martin Tzonev als „Gevatter“ und Andrej Telegin als Zigeuner stehen zwei musikalisch durchschlagende Haudegen bereit, die sich der Regie noch am ehesten widersetzen können und ihren Figuren zumindest musikalisch kraftvoll Format verleihen. Großes Finale: Bitte alle mitklatschen.
Musikalisch schöpft Mussorgskij aus dem Fundus der (ukrainischen) Volksmusik. Chefdirigent Roman Kofman müsste die Spannung zwischen diesem Tonfall und der „Kunstmusik“ auf der anderen Seite hörbarer machen. Oft bleibt dieser Kontrast unterbelichtet. Kofman dirigiert, ganz im Sinn der Regie, viele Stellen mit „Schmiss“ (den das solide, aber nicht glänzende Beethoven-Orchester bereitwillig liefert), kann dann auch im Piano zaubern – aber die Zwischentöne bleiben aus. Dadurch klingt manches pauschal, als wäre es nicht so wichtig. Sehr präsent singen Chor Extrachor und Kinderchor, neigen aber (besonders die Herren) zum Schreien. Dass allerlei Klangeffekte per Lautsprecher eingesteuert werden, passt ins Bild. Um Mussorgskij, man muss zwangsläufig darauf zurückkommen, geht es bei dieser Produktion wahrlich nicht.
Hier wird Mussorgskij im Geist von Revue und Musical hoffnungslos unter Wert verramscht: Ein Ärgernis. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Kostümmitarbeit
Licht
Choreinstudierung
Choreographie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereTscherewik, ein Bauer * Vladimir Baykov / Algis Lunskis
Chiwrja, seine Frau
Parassja, seine Tochter
Ein Zigeuner
Gritzko, ein junger Bauer
Afanassij Iwanowitsch, Sohn des Popen
Der Gevatter
Tschernobog, Oberteufel
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