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Iphigenie auf Tauris
Tragödie in vier Akten von Christoph Willibald Gluck
Libretto von Nicolas-Francois Guillard
Deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze



Aufführungsdauer: ca. 1 Std. 50 Minuten (keine Pause)

Premiere am 22. April 2007 in der Komischen Oper Berlin
Rezensierte Aufführung: 6. Mai 2007


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Komische Oper Berlin
(Homepage)
Iphigenie zwischen Gegensätzen

Von Annika Senger / Fotos von Monika Rittershaus


Eine Felsenwand erhebt sich am hinteren Ende der Bühne und beschert dem Zuschauer mit darauf projizierten fluoreszierenden Lichteffekten und gelegentlichen Wasserfällen ein Fest für die Augen: Wir befinden uns auf Tauris, wohin die Göttin Diana Agamemnons zum Opfer für einen Kriegszug nach Troja auserkorene Tochter Iphigenie im letzten Moment entrückt hat.

Vergrößerung Orest im Schlepptau von Thoas' Armee

Schon bevor der erste Ton der zarten, sich im Dreivierteltakt wiegenden Ouvertüre erklingt, baumelt ein zum Sterben verdammter Eindringling kopfüber an einem Seil von der Decke - leider etwas früh, denn die Überraschung beim Publikum wäre vermutlich größer, wenn dies erst im Laufe der durch die Musik vorgegaukelten Idylle geschehe. Die Titelheldin tritt auf und schneidet dem Fremden prompt die Kehle durch. Dabei fließt auch gleich ein Schwall von täuschend echt wirkendem Theaterblut. Es wird in flachen Wannen aufgefangen und zur Schau gestellt. Die rohe Veranschaulichung der Brutalität auf Tauris geht aber noch weiter:

Schlägertypen in Armee-Anzügen malträtieren die Männer, die König Thoas aus Angst vor dem ihm prophezeiten Tod durch die Hand eines Fremden von Iphigenie ermorden lässt. Einige dieser Kerle filmen sogar die Bluttaten, als sollten sie anschließend im Internet gezeigt werden. Man fragt sich schnell: Ist es wirklich nötig, in punkto Gewalt so "dick aufzutragen"?

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Orest und Pylades droht die Hinrichtung

Dass Regisseur Barrie Kosky auf Effekte setzt, beweist allerdings auch die Erscheinung der Geister von Agamemnon und Klytämnestra - nackt bis auf die Unterhose entweichen sie plötzlich der Dunkelheit. Diese beiden verlassen nach Orests Ankunft auf Tauris die Bühne kaum mehr. Zusätzlich erscheint ein Toten-Chor bestehend aus ebenfalls entblößten Männern und Frauen im Rentenalter. Hut ab für so viel Mut, den Körper ohne Scheu präsentieren zu können, kann man den Komparsen dafür nur ein ehrliches Lob aussprechen! Und es ist in der Tat im Zusammenspiel mit Schummerlicht und Chorgesang aus dem Off ein zum Gruseln schöner Effekt. Bedauerlicherweise nutzt er sich ab, weil die Senioren zu häufig zum Einsatz kommen und sich so nach einer Weile der Beigeschmack des Unerwarteten verliert.

Vergrößerung Männerfreundschaft: Orest und Pylades

Iphigenie wird in Christoph Willibald Glucks Oper nicht als hilfloses Opfer, sondern als starke Frau, die aus Liebe zu ihrem Bruder Orest Thoas' Befehl verweigert, präsentiert. Geraldine McGreevy verkörpert die Heldin mit einer soliden gesanglichen und schauspielerischen Leistung: Ihr Ausdruck von Trauer, Angst und Zerrissenheit wirkt authentisch, jedoch nie technisch unkontrolliert. Bariton Kevin Greenlaw (Orest) ließ sich vor Beginn der Vorstellung als indisponiert melden, was man ihm auch deutlich anmerkt. Orests Begleiter und inniger Freund Pylades sticht aufgrund der technisch einwandfreien, kraftvoll tragenden Interpretation durch den Tenor Peter Lodahl und dessen außergewöhnliches Timbre hervor. Thoas' Angst, durch die Klinge eines Fremden zu sterben und die Blutopfer an Stelle Iphigenies selbst auszuführen, bringt Ronnie Johansen treffend zur Geltung. Sein Buffa-Bass zieht die Figur ein wenig ins Lächerliche, was der Feigheit des Königs in jedem Fall gerecht wird.

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Iphigenie verweigert Thoas' Tötungsbefehl

Einen besonderen Eindruck neben den lyrisch anmutenden Soloarien, die stark an Glucks Zeitgenossen Mozart erinnern (obwohl sie weniger "ins Ohr gehen"), hinterlassen die Auftritte des Chores. Eher negativ fallen die Rezitativpassagen der Figuren ins Bild: Sie sind zu kontrolliert vorgetragen, wohingegen sie doch dafür bestimmt sind, die Kontrolle zu verlieren anstatt jeder Note ihren genauen Wert beizumessen.

Dass Diana am Ende ins Chaos eingreift und Iphigenie und Orest rettet, kann unglaubwürdiger kaum sein. Schließlich war sie es, die Iphigenie in die Verbannung geschickt hat und für die Familientragödie im Hause Agamemnons mitverantwortlich ist. Dies ist aber weder Gluck noch Kosky anzukreiden, sondern allein der griechischen Mythologie.


FAZIT

Brutalität und musikalische Schönheit zwanghaft vereint - es würde auch in Maßen funktionieren!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paul Goodwin

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild
Klaus Grünberg

Kostüme
Alfred Mayerhofer

Chöre
Daniel Mayr

Dramaturgie
Werner Hintze

Licht
Franck Evin



Chor der
Komischen Oper Berlin

Orchester der
Komischen Oper Berlin


Solisten

Iphigenie
Geraldine McGreevy

Orest
Kevin Greenlaw

Pylades
Peter Lodahl

Thoas
Ronnie Johansen

Eine Griechin
Karen Rettinghaus

Diana
Elisabeth Starzinger

Eine Priesterin
Britta Süberkrüb

Ein Skythe
Volker Herden

Zwei Aufseher
Sven Goiny
Eberhard Krispin

Erscheinung der Klytämnestra
Hannelore Ohlendorf

Erscheinung des Agamemnon
Klaus Weiß

Prolog
Lore Stefanek



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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