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Musiktheater
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Orpheus in der Unterwelt
Opéra-bouffon in zwei Akten
Text von Hector Crémieux und Ludovic Halévy
Neufassung für die Oper Köln von Konrad Beikircher und Bernd Weikl
Musik von Jacques Offenbach


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 20. Oktober 2005

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Beim Karneval hört für den Kölner der Spaß auf

Von Stefan Schmöe / Fotos von Klaus Lefebvre

„Dem Karneval ging es nie so schlecht wie heute.“ (Pluto).
„Der Oper auch nicht.“ (Kommentar aus dem Publikum)

Der besondere Reiz vieler Bühnenwerke Jacques Offenbachs liegt neben der brillanten Musik in der satirischen Anlage, in der Offenbach scharfzüngig und oft respektlos alles Hehre und Heldische und die Obrigkeit dazu verhöhnt. In Orpheus in der Unterwelt sind die olympischen Götter ein verschlafener Haufen, und das ist nicht nur Parodie auf die großen heroischen Opern, sondern auch ein kabarettistischer Blick auf die Mächtigen der Zeit (und nicht ohne Grund klingt zwischendurch die Marseilleaise an). Der Versuch, diese Zeitbezogenheit und Schärfe durch eine geeignete Bearbeitung in unsere Gegenwart zu übertragen, kann ein legitimes und sinnvolles Konzept einer Neuinszenierung sein – wenn die Aktualisierung gelingt. Für Köln mit seinem notorischen Kölschen Klüngel hat die Kölner Oper nun den Kabarettisten Konrad Beikircher beauftragt, eine Neufassung unter besonderer Berücksichtigung lokaler Spezifika zu verfassen – und es gelingt nicht. Statt dessen endet das Projekt in einem Desaster.


Vergrößerung in neuem Fenster Olymp, unterirdisch: Die gleichnamige Gastwirtschaft, idyllisch in einer Kölner U-Bahn-Station gelegen, ist Stammlokal des Karnevalsvereins "Freude schöner Götterfunken von 1824 e.V.".

Die wahren kölnerischen Götter sind für Beikircher nicht die Politiker, sondern die Vorsitzenden der großen Karnevalsgesellschaften, und so wird aus Chefgott Jupiter kurz „der Jupp“, erster Vorsitzender des ehrwürdigen Vereins "Freude schöner Götterfunken von 1824 e.V.", und der muss sich in diesem Amt (entgegen seinen eigenen Gelüsten nach einem amourösen Abenteuer) um einen „sauberen Karneval“ kümmern. Gegenspieler Pluto ist Besitzer des privaten Fernsehsenders „XXL“ und möchte Eurydike eine eigene Show zuschanzen - was ein gewisses körperliches Entgegenkommen Eurydikes voraussetzt und damit dem Gedanken des „sauberen Karneval“ widerspricht. Und da Jupp im Aufsichtsrat des Senders sitzt (Vorsitzende von Karnevalsgesellschaften sind eben auch nach Aschermittwoch Stützen der Kölner Gesellschaft), soll er Plutos Treiben Einhalt gebieten, wogegen Pluto den gesamten Verein der "Götterfunken" als Ballett für seine neue Show "Köln - wir fliegen drauf" engagieren möchte. Und damit auch "Unterwelt" irgendwie vorkommt, haben Jupp und seine Karnevalisten ihr Vereinslokal in einer U-Bahn-Station. Ob hier dem Kölner Karnevalswesen kritisch der Spiegel vorgehalten werden oder das Ganze mittels verstärktem Lokalkolorit einfach nur lustig sein soll, ist angesichts der ziemlich hilflosen Umsetzung durch Regisseur Bernd Weikl letztendlich nicht entscheidbar. Das Kölner Premierenpublikum reagierte jedenfalls mit erheblichem Unmut, der sich bereits vor der Pause in Zwischenrufen (und rekordverdächtig kurzem und leisem Beifall zur Pause) entlud.


Vergrößerung in neuem Fenster Die "Öffentliche Meinung" (Marianne Rogée) arbeitet für den "Kölner Express". Fans der "Lindenstraße" schätzen Frau Rogée als "Isolde Pavarotti" (und werden mit dem überwiegenden Teil des Publikums übereinstimmen, dass sie dort besser aufgehoben ist als auf der Opernbühne).

Zum Premieren-Eklat kam es kurz nach der Pause, als Ex-Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes in der Rolle des Hans Styx die Bühne betrat. Wo Styx in der üblicherweise gespielten Fassung zu singen hat „Als ich noch Prinz war von Arkadien“, ändert Beikircher den Text, nicht eben sprachlich elegant, um in „Als Präsident von der Regie-hie-rung“ und lässt Antwerpes seine Großtaten im Amt aufzählen. (Für Nord-, Ost- und Süddeutsche: Antwerpes' legendärste Tat war die kurzzeitige Sperrung eines Autobahnteilstücks wegen Nebels, was ihm den Ruf eines auf Medienwirksamkeit bedachten Selbstdarstellers einbrachte). Nun ist Antwerpes kein Sänger (und die in seinem Text aufgereihten Anekdötchen bereits weit jenseits ihrer kaberettistischen Halbwertszeit), und so mischten sich in den dezent-höflichen Applaus für das nicht ganz überzeugende Couplet einige Buhs – worauf Antwerpes ebenso beleidigt wie belehrend die Diskussion mit dem Publikum suchte, was sofort einen wahren Orkan von Protest und Entrüstung heraufbeschwor. Die Oper danach irgendwie noch zu einem Ende gebracht zu haben war vielleicht die größte Leistung des Ensembles an diesem Premierenabend.


Vergrößerung in neuem Fenster Die im Dunkeln sieht man nicht, zumal dann, wenn sie dunkelhäutig sind: Orpheus (Musa Nkuna) geigt rechts von Eurydike (Ausryne Stundyte)

Das Kölner Publikum hat schon einfallslosere und dümmere Produktionen in Geduld ertragen und größere Provokationen hingenommen, aber nach dieser Premiere war es sich in seiner konsequenten Ablehnung einig wie sonst nie. Dabei dürften Beikircher und Weikl durchaus in dem Vorsatz an das Werk herangegangen sein, eine freche und frische Produktion im Sinne des Publikums zu schaffen. In der Umsetzung ist allerdings fast alles daneben gegangen. Zunächst ist die Konstruktion der Handlung hanebüchen, der Handlungsstarng um den „Schmuddelsender“ XXL allzu dümmlich und der neue Text insgesamt weitaus weniger lustig als das Original. Bei Offenbach entsteht die Komik in weiten Teilen ja dadurch, dass sich die hehren Götter unpassend wie Karnevalsfürsten verhalten; wenn sie aber bereits Karnevalsfürsten sind, ist ihr Benehmen entweder ihrer Rolle gemäß (und damit für eine Parodie ungeeignet) oder albern. Dann sind Antwerpes ebenso wie die „Lindenstraßen“-Darstellerin Marianne Rogée als „Öffentliche Meinung“ nur auf dem Papier spektakuläre Besetzungen, auf der Bühne aber überfordert. Die Darstellung des Kölner Karnevals sollte man einem Regisseur mit mehr Fingerspitzengefühl für die Feinheiten und Empfindsamkeiten für dieses sehr spezielle Metier anvertrauen, und die Sänger sollten den örtlichen Dialekt beherrschen – aber man wäre ja schon um einiges zufriedener gewesen, wenn der südafrikanische Orpheus und die litauische Eurydike die langen deutschen Dialoge weniger bemüht abgewickelt hätten. Mehr Gewicht für die (stark gekürzte) Musik dürfte es auch sein, und wenn man schon eine so textlastige Fassung spielt, müsste der Regisseur Schauspielerfahrung haben – die hat Bernd Weikl als erfolgreicher Opernsänger mit gelegentlichen Ausflügen ins Regiefach nicht.


Vergrößerung in neuem Fenster Nie ging es dem Karneval so schlecht wie heute: Der Vereinsvorsitzende Jupp alias Jupiter (Günter von Kannen, Mitte) muss auf Drängen seiner Gattin Juno (Renate Fuhrmann) für einen sauberen Karneval kämpfen.

Verwunderlich ist, dass mit Weikl ausgerechnet ein erfahrener Sänger der Musik (und damit auch den sängerischen Leistungen) ein Nebenrollendasein verordnet. Wirklich viel weiß er mit Beikirchers Neuvertextung dabei nicht anzufangen, und so inszeniert er im Wesentlichen Ausstattungstheater mit viel zu wenig Tempo, sodass kaum Witz aufkommt. Seine solidesten Momente hat die Inszenierung, wenn ein Routinier wie Günter von Kannen als Jupp/Jupiter stimmlich wie schauspielerisch souverän sein Pensum abspult oder Hauke Möller als Pluto bei allem wunderbar schleimigem Charme mit elegantem Tenor auch musikalische Präsenz und gleichzeitig die nötige Operettenleichtigkeit zeigt. Musa Nkuna als Orpheus hat zwar ebenfalls eine schöne Tenorstimme, irrt aber stilistisch zwischen Mozart und Belcanto herum (und meist an Offenbach vorbei). Ausryne Stundyte ist eine stimmlich leichtgewichtige Eurydike mit sehr dünner Höhe; einen Großteil der Buh-Rufe musste sie aber wohl stellvertretend für die Charakterisierung der Figur als unscheinbares Dummchen hinnehmen, was ihr von Beikircher und Ausstatter Ulrich Schulz verordnetet wurde. Renate Fuhrmann ist eine passable Juno; Cupido (Petra Baráthova), Venus (Silvia Krüger), Diana (Katharina Leythe) und Merkur (Michael Kunze) hätte man sich an einem Haus wie Köln schon etwas glanzvoller gewünscht – Ausdruck einer überzeugenden Ensemblekultur ist das nicht, was man in dieser Produktion zu hören bekommt.


Vergrößerung in neuem Fenster Öffentliches Ärgernis: Franz-Josef Antwerpes (rechts) spielt sich selbst und beschwört den Zorn des Kölner Publikums in ungeahnten Ausmaßen herauf. Pluto (Hauke Möller) ist zwar Besitzer eines "Schmuddelsenders", kann aber immerhin schön singen.

Enrico Delamboye, neuer 1. Kapellmeister in Köln, konnte einem Leid tun. Mit dem guten Gürzenich-Orchester gelang ihm zunächst eine transparente und schwungvolle, wenn auch in mancher übertriebenen Akzentuierung etwas ruppige Interpretation. Verbessert werden könnte allerdings die Feinabstimmung mit den Sängern und mit dem zuverlässigen, aber zu wenig nuancierten Chor. In der zunehmend aufgeheizten Atmosphäre ging dann mehr und mehr der Zusammenhalt zwischen Bühne und Orchestergraben verloren, am Ende zählte nur noch das Ankommen. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass unter dem Regiekonzept die musikalische Arbeit etwas kurz gekommen ist.


FAZIT

Gut gemeint, aber fast alles falsch gemacht: Konrad Beikirchners und Bernd Weikls Kölner Neufassung fällt beim Publikum mit viel Getöse durch. Beim ambitionierten, aber in Beikirchers Bearbeitung allzu platten Versuch, Offenbachs Geist in die Gegenwart zu übertragen, bleibt von Offenbach nicht mehr viel (und von Offenbachs Geist viel zu wenig) übrig. Und eine weitere Lehre aus diesem Abend: Verhaltensauffällige Exregierungspräsidenten sollten Opernbühnen besser meiden.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrico Delamboye

Inszenierung
Bernd Weikl

Bühne und Kostüme
Ulrich Schulz

Licht
Guido Petzold

Chor
Horst Meinardus

Dramaturgie
Christoph Schwandt


Chorder Oper Köln

Statisterie der Bühnen Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Orpheus
Musa Nkuna

Eurydike
Ausrine Stundyte

Die Öffentliche Meinung
Marianne Rogée

Jupiter
Günter von Kannen

Juno
Renate Fuhrmann

Pluto
Hauke Möller

Cupido
Petra Baráthova

Venus
Silvia Krüger

Diana
Katharina Leyhe

Merkur
Michael Kunze

Choreograph
Athol Farmer


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
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