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Un ballo in maschera
Melodramma in drei Akten von Giuseppe Verdi
Text von Antonio Somma nach
dem Libretto von Eugène Scribe
zu der Opéra-historique Gustave ou Le Bal masqué
von Daniel Francois Esprit Auber



In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt
am 2. Oktober 2005


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Von Macht und Masken

Von Thomas Tillmann / Fotos von Monika Rittershaus



Es dauerte nicht lange, bis die Schimpferei im dritten Rang begann, die sich zu den Ablauf der Premiere von Un ballo in maschera störenden Wortgefechten und Rangeleien ausweitete. Sicher, Teile des Publikums sind inzwischen Inszenierungen leid, in denen sie auf der Bühne das präsentiert bekommen, was sie in ihrem täglichen Leben vorfinden, in denen ihnen die Flucht in wunderbar weit entfernte Zeiten und an ebensolche Orte verweigert wird, keine atmosphärisch beleuchteten Bühnenbilder und glanzvolle Kostüme das Auge verweilen lassen und man sich ganz dem Festival der schönen Stimmen hingeben kann, sondern die altbekannten Stücke auf ihre Aussage- und Sprengkraft für unsere Zeit hin befragt werden. Beide Ansätze und Bedürfnisse haben ihre Berechtigung. Opern sind nicht dazu da, als Folie für Profilneurosen von schlecht vorbereiteten Regiedilettanten ausgenutzt zu werden, die den ihnen anvertrauten Werken letztlich misstrauen und lieber eigene Geschichten erzählen wollen, dafür aber keine Geldgeber finden, aber Opern sind eben auch nicht allein der Kulinarik preiszugebende Bühnenwerke, die den Sehgewohnheiten einer konservativen und beschwörend nach kaum zu definierender Werktreue schreienden Zuschauerschaft unterworfen sind, die sich im ersten Teil des Abends so lautstark zu Wort meldete und dann mehr und mehr verstummte.

Claus Guth, der 2003 Der Fliegende Holländer in Bayreuth inszenierte und im kommenden Jahr mit seiner Sicht von Mozarts Le nozze di Figaro die Salzburger Festspiele eröffnen wird, lässt den Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen der Politik werfen (in seiner Macbeth-Inszenierung im Mai hatte Calixto Bieito das Geschehen in die Bankenwelt verlegt): Wir begegnen Riccardo in seinem Büro, erschöpft von einem anstrengenden Wahlkampf, den er als Spitzenkandidat einer Partei bestreitet, die sich "Für einen besseren Weg in die Zukunft" einsetzt, wie das riesige Plakat zeigt, das den Raum dominiert und natürlich mehr als eine Anspielung ist auf die zurückliegenden Wochen und Monate in diesem Land (ein interessanter Zufall, dass in dem Moment, in dem die Premiere in Frankfurt begann, die Wahllokale in Dresden schlossen). Auf der linken Seite drängen Mitarbeiter und Journalisten auf Einlass, sie werden aber von Riccardos Wahlkampfmanagerin Oscar zurückgehalten (die Anlage als Hosenrolle wird hier aufgegeben, was wohl doch zu verschmerzen ist). Riccardo ist ein Vollblutpolitiker, der auch äußerlich durchaus ein wenig an den amtierenden Kanzler erinnert, wie dieser eine rote Krawatte trägt (die Verschwörer dagegen haben gelbe!), sofort nach dem Aufwachen wählerwirksame Parolen aufzusagen weiß, was besser zu Sommas Auftrittsworten passt, als mancher wahrhaben will, und die typischen Siegerposen souverän beherrscht, ein Meister der Verstellung eben, aber auch ein Einzelgänger, der sich danach sehnt, all die Masken abzulegen und wieder Authentizität zu spüren.

Im zweiten Bild trifft er auf dem Flur neben seinem Büro - der Wechsel der eindrucksvollen Bühnenbilder von Christoph Sehl, die ich freilich von meinem sichtbehinderten Platz im Seitenrang nicht vollständig einsehen konnte, wird mit Hilfe der Drehbühne problemlos bewältigt - eine geheimnisvolle Putzfrau, die ihren Lappen in einem Eimer voller Blut auswäscht. Putzfrauen als Prophetinnen, das ist so neu nicht (man erinnert sich an Robert Carsens spannenden Macbeth an der Kölner Oper), und es will zu dem ja sehr auf Realismus hin angelegten Ansatz auch nicht wirklich passen, sondern bleibt ein Fremdkörper, auch wenn die Szene an sich gut funktioniert: Es wird Karneval gefeiert auf den Gängen der Wahlkampfzentrale, aber spätestens als Riccardo neben dem Blutfleck in Ulricas mit Scheuermittel skizzierten magischen Kreis am Boden liegt, ahnt seine Entourage, dass hier aus Spaß Ernst geworden ist, da hilft auch das anschließende, flugs inszenierte Bad in der Menge nichts, die den Spitzenpolitiker inzwischen erkannt hat.

In seinem Büro haben unterdessen Zerstörung und Winter Einzug gehalten (ein Symbol für den inneren Abschied von dem öffentlichen Leben und den Masken, die er so leid ist?), was Amelia und Riccardo gegen Ende des Duetts nicht davon abhält, sich mehr und mehr zu entkleiden, sich nebeneinander in den Schnee zu werfen und eine Hochzeit zu improvisieren, die eine beklemmende Parodie erfährt, wenn die Verschwörer später Amelia Riccardos rote Krawatte umhängen, ihr einen Papierkorb als Zylinder aufdrücken, Renato den Schleier aufsetzen und ihm die Lippen nachziehen.

Vergrößerung in neuem Fenster Die Familienidylle ist brüchig geworden:
Amelia (Silvana Dussmann), ihr Sohn (Christian Holper)
und ihr Mann Renato (Marco Vratogna).

Zu Beginn des dritten Aktes sehen wir Riccardo traurig auf dem kleinen Rasenstück vor dem Fertighaus seines ehemals besten Freundes und Mitarbeiters sitzen, das ebenfalls im Schatten der Wahlplakate und offenbar in einem Hochsicherheitstrakt entstanden ist - ein solch häuslich-familiäres Idyll ist ihm nicht gegeben, der Traum der Liebe mit Amelia funktioniert nicht, die der Wut ihres Gatten ausgesetzt bleibt und vergangenes Glück beschwört, indem sie drei Püppchen ihres Sohnes sich die Hände reichen lässt. Auch der gemeinsame Junge, mit dem beide jetzt abwechselnd spielen, hat schon erhebliches Gewaltpotential: Auf der Schaukel hatte er schon ein Stofftier achtlos zu Boden geworfen, jetzt setzt er Oscar eine Papierkrone auf und antizipiert so den Königsmord seines Vaters, bevor die beiden die Rollen tauschen und somit auch der Anteil am Tod Riccardos vorweggenommen wird, den die indiskrete Assistentin hat.

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Alles nur Spiel? Oscar (Anna Ryberg) zielt auf den
als König verkleideten Sohn (Christian Holper)
des Renato (Marco Vratogna).

Obwohl das Büro des Spitzenkandidaten zerstört ist und selbst auf dem letzten Plakat sein Kopf ausradiert ist, hält er an der Idee des Maskenballes fest (ein Hinweis auf den Umstand, dass ein Politiker nicht wahrhaben will, dass seine Zeit abgelaufen ist?), und jetzt bekommt Anna Sofie Tuma doch noch Gelegenheit, Chor und Solisten in aufwändigen Roben der eigentlichen Handlungszeit zu präsentieren, während Riccardo im Nebenraum Abschied von Amelia nimmt und auch dort zu Tode kommt, umringt von den nach und nach Teile der Kostüme und Perücken ablegenden Menge.

Vergrößerung in neuem Fenster Riccardo (Carlo Ventre) als Außenseiter
auf dem Ball (Chor und Statisterie der Oper Frankfurt).

Carlo Ventre war bereits als Pinkerton und Cavaradossi in Frankfurt, und es wird Menschen geben, die die raue, belegte Mittellage seines robusten Tenors nicht besonders mögen, der mitunter fast mehr Nebengeräusche produziert als wirkliche Töne, aber insgesamt war man doch beeindruckt von seinem kraftvollen, leidenschaftlichen Singen und dem Umstand, dass man einen durchaus dramatischen Tenor in dieser Rolle nicht selten unterbesetzten Partie zu hören bekam, der auch das anspruchsvolle szenische Konzept problemlos umzusetzen verstand.

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Amelia (Silvana Dussmann) ist fassungslos:
Riccardo (Carlo Ventre) ist tot.

Silvana Dussmann, in Frankfurt gefeiert als Kaiserin in Die Frau ohne Schatten und demnächst auch als Vitellia dort zu erleben, hat eine große Affinität zum italienischen Fach - man erinnert sich an eine nicht unproblematische Leonora im Trovatore, an ihre Wiener Elisabetta im Roberto Devereux und Norma, die sie an verschiedenen Orten gesungen hat -, aber letztlich fehlt ihr der üppig-warme, dunkel-frauliche Ton, der Partien wie der Amelia so gut ansteht und der beispielsweise italienischen oder russischen Kolleginnen eher gegeben ist, so dass man ihre Absichtserklärung, demnächst das leichte Wagnerfach anzusteuern, doch für die richtigere Wahl hält. Gerade in der Tiefe hat die keinesfalls kleine, aber eben doch ziemlich helle, "blonde" Stimme wenig Farbe, dafür aber einigen "Peng" und ein aufregend hysterisches Vibrieren in der durchdringenden Höhe, auch wenn sie dabei nicht immer genau die Töne trifft, zum Schreien neigt und zu sehr auf äußerliche, vordergründige Effekte setzt, was auch für ihr nervöses, übertriebenes Spiel gilt (sie kann die Hände und den Kopf offenbar einfach nicht ruhig halten), aber spätestens ab der sehr sensibel gestalteten zweiten Arie hatte sie wirklich große Momente bei ihrem Rollendebüt.

Geschmackssache war zweifellos auch der sehr reife, ein erhebliches Vibrato aufweisende, trockene Bariton von Marco Vratogna, der sich am Main bereits als Nabucco und Scarpia vorstellte und sich an diesem Abend vor allem durch maßlose Lautstärke hervortat, was manche mit besonderer Intensität und Expressivität verwechseln, ohne die Eindimensionalität seines gepressten, brutalen und nur in wenigen Momenten zu sensiblen Zwischentönen findenden Singens zu bemerken. Keine Geschmackssache war dagegen das in mehrere Einzelstimmen zerfallende, flackernde Organ der häufig nach Luft ringenden, keine Furcht vor Sprechgesang erkennen lassenden Ildiko Szönyi. An den "Schaltstellen" zwischen der furchteinflössenden, barsch-vulgären Bruststimme, der scharfen, von einem nicht mehr zu tolerierenden wobble entstellten Mittellage und der gellenden Höhe war mitunter nur noch heiße Luft zu hören, so dass man das Buh nach ihrer Szene doch immerhin nachvollziehen konnte. Nicht teilen konnte ich die Begeisterung für das dünne, weder besonders liebenswürdig timbrierte noch besonders glanzvolle, sondern nicht selten überfordert klingende Soubrettenstimmchen von Anna Ryberg, während es in den kleineren Partien und bei den Chören keine Ausfälle, aber auch keine herausragenden Leistungen zu hören gab.

Der Trend zu hektischem Vorwärtspeitschen bei Verdi, den ich an den Vortagen in Mannheim hatte beobachten können, setzte sich in Frankfurt fort: Paolo Carignani, der das Frankfurter Haus 2008 verlassen wird (Spekulationen um eine Intrige als möglichen Auslöser für seine Entscheidung wollte der Italiener bisher nicht bestätigen), begann zwar mit pulsierend-bewegten und damit angemessenen Tempi, zog aber während des Abends mindestens streckenweise so an, dass er das Bühnenpersonal in Schwierigkeiten brachte, so dass man festhalten muss, dass die Eleganz und Brillanz des Spiels des Museumsorchesters um einen zu hohen Preis erkauft wurde.


FAZIT

Guths Konzept hat zweifellos einige Ecken, aber trotz des aktuellen Ambientes und der Aktualisierung verfremdet er die Geschichte nicht wirklich oder denunziert sie, sondern verdichtet sie in manchem Moment sogar dank einer zwar vielschichtigen, aber doch klaren, intensiven Erzählweise, einer soliden Personenführung und der präzisen Zeichnung der Hauptfiguren. Die vokale Seite des Abends indes kann den Rezensenten weniger überzeugen als das in dieser Hinsicht weniger kritische Premierenpublikum.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung
Claus Guth

Bühnenbild
Christoph Sehl

Kostüme
Anna Sofie Tuma

Dramaturgie
Hendrijke Mautner

Licht
Olaf Winter

Chor
Alessandro Zuppardo



Chor und Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Museumsorchester


Solisten


* Besetzung der Premiere

Riccardo
Carlo Ventre

Renato
Zeljko Lucic /
* Marco Vratogna

Amelia
* Silvana Dussmann /
Eszter Sümego

Ulrica
Ildiko Szönyi

Oscar
* Anna Ryberg /
Britta Stallmeister

Silvano
Nathaniel Webster

Samuel
* Magnus Baldvinsson /
Jacques Does

Tom
* Michail Schelomianski /
Bálint Szabó

Ein Richter
* Christian Dietz /
Michael McCown

Ein Diener Amelias
Ricardo Iturra

Kind
Christian Holper






Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)



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