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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

Premiere am 20. November 2005 im Theater Dortmund

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)


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Theater Dortmund
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Schwarz-Weiß-Malerei

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Picture Gmbh

Wotan ist Hunding und Hunding ist Wotan. Das ist, in Kurzform, die Kernbotschaft von Christine Mielitz' Dortmunder Walküre. Der Götterchef ist die „weiße“ Version, Hunding die „schwarze“ der gleichen Figur. Zwei Seelen also, ach, wohnen offensichtlich in einer Brust, und mitnichten hat die dunkle Hunding-Seele, wie es im Text steht, vor Fricka niederzuknien oder fällt im Angesicht seines Gottes tot um. Nein, hier stehen am Ende des zweiten Aktes beide zusammen vor dem verdatterten Siegmund, der – ähnlich dem Publikum – nicht weiß, was ihm da Böses widerfährt. Yin und Yang auf der Wagner-Bühne?

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Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit? Zu Siegmunds "Nothung"-Rufen gerät Sieglinde in Ekstase.

Über diese Deutung lässt sich sicher diskutieren; es geht durch diese Schwarz-Weiß-Malerei aber vieles an der Figurenzeichnung verloren. Wagners Wotan in seiner traditionellen Form ist eine ungemein schillernde, widersprüchliche Figur, aus deren inneren Verwerfungen die allermeisten Inszenierungen den Großteil ihrer Spannung gezogen haben; und auch Hunding ist bei aller Geringschätzung, aus der Wagner keinen Hehl macht, als Vertreter des archaischen (von Wotan eingesetzten) Rechtssystems ein keineswegs so einseitiger Charakter. Die Typisierung, die Frau Mielitz den Figuren überstülpt, nimmt ihnen die inneren Widersprüche und macht sie langweiliger als nötig. Zudem sind die am Schreibtisch ersonnenen Gedankengänge, die dieses Inszenierungsmodell rechtfertigen, auf der Dortmunder Bühne kaum – und oft zu spät – zu erkennen. Viele Details entschlüsseln sich erst im Rückblick, wirken aber im Moment ihres Erscheinens unlogisch und ärgerlich. Und viele Fragen bleiben: Warum zum Beispiel gehört Fricka, obwohl von Wagner eindeutig der traditionellen Hunding-Welt zugeordnet, zur „weißen“ Sphäre? Die Inszenierung wirft etliche Widersprüche auf, die auf der Bühne nicht geklärt werden.

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Ehekrach unter den "Weißen": Wotan und Fricka

Stärker als im Rheingold weicht die zu erzählende Geschichte hinter eine abstrakte Überhöhung zurück, in der die Figuren Bedeutungsträger, aber keine handelnden Personen sind. Dadurch erlahmt oft die Spannung. Auch wird der Handlungsfaden immer wieder durch überflüssigen Schnickschnack im Bühnenbild unterbrochen. Ständig fallen Vorhangschals von der Decke, um kurz danach wieder hochgezogen zu werden; da dreht sich die Drehbühne (oder fährt die Bühne hoch, wohl um einen Blick auf die Unterwelt der Nibelungen freizugeben), da laufen die Rheintöchter, immer noch in den Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold gewandet, durchs Bild, und immer wieder wird das Publikum bis an die Grenze der Erträglichkeit durch Scheinwerfer geblendet. Höhepunkt der Absurdität sind riesige Lamellen an den Bühnenseiten, die sich zwischendurch drehen und – natürlich – auf der einen Seite schwarz, auf der anderen weiß sind.

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Schwierige Vater-Tochter-Beziehung: Wotan und Brünnhilde

Der ganze technische Hokuspokus zeigt in Endlosschleife die der Wotan-Verdopplung entsprechende Schwarz-Weiß-Symmetrie im Bühnenbild von Stefan Mayer. Beherrschendes Element ist ein merkwürdiges Gestell; ob Kommandobrücke, Barrikade oder Klettergerüst, ist nicht auszumachen. Wirklich genutzt wird es nicht, vom Feuerzauber, der in etwa so eindrucksvoll ist wie ein Gasherd auf mittlerer Flamme, abgesehen (da darf Brünnhilde sich auf die oberste Ebene legen und ihr langes rotes Haar herunter lassen). Statt dessen gibt es allerlei Peinlichkeiten: Sieglinde, vom ersten Ton an in sexueller Raserei, legt sich vor die Esche und hebt im Takt zu jedem der „Nothung“-Rufe Siegmunds das Becken, und ihr unbekleidetes Double wälzt sich noch im zweiten Aufzug in Ekstase über den ziemlich teilnahmslosen Siegmund. Wotan/Hunding pflegt sich jeder Frau mit einer schallenden Ohrfeige zu nähern. Das hat man, vorsichtig gesagt, anderswo schon subtiler inszeniert gesehen.

Vergrößerung in neuem Fenster Rettungstat: Mit handfesten Mitteln will Brünnhilde die ohnmächtige Sieglinde vor Wotans Zorn schützen.

Zerfahren und konturlos bleibt an diesem Abend auch der Orchesterpart. Arthur Fagen digiert sehr kleingliedrig und baut kaum einmal einen Spannungsbogen auf. Statt dessen betont er brav jeden ersten von vier Takten, als wolle er zeigen, wie konventionell in regelmäßigen Perioden die Musik konstruiert ist. Die großen Tutti-Ausbrüche gelingen noch leidlich gut (wobei auch hier die Binnenspannung oft abreißt), aber es gibt eben auch viele fast kammermusikalische Abschnitte: Der erste Teil des ersten Aufzugs etwa, den Fagen lustlos wie ein unbedeutendes Rezitativ herunterspielen lässt, die hier reichlich spannungslose Wotan-Erzählung und das lange Zwiegespräch Wotan / Brünnhilde des Schlussaktes – das alles wird mehr abgewickelt als gestaltet.

Unter der weitgehend fehlenden musikalischen Gestaltung leiden die an sich nicht schlechten Sänger. Edward Randall singt den Siegmund mit etwas unscheinbarem, aber durchsetzungsfähigem Tenor – aber verharrt dabei im Dauer-Mezzoforte, ohne erkennbar auf den Text oder die Wendungen der Geschichte einzugehen. Philipp Joll ist ein nicht sehr dramatischer, aber sonorer Wotan; das allzu eintönige Vibrato nivelliert leider die Nuancen, um die sich der Sänger durchaus bemüht. Auch erhält die Stimme dadurch etwas Unbestimmtes, Verwaschenes. Milana Butaeva zeigt als Brünnhilde vielversprechende Ansätze. Noch neigt sie dazu, schnell zu forcieren und auf Kosten der Differenzierung direkt den „großen“ Ton anzusteuern, und der Klang hat mitunter unausgewogen schneidendes Vibrato. Die Gestaltung kommt dadurch etwas kurz; auch müsste die Stimme mehr unterschiedliche Klangfarben – so in den musikalisch sehr unterschiedlichen Sphären der Walkürenrufe einerseits, Siegmunds Todesverkündigung andererseits. Das Potential dazu scheint vorhanden; jetzt müsste es ausgeformt werden.

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Witwe und werdende Mutter: Sieglinde in Walhall

So sind es die beiden anderen Frauen, die der Aufführung immerhin momentweise Spannung verleihen. Annette Seiltgen stößt mit der Fricka hörbar an ihre stimmlichen Grenzen, aber jede Phrase und jeder Satz hat seine musikalische Logik. Hier greifen Gesang und Spiel ineinander, und die vokalen Attacken am Rand der Hysterie zeigen viel vom Innenleben der Figur – das ist mehr, als man von allen anderen Sängern präsentiert bekommt. Ausgenommen vielleicht die Sieglinde von Kirsten Blanck, die sich zu Beginn noch vom uninspirierten Orchester anstecken ließ, aber mehr und mehr Präsenz zeigte und schließlich zum Zentrum der Aufführung wird. Ihrer Stimme fehlt ein wenig ein charakteristisches Element, wodurch sie etwas pauschal klingt, aber die Textausdeutung und das Gespür für die (musikalische) Dramatik der Situation macht das wett. Nachzutragen bleibt der solide Hunding von Vidar Gunnarsson und das überzeugende Walküren-Ensemble.

Da weder die Regie noch das Dirigat eine schlüssigen Interpretationsansatz vermitteln können, bleibt dieser Ring weiterhin reichlich unbestimmt. Auf dem Programmheft ist ein junges Mädchen mit einem gezündeten Sprengsatz in der Hand abgebildet – stärker als das Bühnengeschehen deutet dies darauf hin, dass die Reise zu Ulrike Meinhof, Gudrun Ennslin und dem RAF-Terror der 70er-Jahre führen könnte. Solche Sprengkraft fehlt bislang aber an allen Ecken und Enden. Nach dem ziemlich blassen Rheingold ein zweiter weitgehend verschenkter Abend – das ist ein ziemlich hoher Preis für einen Ring, selbst wenn sich dieser vom Ende her erschließen sollte.

FAZIT

Orchestrale Langeweile, szenische Irrungen, sängerisch ordentlich bis gute Einzelleistungen – diese Walküre taumelt reichlich ziellos über die Dortmunder Bühne.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Arthur Fagen

Inszenierung
Christine Mielitz

Bühne und Kostüme
Stefan Mayer


Statisterie des Theater Dortmund

Philharmonisches Orchester
Dortmund


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Siegmund
Edward Randall

Hunding
Bart Driessen /
* Vidar Gunnarsson

Sieglinde
Kirsten Blanck

Wotan
Phillip Joll

Brünnhilde
Milana Butaeva

Fricka
Annette Seiltgen

Helmwige
Marcie Ann Ley

Gerhilde
Heike Susanne Daum

Ortlinde
Sylvia Koke

Waltraute
Maria Hilmes

Siegrune
Franziska Rabl

Roßweiße
Andrea Rieche

Grimgerde
Margareta Malevska

Schwertleite
Johanna Schoppa


zu unserer Rezension von
Das Rheingold
Siegfried
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