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Wozzeck
Oper in 3 Akten von Alban Berg
Text von Georg Büchner



Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde 35 Minuten (keine Pause)

Premiere am 21. Februar 2004
an der Sächsischen Staatsoper Dresden, Semperoper
Besuchte Aufführung: 31. März 2006


Homepage

Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)
Wozzeck im Baumarkt

Von Bernd Stopka / Fotos von Matthias Creutziger

Eine wild durcheinander nummerierte Stuhlreihe steht vor einer Glasfront. Dahinter eine belebte Einkaufsstraße, die durch eine Filmprojektion in das Bühnenbild eingefügt wird. Ein laufendes Werbespruchband zeigt abwechselnd Werbeslogans und Bibelzitate. Hinter der Glasfront befinden sich ein Abfalleimer mit Aschenbecher und ein Geldautomat, Später erfahren wir, dass das Schaufenster zur neu eröffneten Filiale einer Baumarktkette gehört. Aus großen orangen Buchstaben wird dann HORNBAC auf das Dach gestellt. Das H bleibt unten auf der Straße stehen.

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Wozzeck (Andreas Schmidt),
Hauptmann (Wolfgang Schmidt)

Rechts auf der Bühne steht das Modell einer Kirche auf einer überdimensionalen Tomatenmarkdose. Ein verdrehtes Zeichen auf dem Modell könnte entsprechend zurechtgerückt sowohl Kirche, als auch Frau bedeuten. Wir sind in der Dresdner Semperoper und denken an die Frauenkirche. Aber ob das Produktionsteam dabei auch an selbige gedacht hat?

Sebastian Baumgarten zeigt in seinen Regiearbeiten immer sehr eigene Blickwinkel und Gedankegänge und manchmal auch nur freie Assoziationen zum Thema. Vor einem guten Jahr hatte seine Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck" an der Semperoper Premiere. Mit Frank Philipp Schlößmann als Bühnenbildner und Michael Graessner als Kostümbilder hat er die Geschichte in die Gegenwart geholt und stellt Wozzecks Schwierigkeiten als soziale Konflikte zwischen Konsumorientierung und Werbungsterrorismus dar.

Kein Wunder, dass ein einfältiger Kopf mit einer sensiblen Seele wie Wozzeck damit überfordert ist. Sein Hauptmann schikaniert, piesackt und demütigt ihn genauso wie der Doktor, der mit ihm ernährungstechnische Experimente macht. Sind es im Original Bohnen, so sind es hier Konservendosen (vielleicht ja auch Bohnen) und Wozzeck ist nicht der einzige Proband: Es gibt sechs weitere, sie sich ihre Ration von einer Europalette auf einem Hubwagen holen und sie dann im Kreis sitzend verdrücken. Es sind genau die sechs, die als Terrorgruppe ACEDIA das Kirchenmodell anzünden (!).

Mehrfach versucht Wozzeck sich gegen die verbale Überlegenheit der anderen zu behaupten. Doch gerade dann gelingt es ihm nicht, sich zu artikulieren. Er stammelt stumm, schlägt die Hände zusammen und rennt weg.
Mit einem zerbrochenen Demonstrationsschild schlägt er schließlich ein Kreuz über den Hauptmann. Dracula lässt grüßen. Vielleicht kennt er das aus einem Comic. Anders kann er sich nicht wehren. Beim Rasieren der Glatze des Hauptmanns hatte er ihn versehentlich geschnitten, ob daher dessen sich ausbreitende Beulenpest herrührt?

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Wozzeck (Andreas Schmidt)

Wie lautlose Kampfroboter bewegen sich die karierthemdig uniformierten Baumarktmitarbeiter. Selbst sie sind für Wozzeck bedrohlich. Eigentlich möchte er selbst gern dazugehören. Verzweifelt schreibt er auf die Schaufenster "Gebt mir ein Zeichen". Die Szene, die eigentlich in der Schenke spielt, zeigt das Eröffnungsfest der Marktfiliale. Ein dicker, albern tanzender Clown findet sich "Lustig, lustig". Wozzeck demonstriert das Teppichmesser, mit dem er Marie im Schaufenster erstochen hat. Er sieht sich bedroht. Die Kundschaft wird zu Freaks. In einen großen Kasten eingesperrt wird er mit projizierter Werbung geradezu erschlagen, sein Gesicht ist schmerzverzerrt, er verliert die Haare und kommt erlöst und befreit im Baumarkt-Mitarbeiter-Outfit wieder hervor.

Marie wirkt eher nuttig als bühnentypisch ärmlich. Das zeigt eine aktuelle Form von Armut und sozialer Unangepasstheit. Ihr Sohn ist kein kleines Kind mehr. Er schleppt ihr ständig übergroße Plastik- und Einkaufstüten hinterher. Das Hab und Gut von Obdachlosen? Die Begegnung mit dem Tambourmajor ist hier eine kurze, aber brutale Vergewaltigung auf offener Straße. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ehebrecherin aus dem neuen Testament, die Marie das Gewissen schwer macht, passt allerdings wenig in diesen szenischen Kontext.

Andreas Schmidt bringt für den Wozzeck viele schauspielerische Fähigkeiten mit, die ihn diesen geschundenen und benachteiligten aber im Grunde seiner Seele lieben Menschen bewegend darstellen lassen. Mit seinem erfahrungsreichen Bariton gestaltet er die Partie sehr eindringlich. Für die erkrankte Anne Schwanewilms ist Angela Denoke als Marie eingesprungen. Mit ihrer ansprechenden Bühnenerscheinung und ihrem sehr präsenten, klaren und klangschönen Sopran konnte sie restlos begeistern. Wolfgang Schmidt bewährt sich seit einiger Zeit im Charakterfach. Sein heller, hier oft frech keifender Tenor ist geradezu ideal für den Hauptmann. Christa Mayer ist eine zugleich sinnliche und zickige Margret, Oliver Ringerhahn ein sympathischer Andres, Reinhard Dorn ein bassgewaltiger Doktor. Als Tambourmajor klingt Douglas Nasrawi ein wenig angestrengt.

Asher Fisch wird mit der Staatskapelle sowohl den romantisch-elegischen als auch den harten brutalen Klängen gerecht - und allen ihren Zwischenstufen, die sich in dieser Musik ausgiebig entfalten.

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Wozzeck (links) nach dem
Teppichmessermord an Marie (links)


FAZIT

Baumgarten zeigt eine eigenwillige Anpassung der Handlung an die heutige Zeit. Packend, fesselnd, desillusionierend, wenn auch nicht immer werkerhellend. Auf die ursprüngliche Handlung darf man dabei allerdings keinen Wert legen. Ein spannender Abend, aber nichts für Puristen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Asher Fisch

Inszenierung
Sebastian Baumgarten

Bühnenbild
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Michael Graessner

Dramaturgie
Hans-Georg Wegner
Ralf Fiedler

Chor
Matthias Brauer

Video
Stefan Bischoff

Licht
Christoph Schmädicke



Chor und Kinderchor der
Sächsischen Staatsoper Dresden

Bewegungschor

Sächsische Staatskapelle Dresden


Solisten

Wozzeck
Andreas Schmidt

Marie
Angela Denoke

Tambourmajor
Douglas Nasrawi

Andres
Oliver Ringelhahn

Hauptmann
Wolfgang Schmidt

Doktor
Reinhard Dorn

1. Handwerksbursch
Michael Eder

2. Handwerksbursch
Matthias Henneberg

Narr
Tom Martinsen

Margret
Christa Mayer

Mariens Knabe
Lukas Wosnitza

Soldat
Klaus Milde



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Sächsische Staatsoper Dresden
(Homepage)



Da capo al Fine

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