Im dritten Aufzug von Wagners Tristan und Isolde finden die beiden Protagonisten erst im Tod (den Tristan im Augenblick von Isoldes Erscheinen herbeiführt) zueinander. Otello und Desdemona könnten glücklich weiterleben, hätten sie nur ein einziges Mal vernünftig miteinander geredet. Wozzeck ist vielem auf der Spur, aber keiner versteht ihn, und so wird er zum Mörder. An Beispielen für gescheiterte Kommunikation ist die Opernliteratur wahrlich nicht arm. Auch Jan Müller-Wieland, gefragter Opernkomponist des Jahrgangs 1966, hat eine Oper zu diesem Thema geschrieben, und im Libretto von Micaela von Marcard ist die Sprache auf Satzfetzen, die Handlung auf ein paar Gesten reduziert auch wenn man seit Paul Watzlawik bekanntlich nicht nicht kommunizieren kann, wird die Störung der Kommunikation auf allen Ebenen zum expliziten, nicht mehr in eine reale Handlung eingebundenen Thema, dass gleich noch um den Aspekt der aus solchen Beziehungsstörungen resultierenden Gewalt erweitert wird.
Märchenhafte Wasserspiele in edlem Rot: "Die Frau" (Julia Kamenik) sinniert über den Froschkönig, "Der Mann" (Holger Falk) wirkt ratlos.
Kommunikationsunfähigkeit in einer Zweierbeziehung als Ursache für Gewalt das ist ein umfassendes Thema für soziologische Forschung und verdient zweifellos tiefere Untersuchung. Für eine kammermusikalische Oper, also ein man denke an die oben genannten Werke - vergleichsweise kleines Format, ist das aber ein bisschen viel. Müller-Wieland versucht, mit nur 13 Instrumentalisten in 38 extrem kurzen Szenen sein Sujet kurz und knapp und geradezu aphoristisch anzugehen (instrumentale Zwischenspiele werden ausdrücklich als Aphorismen bezeichnet) und das auch noch mit Ironie und Humor. Dazu gibt es Anspielungen auf Mozart, Mahler und Wagner, auf Goethe und Wilhelm Müller (den Dichter der Winterreise), auf Picasso (auf dessen Bild Nächtlicher Fischfang bei Antibes sich der Titel bezieht) , um nur die zu nennen, die der Komponist im Programmheft freimütig aufzählt. Komprimiert auf nicht einmal anderthalb Stunden ergibt das einen allzu beliebig zusammengemixten Eintopf, der kaum anders munden würde, ließe man die Hälfte der Zutaten weg und ersetzte sie durch neue. Dass der Regisseur das Gounod'sche Ave Maria, von einem Bass im Falsett gesungen, einschieben kann, ohne dass man dies als Bruch erkennen könnte, ist ein weiteres Indiz für die Austauschbarkeit der Musik.
Hübsch choreographierte Vergewaltigung im Stile des Tanztheaters von Pina Bausch, nur dass es dort vielschichtiger zugeht.
Die Komposition setzt sich aus einer Vielzahl von kleinen Motiven zusammen, die teils in stark dissonanten Zusammenhängen von der Moderne, teils collagenartig von der Postmoderne künden und bezeichnenderweise dann nachhaltigere Eindrücke hinterlassen, wenn sie in bewusst trivialisiertem Zusammenhang verwendet werden. Di del du del bimm bamm lautet die Textzeile, die den meisten Zuhörern beim Verlassen der Bundeskunsthalle durch den Kopf gehen dürfte, und dahinter verstecken sich hier vertrauen wir der Aussage des Komponisten Mozart (Di del du del ist den Koloraturen der Königin der Nacht entlehnt) und Mahler (bimm bamm singt der Chor in der 3. Symphonie). Aha. Wir konzidieren: Hier herrscht in der Tat Sprachlosigkeit vor.
Mit einem fröhlichen "Di Del Du Del" auf den Lippen begrüßt das "Junge Mädchen" (Alicja Gulcz) das Ensemble, das kongenial mit "Bimm Bamm" antwortet.
Vielleicht hätte eine andere Inszenierung der Musik einen anderen Raum zur Entfaltung ermöglicht als Werner Schroeters Regieansatz, der die aphoristische Anlage weitgehend ignoriert und statt dessen auf Kontinuität, die so in Musik und Libretto nicht vorhanden ist, setzt. Die abstrakt in edlem Rot gehaltene Bühne wird an den Seiten durch zwei steil ansteigende Schrägen fortgesetzt, auf denen die Akteure mit großem Engagement hochklettern. Eine zweigeteilte Säule könnte so etwas wie einen Phallus symbolisieren (an den Der Mann zwischendurch uriniert), und allmählich füllt sich der Bühnenboden mit einer Wasserlache (Frosch und güldene Kugel verweisen auf den Froschkönig), in der zum Schluss vier Statisten, die zuvor brutale Schlägertypen verkörpert haben, munter herumplanschen. Pina Bausch hat mit ihrem Tanztheater in den 80er-Jahren großartige Stücke über die Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern erschaffen, die mit ähnlichen Mitteln sehr viel eindrucksvollere Wirkungen erzielt haben. Schroeters Regie wirkt bisweilen wie ein matter Abglanz davon.
Klangbeispiel:
1. Szene
(MP3-Datei)
Die Unterteilung der Mini-Szenen ist an einigen Stellen durch kurzes Aufblitzen der Deckenbeleuchtung angedeutet, aber insgesamt Schroeter betont die Kontinuität, und auch die absurden Elemente werden in seiner Inszenierung abgemildert. Müller-Wieland hat den Anstoß zu Die Irre oder Nächtlicher Fischfang durch Skulpturen und Bilder von Thomas Schütte erhalten, den er bei einem Stipendiaten-Aufenthalt in der Villa Massimo kennen gelernt hat. Von Schüttes Skurrilität ist in Schroeters Inszenierung nichts erhalten. Statt dessen werden auch die Gewaltszenen derart ästhetisiert, dass sie ihre Bedrohlichkeit verlieren. Ich bin dreimal vergewaltigt worden und fand es immer wunderbar bekennt Schroeter im Programmheft. Wenn Gewalt aber zum ästhetischen Stilmittel wird, bewegt sich die Inszenierung unweit dessen, was permanent in Fernsehen und Computerspielen abläuft. Die Oper wird somit zum Kunst-Produkt, das einen Realitätsbezug verloren hat: Modernes Musiktheater im gesellschaftspolitischen Niemandsland.
Wenn der Komponist permanent zitiert, will sich auch der Regisseur nicht lumpen lassen: Hier ein wenig Rosenkavalier.
Überzeugend sind die sängerischen Leistungen. Julia Kamenik singt Die Frau mit sauberer Linienführung und beachtlicher Intensität, Holger Falk ist als Der Mann zwar leichtgewichtiger, aber beweglich und nuanciert. Müller-Wieland hat ihnen sängerfreundliche, lyrische Partien geschrieben, die schön mit dem Orchesterklang verschmelzen. Alicja Gulcz als Junges Mädchen wirbelt mit jugendlich leichtem Sopran durch das Stück; die kleineren Rollen sind durchweg gut besetzt und homogen im Zusammenklang. Das Instrumentalisten der musikfabrik, geleitet von Wolfgang Lischke, überzeugen in vielen solistischen Passagen; mitunter dürfte das Klangbild im Tutti noch prägnanter sein.
FAZIT
Zwischen Assoziationen und Zitaten verflüchtigt sich das Thema, auch wenn ein Thema wie Sprachlosigkeit letztendlich jedes Mittel rechtfertigt; den Rest besorgt die Regie, die alle Reibungsflächen einebnet. Jodeldiplomverdächtig.
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