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"Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding" ...
Von Thomas
Tillmann
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Fotos von Antonio
Bofill Haben Sie auch eine "geliebte Stimme"? Eine Sängerin (oder natürlich einen Sänger), deren Stimme Sie mehr berührt als viele andere, die etwas ganz Besonderes in Ihnen zum Klingen bringt, die Ihnen wohlige Schauer und Gänsehaut bereitet, ohne dass Sie wirklich sagen könnten, warum das so ist? Eine Sängerin, deren Aufnahmen Sie sammeln, die Sie so oft wie möglich live hören möchten, der Sie nach Ihren Möglichkeiten nachreisen, deren pure Anwesenheit im Theater oder auf dem Podium Ihren Puls höher schlagen lässt? In den letzten Jahren war das für mich Nelly Miricioiu, die mir in vielen unvergesslichen Aufführungen manches Werk des Belcanto nähergebracht hat und mit mir in Gesprächen und Interviews viele Erkenntnisse über diesen speziellen, verkannten Bereich des Opernrepertoires geteilt hat. Die große Nelly Miricioiu im Kostüm der mythischen babylonischen Königin Semiramis
Wie weh tut es da mitzuerleben, dass die Kraft nachlässt, dass inzwischen die Bewältigung der immensen Herausforderungen im Vordergrund steht, nicht die früher so leidenschaftliche, kein Risiko scheuende Interpretation, auch wenn es noch immer Momente expressiver Raffinesse zu konstatieren gibt, eine ungemein vielschichtige Rezitativgestaltung mit feinem Pinsel, die viel eher an Maria Callas denken lässt als die Ähnlichkeiten im Timbre, die viele immer hören wollten, auch die so häufig hervorgehobene Identifikation mit der Figur etwa im Duett mit Arsace, die fein gesponnenen Piani. Der Fan freut sich auch darüber, dass die in London lebende Rumänin in den eleganten, opulenten Roben von William Orlandi nach wie vor hinreißend aussieht, er hört die große Vorsicht, verzeiht sofort die Unsicherheit, spürt die Verletzlichkeit und Fragilität, hält die Daumen und leidet mit, aber der Kritiker kann unschön flackernde, unstete, steife, sehr matte hohe Töne und die nicht immer exakte Intonation besonders in dieser Lage nicht übergehen, er kann nicht verschweigen, dass die nie sehr große Stimme inzwischen zu wenig Glanz und Präsenz besitzt, um in den Ensembles wirklicher Mittelpunkt zu sein, er muss festhalten, dass auch die größte interpretatorische Intelligenz über vokale Verschleißerscheinungen nicht dauerhaft hinwegtäuschen konnte an diesem Abend, der vermutlich keiner der kurzfristigen Indisposition war. Semiramide (Nelly Miricioiu, rechts) glaubt, dass Arsace (Ewa Podlés, links) sie liebt.
Ewa Podlés hat auch in Barcelona ihre Fans (und mancher aus dem europäischen Ausland war ihretwegen ins Flugzeug gestiegen), und in der Tat war man wie in den Sessel gedrückt angesichts der geradezu furchteinflößenden tiefen Brusttöne, die nach wie vor von großer Resonanz sind, aber nicht recht passen wollen zu der deutlich belegteren, klangärmeren, merkwürdig kehligen Mittellage oder der unschön klirrenden, aber noch immer leicht erreichten Höhe, und die zackigen Übergänge zwischen den Registern ließen einen auch das eine oder andere Mal heftig zusammenzucken und könnten auf manchen durchaus vulgär wirken. Aber natürlich hat sie jede Menge Erfahrung in diesem Fach und kann nach wie vor atemberaubende, ja geradezu überrumpelnde Koloraturen singen, natürlich jubelt das Publikum bei nicht enden wollenden Fermaten (die mit gutem Geschmack freilich nichts zu tun haben), natürlich weiß sie, was sie singt und vermag das auch zu transportieren, und auch einige sehr verinnerlichte Töne aus der zweiten Arie sollen nicht verschwiegen werden (aber auch nicht die sehr plakativen darstellerischen Mittel). Aus abgewiesener Liebe wird schnell Hass: Semiramide (Nelly Miricioiu, links) bedroht Arsace (Ewa Podlés, rechts).
Überhaupt war es der Abend der Zweitbesetzung, denn natürlich waren Daniela Barcellona und noch mehr Juan Diego Flórez die Stars dieser Produktion und Grund für höhere Eintrittspreise etwa am Abend zuvor (bei insgesamt elf Vorstellungen). Aber auch wenn José Manuel Zapata als Idreno nicht das einschmeichelnde Timbre (und die strahlende Optik) des berühmten Kollegen hat, auch wenn er etwas zittrig und quäkig begann und die Höhe zunächst ein wenig greinend klang, so bewunderte man doch die Agilität der Stimme, mit der er herrlich weiche, sensible Töne produzierte und der er manche Nuance abzugewinnen verstand. Dagegen wirkte Simón Orfilas vibratoreiches Singen wenig geschmeidig und wenig elegant, ja phasenweise sogar ziemlich brachial, aber auch er wusste sich im Laufe des Abends zu steigern und mit der Verve seines kraftvoll-emphatischen Singens und schauspielerischem Charisma als Assur einiges wettzumachen; im Duett mit Semiramide im zweiten Teil fand er gar zu leiseren Tönen. Eher darstellerische als vokale Autorität zeichneten Miguel Ángel Zapater aus, der den Oroe mit etwas müder Stimme gab, der besonders die hohen Töne gar nicht leicht fallen. Mehr möchte man von Eliana Bayón hören, die als Azema nicht viel mehr als ein paar Stichworte zu singen hatte. Der personenstarke Chor des Liceu machte seine Sache anständig, nicht mehr und nicht weniger. Nicht wirklich überzeugen konnte das Orchester, das unter Riccardo Frizzas eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk erkennen lassende, für große Sorgfalt bei der Ausführung sorgende Leitung für mein Empfinden zu wattig, zu unentschlossen-vorsichtig, zu langweilig und ohne den nötigen Drive musizierte, was letztlich schlimmer war als ein paar kleinere Spielfehler und Unsauberkeiten. Ich bin auch grundsätzlich gerade bei diesem Repertoire ein Freund von Diskretion bei der Sängerbegleitung, aber zu weit darf man diese auch nicht treiben. Die schöne, unglückliche Herrscherin von Babylon (Nelly Miricioiu)
Nicht viel (Gutes) ist über Dieter Kaegis nur auf den ersten Blick "modern" wirkende Inszenierung zu sagen, die auch schon an anderen Orten zu sehen war. Der Schweizer erzählt die natürlich nicht unproblematische Handlung reichlich fantasielos und zäh in einem auf klare geometrische Formen setzenden, die kühle Eleganz von Machtzentralen und Science-fiction-Filmen atmenden Einheitsbühnenbild von William Orlandi, das durch einzelne Licht- und Spiegeleffekte oder das Hochfahren und Absenken einzelner Bühnenelemente nicht interessanter oder atmosphärischer wird und in seiner Beliebigkeit auch für viele andere Werke zu verwenden wäre. Man erinnert sich vielleicht noch an den Diplomatenempfang, bei dem das Bühnenpersonal üppige ethnisch differenzierte Kostüme präsentieren darf, besonders aber an singende Einzelkämpfer, die gern an der Rampe stehen und selbst überlegte Gesten exerzieren, nicht aber an Figuren aus Fleisch und Blut, für deren Befindlichkeiten man sich interessieren würde. FAZITEin eher müder, erhebliche Längen aufweisender Abend der gepflegten Langeweile auf der Bühne und im Graben, der einen die "Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren" ließ ... Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreografie
Choreinstudierung
Solisten* Besetzung derbesuchten Vorstellung
Semiramide
Darina Takova
Arsace
* Ewa Podlés
Assur
* Simón Orfila
Idreno
* José Manuel Zapata
Azema
Sandra Pastrana
Oroe
Mitrane
L'ombra di Nino
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