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Der Tango als das Leben selbst
Von Annika Senger / Fotos von Monika Rittershaus Regisseurin Katja Czellnik versetzt das Publikum in einen völlig weißen, aber konfliktgeladenen Raum. Rasch erkennt man, dass das abstrakte Bühnenbild nicht äußere Ereignisse wiedergeben soll, sondern dass es dazu beiträgt, das zerrüttete Seeleninnenleben der Figuren zu reflektieren. Diese Welt scheint hermetisch abgeschlossen, denn es gibt weder Auf- noch Abgänge. Maria (Julia Zenko), Duende (Daniel Bonilla-Torres) Im Vordergrund der sich nicht immer einfach erschließenden Handlung steht allgegenwärtig der Tod des armen Vorstadtmädchens María aus Buenos Aires. Zuerst arbeitet sie in einem Cabaret und ist später gezwungen, ihren Körper im Bordell zu verkaufen. Am Ende des ersten Teils, der allerdings nahtlos in den zweiten übergeht, stirbt die Protagonistin und irrt danach als Geist durch die nur angedeutete argentinische Hauptstadt. Der Duende fungiert als ihr marterndes Schicksal. Daniel Bonilla-Torres drückt dessen Grausamkeit mit verächtlich aggressivem Sprechgesang aus. Aber nicht nur das: Er attackiert María auch körperlich, indem er sie beispielsweise an den Füßen über die Bühne schleift. Einen Gegenpol zu der dominanten Figur des Duende bildet der Cantor: Sein klagender Tenor ist eine Quelle des Mitgefühls für die vom Leben gebeutelte junge Frau. Er tritt zudem als sensible Stimme des Kollektivs auf. Maria (Julia Zenko), BewegungschorMit einer Gruppe von Laien-Darstellern im Alter von 14 bis über 70 Jahren verleiht die Regisseurin dem Volk ein hohes Maß an Authenzität. Selbst Profis könnten die Emotionen dieser ständig anwesenden Randfiguren wohl kaum eindringlicher darstellen als der Bewegungschor. Als einzigen Besitz tragen die Mitglieder der argentinischen Unterschicht Bandoneons mit sich herum. Das Musikinstrument ist charakteristisch für ihre Klasse, da der Tango, der sich im 19. Jahrhundert in den Vorstadt-Bordellen von Montevideo und Buenos Aires entwickelte, lange Zeit als verpönter Tanz des Pöbels galt. Astor Piazzollas traurige und doch leidenschaftliche Musik lenkt die anonyme Masse. Während sie zu Beginn leise anschwillt, steht der Bewegungschor noch regungslos da, doch mit der Intensität der Klänge steigern sich auch die körperlichen Leistungen der Akteure. Piazzolla hebt hervor, wie sehr der Tango die Emotionen seines Volkes beherrscht und widerspiegelt. Da er den traditionellen Tango mit Musikformen aus unterschiedlichen Kulturen (z.B. Jazz, Blues, Oper, Chanson, Walzer) verschmelzen lässt, kann man das Phänomen auch in einem internationalen Rahmen betrachten: Musik steuert generell Gefühle und versteht sich gleichzeitig als deren Medium - keine sonderlich innovative Botschaft und trotzdem eine, die treffender kaum sein könnte. Als ein dissonanter Wirbel aus Gitarre und Trommeln einsetzt, springt das Volk verzweifelt über die Bühne, wirft sich gegen die Wände und kann die Grenzen des Raumes am Ende doch nicht sprengen. Es rebelliert allerdings so lange, bis es erschöpft am Boden liegt und auch die Musik verstummt. Maria (Julia Zenko), Bewegungschor Trotz dieses aufwändigen Körpereinsatzes und der Erwartungen, die man als Zuschauer an das Stück hat, spielt der Tango als Tanz nur eine untergeordnete Rolle. Das Tangosolo des Tanzduos Stravaganza umfasst nur wenige Minuten und doch sind die leichten, fließenden Bewegungen von Ulrike Schladebach und Stephan Wiesner eine Augenweide, der man sich nicht entziehen kann. Im Gegensatz zum Bewegungschor verkörpern die beiden den Tango als Kunstform anstatt als Ausdruck der alltäglichen Emotionen des Volkes. Piazzolla weist letzteren offensichtlich einen größeren Stellenwert zu, was ungewöhnlich erscheint für europäische Zuschauer, die den Tango eher ausschließlich mit dem feurigen Tanz der Liebe assoziieren. Librettist Horacio Ferrer fasst die Bedeutung des Tangos in der Operita pointiert zusammen: Der Tango ist eine Kunst, die mehrere Künste in sich vereint. Er ist Instrumental- und Orchestermusik, er ist Tanz, er ist ein politisches Lied und eine Interpretationskunst. Der Tango ist so bitter und genauso süß wie das Leben. Maria (Julia Zenko), Duende (Daniel Bonilla-Torres)Mit der traditionellen Oper im europäischen Sinn hat María de Buenos Aires nicht allzu viel gemeinsam. Lediglich der tragische Niedergang der Protagonistin könnte Stoff einer italienischen Opera seria sein. Ebenso der Cantor, dessen Tenor im Laufe der Aufführung leider an der anfänglichen Ausdrucksstärke und Dynamik verliert, lässt sich durch den stimmtechnischen Aufwand in diesen Kontext einfügen. Julia Zenko als María präsentiert mit ihrer tiefen Altstimme eine ganze Palette an Emotionen, die auch dem Charakter der Hauptfigur entsprechen - hier ein etwas schwächliches Rezitativ, da ein kraftvoll melancholisches Klagen - zwar nie wie eine klassische Opernsängerin, aber so poetisch wie das Stück selbst.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
María
Duende
Cantor
Tangosoli
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